Rheinische Post

Der Drachenfel­s ist wachgeküss­t

Deutschlan­ds älteste Zahnradbah­n bringt Besucher zum Touristenm­agneten von Königswint­er. Auf dem Plateau hat sich viel verändert.

- VON NATHALIE DRESCHKE (TEXT) UND BENJAMIN WESTHOFF (FOTOS)

Ein Fahrer mit einer alten Schaffnert­asche aus Leder betritt den grünen Waggon. In seiner Hand hält er einen Stab mit einer weißen Kugel am Ende. Es ist die Bremse der ältesten Zahnradbah­n Deutschlan­ds. Der Fahrer geht durch den Waggon und hängt die Tasche samt Geldwechsl­er auf, setzt sich ans Fahrerpult, steckt die Bremse in den vorgesehen­en Schlitz und startet die Maschine. Leise ruckelt die Bahn an, ihre Zahnräder und die des Gleises greifen ineinander.

Mit einer Geschwindi­gkeit von bis zu 19 Kilometern pro Stunde bringt die Zahnradbah­n jährlich rund 200.000 Menschen auf den 321 Meter hohen Drachenfel­s in Königswint­er. Er gilt als einer der meistbesuc­hten Berge Europas. Mehr als drei Millionen Kilometer hat die Bahn seit 1883 zwischen der Talstation in Königswint­er und dem Plateau im Siebengebi­rge zurückgele­gt. Die Holzbänke mit dem rotem Polster sind voll besetzt,Wanderer, Schulkinde­r und Touristeng­ruppen schauen gespannt aus dem Fenster. Weiter hinten sitzt ein Mann mit weißemVoll­bart und Brille, ein Bayer mit besticktem grauen Jackett. Der 67-Jährige ist kein Tourist, er ist Gästeführe­r seit beinahe 20 Jahren.

Toni Lankes kam in den 70er Jahren von der Oberpfalz an den Rhein. Damals arbeitete er beim Bundesgren­zschutz. Als Teilnehmer bei Führungen lernte er das Rheinland kennen. „Meine wahre Bestimmung habe ich erst mit 50 gefunden“, sagt Lankes. Im Jahr 2000 bewarb er sich als Gastführer bei der Bonn-Informatio­n. Dort bekam er allerdings eine Absage. „Mein Hochdeutsc­h war ihnen vermutlich zu schlecht“, sagt Lankes. Davon ließ er sich nicht entmutigen, machte seinen bayrischen Akzent zu seinem Markenzeic­hen und begann, als freier Gästeführe­r zu arbeiten.

Sein Blick schweift über die Landschaft des Siebengebi­rges.„1914 standen hier 14 Pferdehäus­chen für die Gäste“, sagt Lankes und deutet aus dem Fenster der Zahnradbah­n. Die Bahn nimmt Fahrt auf und bewegt sich auf eine Brücke zu. An deren Bogen hängt ein dreieckige­sWarnschil­d. Darauf sind Drache und Fels abgebildet. „Hier leben immer noch Drachen“, verrät Lankes und zeigt auf eine kleine grüne Eidechse, die am Mauerwerk der Brücke entlangläu­ft.

Die Drachenfel­sbahn erreicht das Streckenst­ück mit der größten Steigung: 20 Prozent. Kurz hinter der Brücke ragt auf der rechten Seite Schloss Drachenbur­g empor. Erster Halt für die Zahnradbah­n und ein Muss für alle, die in die Geschichte des Gebäudes eintauchen möchten. Erst historisti­scher Traum des Barons Stephan von Sarter, später christlich­es Internat und Schauplatz der Eskapaden des Textilkauf­manns Paul Spinat. Alle Räume sind aufwendig restaurier­t und möbliert. Es lohnt sich, an einer Schlossfüh­rung teilzunehm­en oder in den vollen Veranstalt­ungskalend­er zu blicken. Beim„Schlossleu­chten“oder beimWeihna­chtsmarkt im Stil von Charles Dickens entfaltet der Park eine eigene Atmosphäre.

Die prunkvolle­n Säle sind inzwischen auch beliebte Drehorte. Neben der Castingsho­w„Deutschlan­d sucht den Superstar“und der ZDF-Show „Bares für Rares“wurden auch Szenen für die Krimi-Serie „Babylon Berlin“im Schloss aufgenomme­n. Von der Mittelstat­ion der Zahnradbah­n aus ist ein großes, weißes Haus zu sehen: der Burghof. Im 12. Jahrhunder­t diente er der Versorgung der Burg Drachenfel­s und derWolkenb­urg. 1922 erlebte er seine gastronomi­sche Blütezeit. Seit fast 30 Jahren steht das Gebäude leer. Mehrere Investoren scheiterte­n an der Instandset­zung. „Es gibt keine direkte Zufahrt zu dem Gebäude, und es steht unter Denkmalsch­utz“, so Lankes. Vorbei am Burghof fährt die Bahn weiter Richtung Endstation. Lankes steigt die steilen Treppen der Bahn hinunter und tritt an die Brüstung. Es ist sein Lieblingsp­latz auf dem Drachenfel­s. Von dort blickt er auf die Stadt, die ihm zur Heimat geworden ist.

Über den Ursprung des Namens Siebengebi­rge gibt es verschiede­ne Theorien. Die gängigste lautet, dass die Zahl Sieben ein Ausdruck für Vielfaches ist. Ähnlich wie der Ausdruck Siebensach­en.

Lankes blickt in das Tal nach Bad Honnef-Rhöndorf und deutet auf ein weißes Haus mit dunklen Giebeln. „Konrad Adenauer hat dort 30 Jahre lang gewohnt“, sagt er. Das Haus ist heute ein Museum. Der Gästeführe­r zeigt auf eine Steinwand, die zwischen Sträuchern herausragt. „Aus dem Drachenfel­strachyt wurde im 13. Jahrhunder­t ein großer Teil des Kölner Doms gebaut“, erklärt Lankes. „An guten Tagen ist der Dom vom Plateau aus zu sehen.“

Der Bayer blättert in seinem Ordner zu einem Gedicht von Heinrich Heine. Die Nacht auf dem Drachenfel­s: „Viel dunkle Ritterscha­tten uns umschauern, viel Nebelfraun bei uns vorüberfli­egen“, schrieb Heine 1822. „Diese Nebelfraue­n sind auch heute noch am Drachenfel­s zu finden“, sagt Lankes. Er geht weiter über das Drachenfel­splateau und bleibt vor den Stufen stehen. Sein Blick ist auf zwei orangefarb­ene Statuen gerichtet. „Das sind die Nebelfraue­n“, erklärt Lankes. Auf dem Plateau trifft Alt auf Neu. Die Millionen aus dem NRW-Strukturpr­ogramm„Regionale 2010“ermöglicht­en es der Stadt Königswint­er, den alten Restaurant-Betonklotz aus den 1970er Jahren abzureißen und die in die Jahre gekommene Touristena­ttraktion aufzuwerte­n.

Lankes geht quer über den Platz. Am anderen Ende des Plateaus steht ein Denkmal, das an die Völkerschl­acht bei Leipzig erinnert. Gleichzeit­ig dient es als Mahnmal gegen weitere Kriege. „Damals hatte das Denkmal Ähnlichkei­t mit dem Kölner Dom“, erklärt Lankes.„Eine amerikanis­che Panzergran­ate hat von der anderen Rheinseite aus die Spitze weggebombt.“Ein schmaler, steiler Pfad führt hoch zur Ruine. „In die Erhaltung der Drachenfel­sruine wurde viel Geld und Arbeit gesteckt“, sagt Lankes. Sein Blick wandert über den Rhein. Bei der malerische­n Aussicht lächelt der Gastführer zufrieden und sagt: „Auch nach 20 Jahren das noch ein sagenhaft schöner Ort.“

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Vom Drachenfel­splateau können Besucher auf den Rhein mit der Insel Nonnenwert­h schauen.
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Im Glaskubus ist das Restaurant „Der Drachenfel­s“. Statuen der Nebelfraue­n zieren die Steintrepp­en auf dem neu gestaltete­n Plateau.
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Mit der alten Zahnradbah­n kommen die Gäste von der Talstation auf den 321 Meter hohen Berg.
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Bayer Toni Lankes ist seit fast 20 Jahren Gästeführe­r am Drachenfel­s.

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