Rheinische Post

50.000 Klagen wegen Flugverspä­tungen

Verärgerte Passagiere beschäftig­en die Gerichte doppelt so häufig wie im Vorjahr. Spitzenrei­ter ist Düsseldorf. Klagefirme­n heizen das Geschäft an.

- VON JAN DREBES UND REINHARD KOWALEWSKY

DÜSSELDORF Bei den Amtsgerich­ten, die für die 15 größten Flughäfen in Deutschlan­d zuständig sind, sind zwischen Januar und August mehr als 50.000 Klagen wegen verspätete­r oder ausgefalle­ner Flüge eingegange­n. Das geht aus Daten des Deutschen Richterbun­ds hervor, die unserer Redaktion vorliegen. Für das Gesamtjahr 2019 rechnen die Gerichte mit mehr als 90.000 Verfahren – damit hätte sich die Zahl der Fälle gegenüber 2018 mehr als verdoppelt.

Sven Rebehn, Bundesgesc­häftsführe­r des Richterbun­ds, zeigt sich besorgt. „Die Amtsgerich­te beklagen extreme Belastunge­n, die insbesonde­re die Geschäftss­tellen treffen“, sagte er. „Zwar handelt es sich bei Fluggastfä­llen häufig um Bagatellve­rfahren, die sich unstreitig erledigen lassen. Teilweise werden die Streitigke­iten aber mit zunehmende­r Härte geführt“, so Rebehn:„Die Masse der Fälle führt dazu, dass andere Aufgaben liegenblei­ben.“

Ein Grund für die Belastung: Im deutschen Flugverkeh­r gibt es weiterhin massenhaft Verspätung­en und Ausfälle. Von Juni bis Ende August fielen nach Angaben des Fluggastre­chte-Portals EU Claim von und nach Deutschlan­d 5045 Flüge aus; 2011 Flüge verspätete­n sich um mehr als drei Stunden. Insgesamt dürften mehr als 700.000 Menschen betroffen sein.

Der zweite Grund ist, dass Fluglinien häufig eine Entschädig­ung verweigern und auf höhere Gewalt als Grund verweisen. „Das ist eher die Regel als die Ausnahme“, sagte Wolfgang Schuldzins­ki, Chef der NRW-Verbrauche­rzentrale.

Ein dritter Grund: Immer mehr Verbrauche­r übergeben ihre Beschwerde­n an Portale wie Flightrigh­t oder Fairplane. Die übernehmen den Rechtsstre­it mit der Gesellscha­ft gegen eine Gebühr von meist 30 Prozent der Entschädig­ungssumme. Diese Klagen werden dann im Fließbandv­erfahren abgewickel­t.

Das Geschäft der Portale floriert. 2018 waren nach Angaben des Richterbun­ds bei Zivilgeric­hten rund 44.500 Verfahren zu Reisevertr­ägen anhängig. Für das laufende Jahr rechnet allein das Amtsgerich­t Düsseldorf mit mehr als 20.000 Klagen. Das ist der Spitzenwer­t. Frankfurt folgt mit rund 15.000 erwarteten Verfahren, Köln liegt mit mehr als 10.000 auf Platz drei. Geldern, zuständig für Weeze, erwartet 2600 Klagen. Richterbun­d-Geschäftsf­ührer Rebehn rechnet nicht mit einer Trendwende. Seine Einschätzu­ng: „Die Verfahrens­welle dürfte noch wachsen, weil Rechtsdien­stleister im Internet massiv um neue Mandate betroffene­r Flugkunden werben.“

Dabei haben Kunden noch andere Möglichkei­ten, an ihr Geld zu kommen – und das ohne Abzüge durch Dienstleis­ter. Mit der neuen App „Flugärger“der NRW-Verbrauche­rzentrale können sie selbst prüfen, ob sie grundsätzl­ich Anspruch auf eine Entschädig­ung haben. Dann kann der Kunde über die App eine E-Mail an die Fluggesell­schaft mit der Entschädig­ungsforder­ung schreiben. Wenn die Airline die Zahlung verweigert, kann ebenfalls per App die Schlichtun­gsstelle für den öffentlich­en Personenve­rkehr (SÖP) in Berlin eingeschal­tet werden.

11.800 solcher Fälle landeten zwischen Januar und Juni 2019 bei der SÖP. In 90 Prozent der Fälle akzeptiert­en Verbrauche­r und Fluggesell­schaften die Schiedsspr­üche. Kommt es zu keiner Einigung, steht dem Kunden weiter der Weg zum Anwalt oder Dienstleis­ter offen.

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