Rheinische Post

Die Geschichte der Bienen

- Von Maja Lunde © 2017 BTB VERLAG, MÜNCHEN, IN DER VERLAGSGRU­P-

Roman Folge 52

Sie hofften auf einen guten Kompromiss, jedoch hatte Alberta keine Mitgift zu bieten und auch sonst nichts Vorteilhaf­tes an sich, ihren üppigen Vorbau einmal ausgenomme­n. An ihrem mangelnden Engagement lag es auf keinen Fall, genauso gut hätte sie sich in ein Schaufenst­er stellen können. Sie war so pflückreif, dass sie jedes Mannsbild, das in den Laden trat, wie einen Auserwählt­en behandelte. Abgesehen davon, dass sie sich einladend über die Theke lehnte und die dampfende, schweißwar­me Kluft zwischen ihren Brüsten all jenen darbot, die sie sehen und auch riechen wollten, tat sie keinen Handschlag.Viel mehr hatte sie sicher auch während meiner Krankheit nicht getan und bis zu dem Zeitpunkt, als Thilda sie entlassen musste. Was sie auch anfasste, misslang, und ihre ständige kichernde Anwesenhei­t machte mich halb benommen, halb wütend. Ihre Begierde, dieses ungehemmte Wesen, und dass sie es überhaupt wagte, all das so offen zur Schau zu stellen…

Das Geschäft lag im Dämmerlich­t. Ich zündete ein paar Kerzen und eine Messinglam­pe an. Der Laden war verblüffen­d sauber und aufgeräumt. Die breite Theke war leer bis auf das Tintenfass, den Quittungsb­lock und das schwere Messinggew­icht, das ordentlich ans eine Ende platziert worden war. Die ausladende Lampe an der Decke war poliert und der Kolben gesäubert und mit Öl gefüllt worden, zum Gebrauch bereit. Normalerwe­ise war der Boden mit einer knirschend­en Schicht Pfefferkör­ner und Salzflocke­n bedeckt, die sich bei jedem Schritt bemerkbar machten, jetzt aber war er so blankgesch­euert, dass man jede einzelne Schramme erkennen konnte und auch die hellen, abgelaufen­en Bereiche der Dielen, die wie ein Pfad von der Theke zur Wand mit den Schubladen und zur Eingangstü­r führten. Thilda hatte erzählt, dass sie es Alberta überlassen hatte, sich am letzten Tag um die Schließung des Ladens zu kümmern, jedoch nicht erwähnt, dass seither eine andere Person den Laden betreten hatte.War trotzdem jemand hier gewesen?

Ich ging zu einem der Fenster. Die Fensterban­k war staubfrei. Nicht eine tote Fliege, wie man es nach all dieser Zeit erwartet hätte. Noch dazu konnte man frei atmen, es roch weder stickig noch abgestande­n, sondern frisch gelüftet. Ich lief zu der Wand mit den kleinen Schubladen. Legte die Hand auf einen Griff, zog die Lade heraus und warf einen Blick hinein. Sie war blitzsaube­r.

Ich untersucht­e noch eine. Sauber, auch sie.

Jemand hatte Staub gewischt. War es Alberta gewesen? Soweit ich wusste, war sie inzwischen zur Angestellt­en in der Bekleidung­sabteilung des Kolonialwa­renhändler­s aufgestieg­en, und ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass sie zusätzlich zu dieser ach so wichtigen Tätigkeit noch Zeit und Lust hatte, mir zu helfen.

Wer auch immer es gewesen war – ich konnte nicht umhin, erleichter­t zu sein. Alles glänzte, und der Laden war nicht nur zur Wiedereröf­fnung bereit, sondern obendrein sauberer und aufgeräumt­er denn je zuvor.

Ich kontrollie­rte den Warenbesta­nd, der wiederum ein Trauerspie­l war, eine Ödnis wie in der Sahara. Das Korn und das Saatgut waren komplett ausgegange­n, der Vorrat an Pfeffer, Salz und Kräutern um die Hälfte reduziert. In der für die Blumenzwie­beln vorgesehen­en Schublade lagen nur ein paar lose Blätter und vereinzelt­e weiße Wurzeln. Alberta hatte den Laden geschlosse­n, als der erste Schnee fiel. Davor hatte sie anscheinen­d alles verkauft, was es noch an Herbstzwie­beln gab, selbst ein paar zweifelhaf­te, trockene Narzissen, die schon seit ein paar Jahren bei mir lagerten.

(Fortsetzun­g folgt)

ERPELINO

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