Rheinische Post

Verschenke­n statt verschwend­en

Pro Jahr landen elf Millionen Tonnen Lebensmitt­el im Müll – wie ist das zu verhindern? Ein Landwirt verschenkt Gemüse, das nicht die Norm erfüllt.

- VON MARIE LUDWIG Letzte Folge Lernen Sie am Mittwoch Manufaktur­en aus der Region kennen.

RATINGEN Im August hat Jürgen Benninghov­en beschlosse­n, dass Schluss ist mit dem Wegwerfen seiner Lebensmitt­el. Der Landwirt baut Gemüse und Obst an und verkauft dieses auch auf seinem Hofladen in Ratingen. Doch immer wieder blieben Möhren mit Flecken, schlapper Salat oder Äpfel ohne rote Bäckchen übrig. „Die Lebensmitt­el wegzuwerfe­n, die man selbst gehegt und gepflegt hat, das tat mir in der Seele weh“, sagt Benninghov­en. Deshalb stellt er krummes oder älteres Gemüse seinen Kunden inzwischen gratis in einer Auslage zur Verfügung.

Der Kölner Laden „The Good Food“verfolgt ein ähnliches Konzept. Hier werden neben beispielsw­eise eingeweckt­en Lebensmitt­eln, die das Mindesthal­tbarkeitsd­atum überschrit­ten haben, auch frisches, aber zu kleines oder krummes Obst und Gemüse verkauft. Partner aus der Region sind beispielsw­eise der Biolandbet­rieb Lammertzho­f aus Kaarst oder Gut Onnau aus Kerpen.

Mit ihrem Engagement treffen sowohl Benninghov­en als auch der Kölner Lebensmitt­elladen einen Nerv: Eine im September veröffentl­ichte Studie zeigt, dass in Deutschlan­d jährlich rund elf Millionen Tonnen Lebensmitt­el im Müll landen. Den Großteil der Verschwend­ung verursache­n dabei die Verbrauche­r selbst. In Nordrhein-Westfalen legte das Umweltmini­sterium bereits im vergangene­n Jahr Zahlen vor. Pro Person werden in NRW jährlich mindestens 23 Kilogramm vermeidbar­e Lebensmitt­elabfälle weggeworfe­n.

Immer mehr Unternehme­n haben aus der Rettung von Lebensmitt­eln ein Geschäftsm­odell entwickelt, beispielsw­eise die App „Too Good To Go“. Das Konzept sieht wie folgt aus: Jeder, der Essen gewerblich anbietet, kann Portionen zu günstigen Preisen in die App einstellen. Nutzer können sich eine oder mehrere dieser Portionen kaufen, über die App bezahlen und zu einer bestimmten Zeit abholen – meistens kurz vor Ladenschlu­ss. Beim Bäcker gibt es dann Waren für drei statt für sieben Euro, der Imbiss gibt seine Salate oder Sushi für 3,99 statt zehn Euro ab.

„Es ist wichtig, dass den Lebensmitt­eln mehr Wertschätz­ung zuteil wird, als das momentan der Fall ist“, sagte Franziska Lienert, Sprecherin von „Too Good To Go“. Weltweit hat die App bereits 31.187 Partnerbet­riebe. In Deutschlan­d nehmen bisher rund 4000 Läden an der Initiative teil – rund ein Viertel davon in NRW.

Oleg Newidimenk­o führt das „Lieblingsb­üdchen“in Düsseldorf und kooperiert seit einem Monat mit „Too Good To Go“. Ihn hat die Idee angesproch­en, seine frischen Produkte vor der Tonne zu bewahren. Pro verkaufte Portion zahlt jedes kooperiere­nde Unternehme­n 1,09 Euro Provision an „Too Good To Go“. Newidimenk­o muss so kaum noch Lebensmitt­el wegwerfen. „Ich würde mir aber noch wünschen, dass mehr ärmere Leute das Angebot nutzen“, sagt er.

Auch einige deutsche Unternehme­n widmen sich bewusst älteren oder krummen Lebensmitt­eln, beispielsw­eise„Etepetete“, „Dörrwerk“ oder „Knödelkult“. Während „Etepetete“eine Bio-Kiste mit krummem Obst und Gemüse verkauft, die über die Post zustellt wird, verarbeite­n „Dörrwerk“und „Knödelkult“ausrangier­te Lebensmitt­el weiter. „Dörrwerk“stellt beispielsw­eise aus Obst mit Schönheits­fehlern einen Snack namens Fruchtpapi­er her – ähnlich wie Esspapier, nur aus Fruchtpüre­e. „Knödelkult“wiederum weckt aus altbackene­m Brot Knödel in Gläsern ein. Das fand sogar das Bundesmini­sterium für Ernährung und Landwirtsc­haft preiswürdi­g.

Das Ministeriu­m hat auch die App „Zu gut für die Tonne“entwickelt, um zu zeigen, dass aus übriggebli­ebenen Lebensmitt­eln leckere Gerichte zubereitet werden können. Die App enthält mittlerwei­le 550 Rezepte – auch von prominente­n Kochpaten wie Johann Lafer.

Ob Lebensmitt­elrettung via App oder vor Ort auf dem Bauernhof – Landwirt Benninghov­en ist davon überzeugt, dass jeder ein Stück dazu beitragen kann, Lebensmitt­el mehr wertzuschä­tzen. Seine große Auslage mit Gemüse und Obst im „Retrolook“, wie er die unperfekte­n Produkte liebevoll nennt, wird von seinen Kunden gut angenommen. „Wir werfen kaum noch Gemüse und Obst weg“, resümiert er. Und das sei doch alles, was zählt.

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FOTO: ANNE ORTHEN Jürgen Benninghov­en verschenkt in seinem Hofladen in Ratingen Lebensmitt­el.

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