Die Geschichte der Bienen
Roman Folge 52
Sie hofften auf einen guten Kompromiss, jedoch hatte Alberta keine Mitgift zu bieten und auch sonst nichts Vorteilhaftes an sich, ihren üppigen Vorbau einmal ausgenommen. An ihrem mangelnden Engagement lag es auf keinen Fall, genauso gut hätte sie sich in ein Schaufenster stellen können. Sie war so pflückreif, dass sie jedes Mannsbild, das in den Laden trat, wie einen Auserwählten behandelte. Abgesehen davon, dass sie sich einladend über die Theke lehnte und die dampfende, schweißwarme Kluft zwischen ihren Brüsten all jenen darbot, die sie sehen und auch riechen wollten, tat sie keinen Handschlag.Viel mehr hatte sie sicher auch während meiner Krankheit nicht getan und bis zu dem Zeitpunkt, als Thilda sie entlassen musste. Was sie auch anfasste, misslang, und ihre ständige kichernde Anwesenheit machte mich halb benommen, halb wütend. Ihre Begierde, dieses ungehemmte Wesen, und dass sie es überhaupt wagte, all das so offen zur Schau zu stellen…
Das Geschäft lag im Dämmerlicht. Ich zündete ein paar Kerzen und eine Messinglampe an. Der Laden war verblüffend sauber und aufgeräumt. Die breite Theke war leer bis auf das Tintenfass, den Quittungsblock und das schwere Messinggewicht, das ordentlich ans eine Ende platziert worden war. Die ausladende Lampe an der Decke war poliert und der Kolben gesäubert und mit Öl gefüllt worden, zum Gebrauch bereit. Normalerweise war der Boden mit einer knirschenden Schicht Pfefferkörner und Salzflocken bedeckt, die sich bei jedem Schritt bemerkbar machten, jetzt aber war er so blankgescheuert, dass man jede einzelne Schramme erkennen konnte und auch die hellen, abgelaufenen Bereiche der Dielen, die wie ein Pfad von der Theke zur Wand mit den Schubladen und zur Eingangstür führten. Thilda hatte erzählt, dass sie es Alberta überlassen hatte, sich am letzten Tag um die Schließung des Ladens zu kümmern, jedoch nicht erwähnt, dass seither eine andere Person den Laden betreten hatte.War trotzdem jemand hier gewesen?
Ich ging zu einem der Fenster. Die Fensterbank war staubfrei. Nicht eine tote Fliege, wie man es nach all dieser Zeit erwartet hätte. Noch dazu konnte man frei atmen, es roch weder stickig noch abgestanden, sondern frisch gelüftet. Ich lief zu der Wand mit den kleinen Schubladen. Legte die Hand auf einen Griff, zog die Lade heraus und warf einen Blick hinein. Sie war blitzsauber.
Ich untersuchte noch eine. Sauber, auch sie.
Jemand hatte Staub gewischt. War es Alberta gewesen? Soweit ich wusste, war sie inzwischen zur Angestellten in der Bekleidungsabteilung des Kolonialwarenhändlers aufgestiegen, und ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass sie zusätzlich zu dieser ach so wichtigen Tätigkeit noch Zeit und Lust hatte, mir zu helfen.
Wer auch immer es gewesen war – ich konnte nicht umhin, erleichtert zu sein. Alles glänzte, und der Laden war nicht nur zur Wiedereröffnung bereit, sondern obendrein sauberer und aufgeräumter denn je zuvor.
Ich kontrollierte den Warenbestand, der wiederum ein Trauerspiel war, eine Ödnis wie in der Sahara. Das Korn und das Saatgut waren komplett ausgegangen, der Vorrat an Pfeffer, Salz und Kräutern um die Hälfte reduziert. In der für die Blumenzwiebeln vorgesehenen Schublade lagen nur ein paar lose Blätter und vereinzelte weiße Wurzeln. Alberta hatte den Laden geschlossen, als der erste Schnee fiel. Davor hatte sie anscheinend alles verkauft, was es noch an Herbstzwiebeln gab, selbst ein paar zweifelhafte, trockene Narzissen, die schon seit ein paar Jahren bei mir lagerten.
(Fortsetzung folgt)
ERPELINO