Der Drachenfels ist wachgeküsst
Deutschlands älteste Zahnradbahn bringt Besucher zum Touristenmagneten von Königswinter. Auf dem Plateau hat sich viel verändert.
Ein Fahrer mit einer alten Schaffnertasche aus Leder betritt den grünen Waggon. In seiner Hand hält er einen Stab mit einer weißen Kugel am Ende. Es ist die Bremse der ältesten Zahnradbahn Deutschlands. Der Fahrer geht durch den Waggon und hängt die Tasche samt Geldwechsler auf, setzt sich ans Fahrerpult, steckt die Bremse in den vorgesehenen Schlitz und startet die Maschine. Leise ruckelt die Bahn an, ihre Zahnräder und die des Gleises greifen ineinander.
Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 19 Kilometern pro Stunde bringt die Zahnradbahn jährlich rund 200.000 Menschen auf den 321 Meter hohen Drachenfels in Königswinter. Er gilt als einer der meistbesuchten Berge Europas. Mehr als drei Millionen Kilometer hat die Bahn seit 1883 zwischen der Talstation in Königswinter und dem Plateau im Siebengebirge zurückgelegt. Die Holzbänke mit dem rotem Polster sind voll besetzt,Wanderer, Schulkinder und Touristengruppen schauen gespannt aus dem Fenster. Weiter hinten sitzt ein Mann mit weißemVollbart und Brille, ein Bayer mit besticktem grauen Jackett. Der 67-Jährige ist kein Tourist, er ist Gästeführer seit beinahe 20 Jahren.
Toni Lankes kam in den 70er Jahren von der Oberpfalz an den Rhein. Damals arbeitete er beim Bundesgrenzschutz. Als Teilnehmer bei Führungen lernte er das Rheinland kennen. „Meine wahre Bestimmung habe ich erst mit 50 gefunden“, sagt Lankes. Im Jahr 2000 bewarb er sich als Gastführer bei der Bonn-Information. Dort bekam er allerdings eine Absage. „Mein Hochdeutsch war ihnen vermutlich zu schlecht“, sagt Lankes. Davon ließ er sich nicht entmutigen, machte seinen bayrischen Akzent zu seinem Markenzeichen und begann, als freier Gästeführer zu arbeiten.
Sein Blick schweift über die Landschaft des Siebengebirges.„1914 standen hier 14 Pferdehäuschen für die Gäste“, sagt Lankes und deutet aus dem Fenster der Zahnradbahn. Die Bahn nimmt Fahrt auf und bewegt sich auf eine Brücke zu. An deren Bogen hängt ein dreieckigesWarnschild. Darauf sind Drache und Fels abgebildet. „Hier leben immer noch Drachen“, verrät Lankes und zeigt auf eine kleine grüne Eidechse, die am Mauerwerk der Brücke entlangläuft.
Die Drachenfelsbahn erreicht das Streckenstück mit der größten Steigung: 20 Prozent. Kurz hinter der Brücke ragt auf der rechten Seite Schloss Drachenburg empor. Erster Halt für die Zahnradbahn und ein Muss für alle, die in die Geschichte des Gebäudes eintauchen möchten. Erst historistischer Traum des Barons Stephan von Sarter, später christliches Internat und Schauplatz der Eskapaden des Textilkaufmanns Paul Spinat. Alle Räume sind aufwendig restauriert und möbliert. Es lohnt sich, an einer Schlossführung teilzunehmen oder in den vollen Veranstaltungskalender zu blicken. Beim„Schlossleuchten“oder beimWeihnachtsmarkt im Stil von Charles Dickens entfaltet der Park eine eigene Atmosphäre.
Die prunkvollen Säle sind inzwischen auch beliebte Drehorte. Neben der Castingshow„Deutschland sucht den Superstar“und der ZDF-Show „Bares für Rares“wurden auch Szenen für die Krimi-Serie „Babylon Berlin“im Schloss aufgenommen. Von der Mittelstation der Zahnradbahn aus ist ein großes, weißes Haus zu sehen: der Burghof. Im 12. Jahrhundert diente er der Versorgung der Burg Drachenfels und derWolkenburg. 1922 erlebte er seine gastronomische Blütezeit. Seit fast 30 Jahren steht das Gebäude leer. Mehrere Investoren scheiterten an der Instandsetzung. „Es gibt keine direkte Zufahrt zu dem Gebäude, und es steht unter Denkmalschutz“, so Lankes. Vorbei am Burghof fährt die Bahn weiter Richtung Endstation. Lankes steigt die steilen Treppen der Bahn hinunter und tritt an die Brüstung. Es ist sein Lieblingsplatz auf dem Drachenfels. Von dort blickt er auf die Stadt, die ihm zur Heimat geworden ist.
Über den Ursprung des Namens Siebengebirge gibt es verschiedene Theorien. Die gängigste lautet, dass die Zahl Sieben ein Ausdruck für Vielfaches ist. Ähnlich wie der Ausdruck Siebensachen.
Lankes blickt in das Tal nach Bad Honnef-Rhöndorf und deutet auf ein weißes Haus mit dunklen Giebeln. „Konrad Adenauer hat dort 30 Jahre lang gewohnt“, sagt er. Das Haus ist heute ein Museum. Der Gästeführer zeigt auf eine Steinwand, die zwischen Sträuchern herausragt. „Aus dem Drachenfelstrachyt wurde im 13. Jahrhundert ein großer Teil des Kölner Doms gebaut“, erklärt Lankes. „An guten Tagen ist der Dom vom Plateau aus zu sehen.“
Der Bayer blättert in seinem Ordner zu einem Gedicht von Heinrich Heine. Die Nacht auf dem Drachenfels: „Viel dunkle Ritterschatten uns umschauern, viel Nebelfraun bei uns vorüberfliegen“, schrieb Heine 1822. „Diese Nebelfrauen sind auch heute noch am Drachenfels zu finden“, sagt Lankes. Er geht weiter über das Drachenfelsplateau und bleibt vor den Stufen stehen. Sein Blick ist auf zwei orangefarbene Statuen gerichtet. „Das sind die Nebelfrauen“, erklärt Lankes. Auf dem Plateau trifft Alt auf Neu. Die Millionen aus dem NRW-Strukturprogramm„Regionale 2010“ermöglichten es der Stadt Königswinter, den alten Restaurant-Betonklotz aus den 1970er Jahren abzureißen und die in die Jahre gekommene Touristenattraktion aufzuwerten.
Lankes geht quer über den Platz. Am anderen Ende des Plateaus steht ein Denkmal, das an die Völkerschlacht bei Leipzig erinnert. Gleichzeitig dient es als Mahnmal gegen weitere Kriege. „Damals hatte das Denkmal Ähnlichkeit mit dem Kölner Dom“, erklärt Lankes.„Eine amerikanische Panzergranate hat von der anderen Rheinseite aus die Spitze weggebombt.“Ein schmaler, steiler Pfad führt hoch zur Ruine. „In die Erhaltung der Drachenfelsruine wurde viel Geld und Arbeit gesteckt“, sagt Lankes. Sein Blick wandert über den Rhein. Bei der malerischen Aussicht lächelt der Gastführer zufrieden und sagt: „Auch nach 20 Jahren das noch ein sagenhaft schöner Ort.“