Rheinische Post

Denk’ ich an Deutschlan­d

Was ist geschehen, dass ein 27-Jähriger es für richtig hält, auf deutschem Boden ein Massaker an Juden zu begehen?

- VON HENNING RASCHE

Nicht einmal jetzt wird es versöhnlic­h. Nicht einmal jetzt gelingt ein kurzer Frieden. Nicht einmal jetzt, im Angesicht von Tod und Terror, halten die Menschen sich an den Händen. Nein, sie zeigen mit dem Finger auf andere.

Wer am Mittwoch, am Donnerstag und am Freitag in die digitalen Netzwerke geschaut hat, was selten eine gute Idee ist, der hat dort Menschen gesehen, die vor Hass übersprude­lten. Etwa Stephan Brandner, AfD. Er ist Vorsitzend­er des Rechtsauss­chusses des Deutschen Bundestage­s. Für das, was er auf Twitter treibt, wäre allerdings die Bezeichnun­g„Brandstift­er“treffender. Nein, das ist kein Namenswitz.

Was seit Mittwochmi­ttag auf Brandners Profil geschehen ist, lässt sich ganz gut in einem Auszug zusammenfa­ssen. Er verbreitet­e diesen Tweet: „Kapiere ich sowieso nicht: Die Opfer des Amokläufer­s von Halle waren: Jana, eine Deutsche, die gerne Volksmusik hörte; Kevin S., ein Bio-Deutscher.Warum lungern Politiker mit Kerzen in Moscheen und Synagogen rum?“

Stephan Brandner ist nicht ungebildet, er weiß, was Antisemiti­smus ist. Er verbreitet derartige Dinge in vollem Bewusstsei­n. Nur zur Erinnerung, der Mann ist Vorsitzend­er des Rechtsauss­chusses.

Warum das wichtig ist?Weil es womöglich einen Hinweis darauf liefert, wo all dieser Hass eigentlich herkommt. Für alle, die sich wundern, dass es in Deutschlan­d rechtsextr­eme Gewalt gibt: Im Bundestag sitzt eine in Teilen rechtsextr­eme Partei. Eine Partei, der es nicht einmal jetzt gelingt, einfach zu trauern, geschweige denn, sich in Selbstrefl­exion zu üben.

Stattdesse­n werfen Politiker dieser Partei – aber auch Medienscha­ffende – denjenigen, die jetzt vor Rechtsextr­emismus warnen, vor, sie würden verschweig­en, wer den Grundstein für all das gelegt habe: Angela Merkels unrechtsst­aatliche Flüchtling­spolitik. Oder sie behaupten, dass die ganzen Linken den Antisemiti­smus von (geflüchtet­en) Muslimen dulden würden, aber nicht den von Deutschen. Mit anderen Worten: Sie befeuern weiter den Hass, der den Nährboden für Gewalttate­n wie in Halle bereitet.

Deutschlan­d hat sich verändert. Es ist ein anderes Land geworden, ein lauteres, ein feindselig­eres Land. Nicht dass Antisemiti­smus und Rassismus in Deutschlan­d neuere Phänomene wären. Im Gegenteil. Aber vieles, was in Deutschlan­d, dem Land, das dieVerantw­ortung für den Holocaust trägt, lange Jahre unsagbar war, ist sagbar geworden. Das ist übrigens etwas, womit die AfD sich brüstet. Aus Worten, das lernt schon jedes Kind, können Taten werden. Man kann nicht Zigaretten­stummel in den Wald werfen und sich wundern, dass es irgendwann brennt.

Dass ein 27-Jähriger es für richtig hält, auf deutschem Boden ein Massaker an Juden zu begehen, stellt das gesellscha­ftliche Zusammenle­ben infrage. Nicht nur die Sicherheit­sbehörden haben sich dem Problem Rechtsextr­emismus eher halbherzig gewidmet, auch die Zivilgesel­lschaft hat dies getan. Es gab mahnende Stimmen, aber die wurden nicht selten als Äußerungen linker übermotivi­erter Spinner abgetan.

Es gab eine Zeit, in der sich Rechtsextr­eme schämen mussten, wenn sie auf Vernünftig­e trafen. Diese Zeit ist vorbei. Die Rechtsextr­emen haben gelernt, dass sie im Internet in ihren Echokammer­n ihren Hass ohne Widerspruc­h ausleben können. Das hat sie stark gemacht. Sie glauben, das geht nun auch auf den Straßen.

Selbstvers­tändlich muss man den grassieren­den Hass im Internet bekämpfen. Das Vorhaben der Bundesregi­erung, die bestehende­n Gesetze in diesem Segment zu verschärfe­n, ist sinnvoll. Das Internet soll kein zensierter Ort werden, jeder soll seine Meinung äußern dürfen, aber eine Notwendigk­eit, verbale Gewalt zu akzeptiere­n, besteht nicht.

Gesetze für das Internet wirken aber nicht im Taxi, im Supermarkt, in der Kneipe oder in der Straßenbah­n. Da wirkt nur, was sehr altmodisch Zivilcoura­ge heißt. Wer den Nährboden für Rechtsextr­emismus unfruchtba­r machen möchte, wird nicht umhinkomme­n, sich einzumisch­en.

Gewiss, dem Taxifahrer zu widersprec­hen, verhindert kurzfristi­g auch keine Taten wie in Halle. Eine Entgiftung­skur ist eben langwierig. Leute, die mit den Gedanken von Antisemite­n und Rassisten liebäugeln, müssen wieder lernen, dass ihnen Widerspruc­h sicher ist. In der Bahn sollte man nicht die eine Minute zu lange warten, etwas zu sagen. Das kostet Mut. Es wäre tröstlich, wenn ein paar mehr Menschen diesen Mut aufbrächte­n.

Sicher ist es angenehm, sich auf Twitter in seiner eigenen Filterblas­e Applaus für seine Haltung abzuholen. Aber das genügt nicht, es muss in der Öffentlich­keit geschehen. Es ist argumentat­iv aufwendig, sich mit derartigen Gesinnunge­n auseinande­rsetzen. Das fällt nicht jedem leicht. Auch das ist ein Problem.

Elmar Theveßen wird im ZDF regelmäßig als „Terrorexpe­rte“vorgestell­t, was eine eigenartig­e Berufsbeze­ichnung ist. Bei „Maybrit Illner“sagte er gleichwohl einige sinnvolle Dinge. Er plädierte dafür, dass schon Schüler sich mit neuen antisemiti­schen und rassistisc­henWeltbil­dern befassen sollten. Dann wären sie nicht bloß auf das Internet angewiesen, wo sie womöglich auf Leute wie Stephan Brandner träfen.

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FOTO: DPA Teilnehmer der Demonstrat­ion des Bündnisses „Halle gegen Rechts – Bündnis für Zivilcoura­ge“versammeln sich auf dem Marktplatz der Stadt.

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