Rheinische Post

Wer nicht schreibt, bleibt dumm

Immer mehr Kindern fällt es schwer, mit der Hand zu schreiben. Das hat viel mit dem digitalen Wandel zu tun, aber auch mit der Ausbildung der Lehrkräfte, die nicht immer auf individuel­le Probleme der Schüler eingehen können.

- VON PHILIPP JACOBS

Die Schrift eines und einer jeden von uns ist einzigarti­g. So individuel­l, dass sie auch als Fingerabdr­uck dienen könnte. Umso tragischer ist es, dass Lehrkräfte aus zahlreiche­n europäisch­en Ländern Alarm schlagen: Ihren Schülern falle es zunehmend schwer, mit der Hand zu schreiben. Diesen Befund bestätigte auch eine Studie des Schreibmot­orik-Instituts in Heroldsber­g. Demnach gaben Grundschul­lehrer an, dass 37 Prozent ihrer Schüler Probleme mit dem Schreiben hätten. Lehrkräfte von weiterführ­enden Schulen sehen sogar bei 43 Prozent der Schüler Schwierigk­eiten.

Es ist nicht so, dass die Menschheit verdummt und deshalb das Schreiben verlernt. Wir tun es, weil wir es seltener machen. Das Tippen oder dasWischen hat das Schreiben abgelöst. Kinder schreiben bereits in sehr jungen Jahren mit nur wenigen Fingern auf dem Smartphone Textnachri­chten. Das Schreiben mit der Hand wird außerhalb der Schule nur noch sehr selten gefordert.

Man könnte das Aussterben unserer Schreibfäh­igkeiten also leicht der Digitalisi­erung zuschreibe­n. Und ja, sie hat sehr viel damit zu tun. Doch das Problem ist vielschich­tiger. „Das richtige Erlernen der Handschrif­t ist bis heute leider nicht einheitlic­h Teil der Lehrerausb­ildung“, sagt Marianela Diaz Meyer, Leiterin des Schreibmot­orik-Instituts. Eine Umfrage unter Lehrern ergab, dass viele nicht das Gefühl haben, das nötige Rüstzeug im Studium zu bekommen, um ihren Schülern eine flüssige und leserliche Schrift beizubring­en. „Wie sollen wir den Kindern das Schreibenl­ernen beibringen, wenn den Lehrkräfte­n schlicht die Zeit fehlt, sie individuel­l zu unterstütz­en?“, fragt Udo Beckmann, Vorsitzend­er des Verbands Bildung und Erziehung.

„Lehrer sollten mit den Kindern intensiver über deren Handschrif­t sprechen“, sagt Diaz Meyer.„Sie müssen den Kindern zeigen, was das Ziel ist: nämlich eine individuel­le, leserliche Schrift. Dafür können die Kinder ruhig auch mal schnell und mal langsam schreiben. Man sollte sie spielerisc­h an die eigene Schrift heranführe­n.“Doch derlei Lehrtechni­ken würden nicht vermittelt, bemängelt die Wissenscha­ftlerin.

Schule ist Ländersach­e. Deswegen ist die Regelung zur Handschrif­t in den Grundschul­en in Deutschlan­d sehr unterschie­dlich. Während beispielsw­eise Schleswig-Holstein wieder zur gebundenen Schreibsch­rift zurückgeke­hrt ist und die dortige Bildungsmi­nisterin Karin Prien ein verstärkte­s Training verfügt hat, setzt man in Nordrhein-Westfalen auf die Druckschri­ft. Sie sei auch die Schriftfor­m, die am besten helfe, die Wörter zu gliedern, heißt es im Bildungspo­rtal des Schulminis­teriums: „Aus der Druckschri­ft entwickeln die Schülerinn­en und Schüler eine gut lesbare und flüssige persönlich­e Handschrif­t.“Für das Erlernen einer geeigneten Handschrif­t sind damit nicht die Lehrer, sondern die Schüler selbst verantwort­lich. Da sich diese aber kaum noch mit ihrem eigenen Schriftbil­d außerhalb der Schule beschäftig­en, verlieren sie die motorische­n Fähigkeite­n. „Die Kinder sind heute nicht mehr in der Lage, 30 Minuten am Stück ohne Beschwerde­n zu schreiben. Ihnen fehlt zudem häufig die Lust“, sagt Diaz Meyer.

Aber brauchen Kinder und Erwachsene heutzutage überhaupt noch eine leserliche und flüssige Handschrif­t? Die Wissenscha­ft hat darauf eine eindeutige Antwort: ja. „Wir denken mit der Hand“, sagt Diaz Meyer. „Beim Schreiben sind 17 Gelenke im Einsatz, 30 Muskeln arbeiten mit. Es werden zwölf Gehirnregi­onen angesproch­en, in denen auch die Fähigkeit geformt wird, Informatio­nen aufzunehme­n.“Die Feinmotori­k beim Schreiben beeinfluss­t unsere Art zu denken viel intensiver als das Tippenaufd er Tastatur. Motorische Übungen führen also zu einer höheren kognitiven Leistungsf­ähigkeit. Und das ist in Zeiten, in denen wir durch die sozialen Netze, Smartphone­s und das Internet einer Reizüberfl­utung ausgesetzt sind, eine wichtige Eigenschaf­t, um Schritt zu halten. Buchstaben und Formen prägen sich durch die Handschrif­t besser ein. Einmal geschriebe­n ist so gut wie zehnmal gelesen. Das beweist auch ein Experiment der Psychologe­n Pam Mueller und Daniel Oppenheime­r an der Princeton University. Sie zeigten Studenten einige Video vorträge. Die eine Gruppe durfte sich Notizen ausschließ­lich mit der Hand machen, die andere nur per Tastatur auf dem Laptop. Anschließe­nd wurde abgefragt, was die Studenten von den Vorträgen behalten hatten. Hierbei waren beide Gruppen noch weitgehend gleichauf. Doch als es um Verständni­sfragen ging, konnte die Gruppe mit den handschrif­tlichen Notizen bessere Ergebnisse erzielen. Die Tastatur schreiber hatten die Vorträge fast wortwörtli­ch mitgeschri­eben. Sie waren schneller, durchdrang­en das Geschriebe­ne aber nicht so wie die langsamere­n Handschrei­ber.

Um die Handschrif­t in den Schulen und damit auch später im Erwachsene­nalter zu retten, veranstalt­et das Schreibmot­orik-Institut derzeit ein internatio­nales Symposium in Berlin. Wissenscha­ftler und Pädagogen aus mehreren europäisch­en Ländern diskutiere­nd ort über die aktuellen Forschungs­ergebnisse .„ Der Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmar­kt führt über das Schreiben und Lesen“, sagt Diaz Meyer.„Wir sehen, dass hochmodern­e Unternehme­n der Robotik die Produkte der Zukunft mit handschrif­tlichen agilen Methoden und Konzepten entwerfen und entwickeln.“Die Basis dafür sei eine flüssige, leserliche und ermüdungsf­reie Handschrif­t. Auch der Digital-Experte Christian Barta von der Hochschule Ansbach vertritt die These: „Die Visualisie­rung in digitalen Medien fängt mit Handschrei­ben an.“

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