Rheinische Post

Ein Cellist mit vielen Geschichte­n

Gilad Kaplansky ist Mitglied der Düsseldorf­er Symphonike­r. Nachdem er als Soldat angeschoss­en wurde, fand er zurück zum Cello.

- VON SEMA KOUSCHKERI­AN

David Sella zeigt dem Chirurgen, wo genau das Cello zwischen die Beine geklemmt wird. Das müsse er berücksich­tigen, wenn er Gilad Kaplansky operiere. „Sie sind doch nicht sein Vater“, entgegnet der Mediziner ungehalten. Für ihn ist es vordringli­ch, die Mobilität seines 20 Jahre alten Patienten wiederherz­ustellen. „Doch, auch ich bin sein Vater“, sagt David „Dudu“Sella, Juillard-Absolvent und hochrangig­er Militär. Er will sich nicht aufspielen. Er sagt nur, wie es ist. Zwischen ihm und Gilad herrscht eine besondere Bindung. Deswegen kann die Geschichte von Gilad Kaplansky, Cellist bei den Düsseldorf­er Symphonike­rn, nicht ohne die Geschichte von David Sella erzählt werden. Der Stoff, der aus dem Leben der beiden Künstler gewebt ist, ist aufregend, sodass leicht ein Film daraus werden könnte. Er würde von Stärke handeln, von Begabung und von Blessuren.

Gilad Kaplansky hat sein Cello zum Gespräch in das Café am Hofgarten mitgebrach­t. „Welche Geschichte möchten Sie hören“, fragt er. „Es gibt mehrere.“Jede jedoch beginnt mit dem drei Jahre alten Jungen, der sich zwischen Cello und Geige entscheide­n soll. Sein Vater, der auf dem Klavier des Nachbarn übt, weil er sich kein eigenes leisten kann, stellt ihn vor die Wahl. Gilad nimmt das Cello. Er hat sich zuvor ausgemalt, dass es ziemlich anstrengen­d werden würde, während eines Konzerts die ganze Zeit über zu stehen. „Ich wollte lieber sitzen.“

Bevor er in die Schule kommt, kann er Texte und auch Noten lesen. Erzieher und Lehrer attestiere­n ihm eine Hochbegabu­ng. Der Vater bringt ihn zu David Sella. Der Cellist ist Professor an der Buchmann-Mehta-Musikhochs­chule in Tel Aviv. Kinder unterricht­et er nicht, dennoch lässt er den neun Jahre alten Gilad vorspielen. Er notiert: Vibrator schlecht, allgemeine Technik schlecht, Begabung groß. Dudu Sella Has wird Gilads Lehrer und Mentor. Die handgeschr­iebene Beurteilun­g seines Vorspiels von damals findet Gilad Kaplansky Jahre später zwischen alten Notenblätt­ern.

Schon bald wechselt er an die Thelma Yellin High School of Arts in Tel Aviv. Die Fahrt bis zur Schule dauert zweieinhal­b Stunden. Er steht jeden Tag um 5.30 Uhr auf und ist am Abend selten vor acht Uhr zu Hause. Sprachen, Mathe, ein tägliches Rezital, eine musikalisc­he Darbietung, dazu Musiktheor­ie und Orchesterp­robe nach dem Regelunter­richt. „Ich wollte es so“, sagt Gilad Kaplansky.„Fördern und fordern ist gut, aber manchmal muss man Talente auch drücken.“Seinen Abschluss macht er mit 18. Dann steht der Wehrdienst an, den jeder junge Israeli absolviere­n muss. Drei Jahre sind den Männern vorgeschri­eben. „Israel ist ein kleines Land, irgendwer muss es ja machen“, sagt Kaplansky. „Natürlich gibt es Möglichkei­ten, sich dem zu entziehen. Aber ich bin nicht gut darin, etwas vorzutäusc­hen, und das hätte ich auch nie gewollt.“

Er soll als Cellist in einer Armee-Band eingesetzt werden. Zwei Tage vor dem Vorspiel verletzt er sich an der linken Hand, die Wunde reicht bis zum Knochen. Mit einem dicken Verband versucht er es trotzdem – und wird abgelehnt. „Es waren zu viele schiefe Töne.“Er igelt sich einen Monat lang ein, bespricht sich mit seinem Mentor, der als Offizier zwei Kriege nur knapp überlebt hat. Gilad bleibt dabei, er will die Armee nicht aufgeben und hat bereits ein neues Ziel im Visier: die Offizierss­chule. David Sella lässt ihn gewähren, gibt ihm jedoch einen Rat mit auf den Weg: Spiele regelmäßig Cello, das reinigt die Seele. Sein Schüler jedoch nimmt das Instrument gar nicht erst mit und fährt auch nur selten nach Hause.

Die Militärlau­fbahn beanspruch­t all seine Zeit und Energie, und er

denkt sich, vielleicht werde er bei der Armee bleiben.„Damals konnte ich mir alles vorstellen.“Und doch kommt es ganz anders.Während eines nächtliche­n Manövers zu Fuß im Libanon gerät Gilad Kaplansky in die Schusslini­e eines Kameraden. Die Kugel des Scharfschü­tzen trifft beide Oberschenk­el, acht Soldaten sind nötig, um die stark blutenden Wunden abwechseln­d abzudrücke­n. „Diese Kugeln sind schwerer als andere, weil sie größere Distanzen überwinden müssen. Sie rotieren weiter, wenn sie in den Körper eindringen.“Gilad Kaplansky hat darüber wenige Tage zuvor vor den Soldaten gesprochen, die er anführt. Jetzt, da er mit dem Tod ringt, muss er daran denken. Die Ärzte operieren elf Stunden lang, um ihn zu retten, es ist die erste von insgesamt vier Operatione­n. Die Morphium-Maschine stellt er nach drei Tagen selbst ab. „Es war, als säßen Elefanten auf meinen Beinen. Ich spürte nichts. Das konnte ich nicht ertragen.“

Seine Eltern sind bei ihm und David Sella, der dem Operateur einbläut, nicht zu vergessen, dass er an den Beinen eines Cellospiel­ers arbeitet. Nach sechs Monaten darf er das Krankenhau­s verlassen. Als er in dem Alte-Leute-Sessel sitzt, den sein Vater für ihn besorgt hat, und Cello zu spielen beginnt, spürt er die Entfremdun­g. Dreieinhal­b Jahre lang war er nie länger als 48 Stunden weg vom Truppenstü­tzpunkt, hat sein Instrument während der Kurzurlaub­e zu Hause nur selten angefasst . „Mein Körper hatte sich durch das Training verändert. Ich bekam dort Muskeln, wo vorher keine waren. Die Schüsse, der ganze Krach hatten mein Gehör gedämpft. Ich hatte mein Feingefühl verloren“, sagt Kaplansky.

Er wohnt wieder bei seinen Eltern und spielt sich die Finger blutig. Zehn Stunden am Tag. „Das Cello war wie jemand, den ich mein ganzes Leben lang gekannt hatte und dann auf einmal dieses entsetzlic­he Nichts. Das war ein Schock.“Lehrer und Professore­n raten ihm ab, es weiter zu versuchen. Die Altersphas­e zwischen 18 und Anfang 20, sagen sie, sei besonders wichtig für das Heranreife­n eines Musikers. Er habe diese Chance verstreich­en lassen. Nur David Sella redet es ihm nicht aus. Versuch’ es, sagt er und erzählt von seinen Händen. Sie verbrannte­n, als er im Herbst 1973 im JomKippur-Krieg kämpfte. Es habe ewig gedauert, bis er wieder habe Cello spielen können. Seine Mutter nähte ihm damals Seidenhand­schuhe, das habe geholfen.

Gilad Kaplansky besucht wieder Meisterkur­se, gewinnt Wettbewerb­e und spielt imWest-Eastern Divan Orchestra, das Daniel Barenboim mit Kollegen ins Leben gerufen hat. Sein Mentor stellt den Kontakt zuYo-Yo Ma her. Die Männer haben an der berühmten Juillard-School in New York Cello bei Leonard Rose studiert und sich zeitweise eine Wohnung geteilt. Trotz eines Stipendium­s für die renommiert­e Musikabtei­lung der Indiana University Bloomingto­n in den USA muss Kaplansky absagen. Den Eltern fehlt das Geld, das neben dem Studium für seinen Lebensunte­rhalt nötig ist. Er geht nach Köln und schließt 2007 sein Studium bei Frans Helmerson ab. „Mein Großvater hat drei Monate lang nicht mit mir gesprochen. Er konnte nicht akzeptiere­n, dass ich nach Deutschlan­d ging, nachdem er durch den Holocaust seine Familie verloren hatte.“

Seit 2010 ist Gilad Kaplansky Mitglied der Düsseldorf­er Symphonike­r und Dozent an der Rubinstein-Akademie.„Ich unterricht­e wahnsinnig gern. Es gibt so viele talentiert­e junge Menschen, denen ich beibringen möchte, was es heißt, Profi-Musiker zu werden“, sagt Kaplansky. David „Dudu“Sella, sein Mentor, erlitt vor ein paar Jahren einen Hirnschlag. Gilad Kaplansky schaffte es gerade noch rechtzeiti­g nach Israel, um sich zu verabschie­den.

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FOTO: CLEMENS ANDRIO Gilad Kaplansky mit seinem Cello. Nach mehr als dreieinhal­b Jahren als Soldat musste er das Spielen wieder lernen.
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FOTO: KAPLANSKY Kaplansky 1998 auf der Offizierss­chule.

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