Pragmatischer Seitenwechsel
Die Grünen-Politikerin führt künftig den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Sie vertritt damit auch die Interessen von Großkonzernen wie Eon oder RWE. Das hat einige Irritationen ausgelöst.
Die einen sagen, sie sei „erste Wahl“gewesen, andere meinen, der Verband hätte lieber dem niedersächsischen SPD-Umweltminister Olaf Lies den Vorzug gegeben. Nachdem Lies abgewunken hatte, war jedenfalls der Weg für die Grünen-Politikerin Kerstin Andreae an die Spitze des Bundesverbands der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) frei, eines der mächtigsten Branchenverbände. Die 50-jährige Freiburgerin legt nach 17 Jahren ihr Mandat im Bundestag nieder und wird zum 1. November Hauptgeschäftsführerin des Verbands. Der mit etwa einer halben Million Euro Jahresgehalt dotierte Posten wird frei, weil Vorgänger Stefan Kapferer, ein FDP-Mann, Chef des Stromnetzbetreibers 50 Hertz wird.
Der Wechsel Andreaes kommt durchaus überraschend. Die Pragmatikerin gehörte zur Führungsreserve der Fraktion. Die Umfragewerte der Grünen liegen gleichauf mit der CDU. Für Andreae wäre ein einflussreicher Posten innerhalb einer schwarz-grü
nen Bundesregierung also greifbar nahe gewesen. Doch die Diplom-Volkswirtin entschied sich lieber für den lukrativen Seitenwechsel.
Der Verein Lobbycontrol findet das „enttäuschend – gerade weil die Grünen sich für mehr Distanz zwischen Politik und Wirtschaft einsetzen“, wie eine Sprecherin sagte. „Bundestagsabgeordnete sollten ihr Mandat nicht als Sprungbrett für Lobbykarrieren nutzen.“2013 verlor Andreae gegen Katrin Göring-Eckardt die Wahl um das Amt der Fraktionsvorsitzenden. Mit ihrem sehr realpolitischen Ansatz sah sich Andreae wenn nicht in der Fraktion, dann doch in der Partei isoliert. Ähnlich wie ihr Ziehvater, Baden-Württembergs Ministerpräsident und Ober-Realo Winfried Kretschmann, war sie auf Parteitagen oft nur eine Randfigur. Über Parteitagsanträge wie etwa den zur Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen konnte die wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion nur den Kopf schütteln.
Dass die Grünen in der Wirtschaft längst salonfähig geworden sind, verdanken sie aber gerade auch Andreae. Sie war Mitbegründerin des grünen Wirtschaftsbeirats, in dem heute Manager wie BASF-Chef Martin Brudermöller sitzen. In der Wirtschaft gilt die Mutter dreier Kinder und Ehefrau des Leiters der baden-württembergischen Landesvertretung in Berlin, Volker Ratzmann, als besonnene Zuhörerin. Längst hat sich der BDEW aufgemacht in ein ökologischeres Zeitalter: Man bekennt sich zur Energiewende und zur Klimaneutralität. Als Chefin des wichtigen Verbands kann Andreae den schwierigen Transformationsprozess künftig direkt steuern.