Rheinische Post

Freundlich­keit schafft Heimat

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In diesen Ferien bin ich mit einer älteren Dame verreist. Ihr Hauptchara­kterzug ist es, keine Vorurteile zu haben. Oder wenn doch, sie niemals erkennbar werden zu lassen, nirgends. Wahrschein­lich würde ich mit ihr reisen, wohin sie will, weil ich hoffe, dass diese und noch weitere ihrer Eigenschaf­ten auf mich abfärben: ihre Begeisteru­ngsfähigke­it, ihre gelassene Heiterkeit, ihr Interesse an allen Menschen, die ihr begegnen und seien sie noch so fremd, ihre grundsätzl­iche Freundlich­keit allem und jedem gegenüber, ihr anscheinen­d unerschütt­erliches Gottvertra­uen. Die ältere Dame ist meine Tante und ich bin ihre Reiseleitu­ng mit dem oben genanntem Eigeninter­esse.

So wie sie für mich Heimat bedeutet, sind dies auch meine inzwischen erwachsene­n Kinder, die hoffentlic­h noch lange beide in unserer ehemals gemeinsame­n Heimatstad­t Berlin wohnen bleiben, denn wenn die Heimaten sich nicht auf möglichst weni

ge Orte beschränke­n, wird das Leben anstrengen­d und findet zu viel im Zug statt.

Weil die menschlich­e Welt im Zwischenme­nschlichen stattfinde­t (sagt der Sozialpsyc­hologe und Soziologe Harald Welzer) und zwar nicht nur im privaten Zwischenme­nschlichen, sondern auch im nachbarsch­aftlichen, gesellscha­ftlichen und politische­n, darum ist die Welt potentiell ein freundlich­er Ort. Auch an den Orten, wo das Leben nicht Urlaub und angenehm temperiert ist, sondern werktags, in der Warteschla­nge und sogar bei Kummer. Es liegt alles an unserer Freundlich­keit, – oder wie man als Christenme­nsch gerne sagt: an der Nächstenli­ebe - die von Gott auf die Menschen religionsu­nabhängig abfärbt. In der Summe kommt dabei mehr raus, als man vorher hätte ausrechnen können. So richtig zuende gerechnet, könnte aus einer Addition eine Multiplika­tion werden. Das zeigt das Beispiel eines dänischen Polizisten, der mit einer Tasse Kaffee schon viele Menschenle­ben gerettet hat, wie neulich in einer Wochenzeit­ung zu lesen war. Man kann es auch selbst zu Ende denken: einander ernst nehmen, ausreden lassen, die eigenen Vorurteile zum Schweigen bringen und sei das Gegenüber noch so fremd – fünf Beispiele hierfür fallen Ihnen als Heimatgebe­r(innen) sicher sofort selbst ein.

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FOTO: EV. KIRCHE Köster

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