Spontaner Besuch einer Nobelpreisträgerin
Am Donnerstag wurde bekannt, dass Olga Tokarczuk den Literaturnobelpreis erhält. Am Tag darauf tauchte sie im Heine-Haus auf.
Im Schaufenster des Heine-Hauses haben sie ein Poster hängen, es zeigt eine Frau mit verschränkten Armen, ihr Blick geht raus in die Welt. Es ist Olga Tokarczuk, sie liest am kommenden Montag in Düsseldorf, das steht unter dem Foto der Autorin, und darüber haben sie nun einen weiteren Zettel geklebt, auf dem steht: „Nobelpreis 2019“.
Man muss improvisieren dieser Tage, denn als Tokarczuk für die Düsseldorfer Lesung zusagte, war nicht klar, dass sie als neue Literatur-Nobelpreisträgerin anreisen würde. Neben dem Österreicher Peter Handke wurde die polnische Autorin von der Schwedischen Akademie ausgewählt, was am Donnerstagmittag bekanntgegeben wurde. Nach eigenen Angaben machte Handke, nachdem er von der Ehre erfahren hatte, das, was man von Handke erwarten würde: Er ging in einem Wald bei Paris spazieren. Tokarczuk fuhr von einer deutschen Autobahn auf den Rastplatz. Sie war gerade auf dem Weg von Berlin nach Bielefeld. Literarische Basisarbeit leisten – Lesereise.
Donnerstags Bielefeld, freitags Siegen, sonntags Essen, montags Düsseldorf. So war es vorgesehen, und so bleibt es auch. Entgegen aller Planungen legte Tokarczuk dann am Freitag aber einen weiteren Stopp ein und kam spontan ins Heine-Haus. Ihr Verleger hatte die Buchhändler Rudolf Müller und Selinde Böhm kurzfristig um ihren Lesesaal gebeten und gemeinsam mit dem Polnischen Institut am Morgen für den Mittag eingeladen: Pressekonferenz, die neue Nobelpreisträgerin, 24 Stunden danach.
Tokarczuk kommt 40 Minuten zu spät, deutsche Autobahnen, ein Graus, Stau, kennt sie schon von kurz vor Bielefeld. Als sie dann da ist, am Eingang der Buchhandlung steht, sagt wer: „Sie kommt.“– „She’s coming?“, fragt ein Journalist aus Polen nach.
Es sind ein halbes Dutzend polnische Medienleute nach Düsseldorf gekommen. Und sie wollen nicht so sehr wissen, wie sich die jetzt erst recht berühmte Landsfrau fühlt, zumal sie schon am Tag zuvor bei Facebook geschrieben hatte, dass sie in Sachen Preisvergabe sprachlos sei. Sie interessieren sich vornehmlich für Tokarczuks Meinung zur polnischen Innenpolitik, denn am Sonntag wird in Polen ein neues Parlament gewählt. Das Thema, so stellt sich dann heraus, ist denn auch so interessant wie der Literaturpreis. Tokarczuk gilt als Kritikerin der rechten Regierungspartei PiS, deren Politiker sie immer wieder heftig angehen.
„Wir leben in einer Welt, in der es schwer ist, nur Schriftstellerin zu sein“, sagt die Autorin. Egal, was man tue und sage, so empfinde sie es, man stehe im Mittelpunkt eines Orkans. Sie sei keine politische Schriftstellerin, aber eine Bürgerin, die von Politik betroffen ist. „Ich mache mir Sorgen“, sagt sie. Es seien die wichtigsten Wahlen in Polen seit 1989. „Wir stehen vor der Wahl zwischen einem demokratischen und einem autoritären System.“
Das geht gegen PiS, die seit 2015 regiert, und unter anderem Einfluss auf die Gerichte nimmt und versucht, Medien unter ihre Kontrolle zu bringen.
Gleichheit ungeachtet der Religion oder der sexuellen Orientierung, Transparenz und eine ökologische Ausrichtung der Wirtschaft, das fordert Olga Tokarczuk im Heine-Haus. Sie ruft dazu auf, am Sonntag seine Stimme für eine Gesellschaft abzugeben, in der niemand ausgegrenzt wird.
Nach Bekanntgabe der Preisträgerin hatte der polnische Kulturminister Piotr Glinski (PiS) den Nobelpreis eilig auch als Auszeichnung für die polnische Kultur vereinnahmt. Gefragt nach der Bedeutung des Preises für Polen, antwortet die Geehrte: Sie habe erfahren, dass in ihrer Heimatstadt Breslau jeder, der eines ihrer Bücher dabei habe, bis Sonntag kostenlos mit Bus und Bahn fahren dürfe – das sei wunderbar. Außerdem habe der Krakauer Oberbürgermeister jüngst beschlossen, ein „ansehnliches Grundstück“der Stadt mit 25.000 Bäumen bepflanzen zu lassen und das Wäldchen nach ihrem Roman „Prawiek“zu benennen – auf Deutsch ist das Buch unter dem Titel„Ur und andere Zeiten“erschienen. Auf die Frage, ob Literatur dieWelt verändern kann, sagt Tokarczuk: „Ja.“