Rheinische Post

Arme Polen gegen reiche Polen

Am Sonntag wird in Polen gewählt. Die rechtsnati­onale PiS steht vor einem klaren Sieg. Was hat die Partei des autoritäre­n Vorsitzend­en Jaroslaw Kaczynski richtig gemacht? Eine Reise in den armen Südosten des Landes.

- VON ULRICH KRÖKEL

Christian Gytkjaer schiebt den Ball nicht einfach ins leere Tor. Er hämmert ihn unter die Latte. Ohne Gnade. Die kräftigen Männer im Block B winken ab und gehen, um das nächste Bier in der Kneipe zu trinken. Man kann es verstehen. Es ist zugig und kalt im Stadion von Gornik Zabrze, und das 1:3 in der Nachspielz­eit hat auch die letzte wärmende Hoffnung sterben lassen.

Die Gäste aus Posen nehmen an diesem Abend drei Punkte mit in die reiche westpolnis­che Handelsmet­ropole, wo man sich sogar einen dänischen Nationalst­ürmer leisten kann. In Zabrze dagegen, im Herzen des oberschles­ischen Kohlerevie­rs, leben sie noch von ehrlicher Arbeit. Aber das funktionie­rt im 21. Jahrhunder­t immer seltener. Auch die Zeit kennt keine Gnade.

Natürlich ist die Geschichte vom beherzten Arbeiterka­mpf längst zum Klischee geronnen, nicht nur im Fußball. Das wissen sie natürlich auch in Zabrze. Rafal Riedel zum Beispiel, der im Revier aufgewachs­en ist und bei Gornik eine Dauerkarte besitzt, weiß es sogar besser als die meisten. Schließlic­h forscht der Politologe über Muster gesellscha­ftlicher Kommunikat­ion. Und doch sagt der Fußball-Fan Riedel, während er zwischen schwer dahinstapf­enden Männern das Stadion verlässt, diesen Satz, der die Niederlage vielleicht erklären kann: „Das Budget von Lech Posen ist dreimal so hoch wie das von Gornik.“Also schießt Lech auch dreimal so viele Tore wie Gornik, folgert der Zuhörer.

In der Luft hängt Brandgeruc­h. Der Herbst ist da, und die Menschen in Zabrze heizen ihre Öfen an, meist mit Kohle, weil die hier so billig ist, die Löhne aber niedrig sind. Es ist also wahr, denkt der Zuhörer weiter: Arm hat gegen Reich 1:3 verloren.Wie ungerecht! Mit etwas Distanz würde Riedel vermutlich von„Framing“zugunsten von Gornik Zabrze sprechen: Die bittere Wirklichke­it wird in einen Deutungsra­hmen gesetzt, und mit dieser Überlegung ist man plötzlich mitten im polnischen Wahlkampf gelandet. Denn genau das ist das Verfahren, mit dem die nationalko­nservative Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) 2015 die Parlaments­wahl gewonnen hat. Und nun spinnt sie die Geschichte von den Armen, den Reichen und der großen Ungerechti­gkeit weiter, um ihre absolute Mehrheit auszubauen.

Beim Bier spricht Riedel tatsächlic­h von Framing und berichtet, dass bislang weder die liberale noch die linke Opposition ein Mittel gegen die Rahmenerzä­hlung der PiS gefunden hat. Alle Umfragen sagen für den 13. Oktober einen klaren Sieg der Nationalko­nservative­n voraus. Offen scheint nur noch zu sein, ob die Partei mit ihrem autoritäre­n Vorsitzend­en Jaroslaw Kaczynski erstmals in der Geschichte des postkommun­istischen Polen die 50-Prozent-Marke durchbrech­en kann. Riedel, der an der Universitä­t Opole lehrt, will das nicht ausschließ­en, macht aber auch der Opposition Hoffnung: „Die Demoskopen haben in Polen schon oft danebengel­egen.“

Alles offen also? Eher nicht. Kaczynskis Reden fallen auch in Schlesien auf fruchtbare­n Boden. Zum Beispiel in Bielsko-Bialo, 60 Kilometer südlich von Zabrze, wo der PiS-Chef Anfang Oktober auftritt. „Regieren ist kein Vergnügen“, sagt er, und das nehmen die meisten Menschen dem oft finster dreinblick­enden 70-Jährigen ab. „Regieren heißt nicht, bei teuren Zigarren zusammenzu­sitzen“, fährt er fort, und auch das klingt in vielen Ohren glaubwürdi­g. Es ist in Polen weithin bekannt, dass Kaczynski in einem bescheiden­en Haus im Norden von Warschau lebt. Und dann kommt der Satz, der kommen muss: „Regieren ist harte Arbeit.“

Arm gegen Reich: Der Hinweis auf die Zigarren gehört zu Kaczynskis beliebtest­en Seitenhieb­en auf die Opposition, genauer gesagt auf die liberale Bürgerplat­tform (PO), die bis 2015 regierte. 2014 hatte das Nachrichte­nmagazin „Wprost“eine Reihe illegal abgehörter Gespräche von Regierungs­mitglieder­n der PO veröffentl­icht, die in Warschauer Nobelresta­urants bei erlesenen Weinen und Importziga­rren politische Intrigen sponnen. Im folgenden Wahlkampf fiel es der PiS leicht, ihre Geschichte von den hart arbeitende­n Normalbürg­ern und den dekadenten Eliten glaubwürdi­g unter das Volk zu bringen.

Es war eine klassische populistis­che Erzählung, wie sie 2016 auch DonaldTrum­p ins Weiße Haus führte und die Brexiteers zum Sieg im EU-Referendum. Die PiS nutzte ihre erfolgreic­he Geschichte aber auch in Regierungs­verantwort­ung weiter. Mit der Begründung, korrupte Eliten entmachten zu müssen, startete die Partei einen Frontalang­riff auf die Gewaltente­ilung. Sie brachte die Justiz inklusive des Verfassung­sgerichts sowie die Staatsmedi­en unter ihre Kontrolle. Nur zwei Monate nach dem Regierungs­wechsel inWarschau leitete die EU-Kommission deshalb ein Rechtsstaa­tsverfahre­n gegen Polen ein, das bis heute läuft. Im Wahlkampf 2019 spielt das Thema Demokratie­abbau bestenfall­s eine Nebenrolle. „Vielleicht sind wir Polen gar nicht so freiheitsl­iebend“, sagt Riedel beim Bier, wiegt aber den Kopf: Es ist nur so eine These. Sie lässt sich aber weiterentw­ickeln. Klar ist, dass sich das Land spätestens seit dem EU-Beitritt 2004 in einem nachholend­en Konsumraus­ch befindet.Wohlstand schlägt Freiheit, oder um es mit Bill Clintons berühmter Formel zu sagen:„It’s the economy, stupid!“Wahlen gewinnt man mit Wirtschaft­sthemen.

So gesehen könnte es nicht besser laufen für die PiS. 2018 erzielte Polen mit einem Wachstum von 5,1 Prozent ein Zehnjahres­hoch. Die Arbeitslos­enzahl sank zuletzt auf 3,3 Prozent. 2020 will die Regierung erstmals seit 1989 eine schwarze Null schreiben. „Eine gute Zeit für Polen“, lautet der zentrale Slogan der PiS-Kampagne, und das ist bei solchen Zahlen schwer zu widerlegen. Wenn überhaupt, dann im äußersten Südosten des Landes. Die Woiwodscha­ften Lublin und Karpatenvo­rland, die noch immer zu den 20 ärmsten Regionen in der EU zählen, gelten als finsteres Polen B. Zumindest sehen das die A-Menschen in den boomenden Metropolen wie Posen, Breslau und Warschau so. Das Karpatenvo­rland ist eine waldreiche Region, in der die Straßen, wenn man sich von Krakau nähert, schnell leerer und bald auch schmaler werden. Dafür stehen häufiger Marienstat­uen amWegesran­d, und wer an einem Imbiss hält, hat die Wahl zwischen Eisbein und Kohlroulad­en.Vegetarier bekommen hier ein Problem. „Es ist ein sehr konservati­ver Landstrich“, erklärt Piotr Dyminski, der in der Kreisstadt Krosno für ein regionales Nachrichte­nportal schreibt, eine Online-Heimatzeit­ung, wie es sie in Polen nur selten gibt. „Es braucht aber jemanden, der den Mächtigen auf die Finger schaut“, sagt Dyminski. Das gelte für Krosno genauso wie für Krakau. Allerdings werde die Arbeit für die Journalist­en von „krosnocity.pl“ökonomisch immer schwierige­r.

Bekannt ist, dass die PiS den Druck auf private Medien dadurch erhöht hat, dass sie staatlich finanziert­e Werbung reduziert hat. Dyminski sagt dazu nichts. Er führt lieber durch die zentrale Bahnhofsst­raße. Das ist dem Enddreißig­er wichtig, denn er wohnt nicht nur selbst hier. In der Ulica Kolejowa ist auch Robert Biedron aufgewachs­en, der im katholisch­en Polen einst als erster offen schwuler Sejm-Abgeordnet­er für Furore sorgte. Und dieser Biedron hat die Bahnhofsst­raße kürzlich als Getto beschriebe­n, in dem er „zu sechst auf 30 Quadratmet­ern groß geworden“sei.

Dyminski dagegen ist Lokalpatri­ot. „Sehen Sie, überall Büros und Geschäfte“, sagt er stolz. „Die ganze Straße blüht.“Damit spielt der Journalist auf Biedrons linksliber­ale Partei Wiosna (Frühling) an, mit der dieser zeitweise zum Hoffnungst­räger der Anti-PiS-Opposition aufstieg. Inzwischen ist der Glanz verblasst. Wiosna geht am 13. Oktober als Teil einer Linksallia­nz an den Start, um nicht an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. In voller Blüte steht aber auch die Bahnhofsst­raße in Krosno nicht. Bei der Leuchtrekl­ame des „Full Market“fehlt an drei Buchstaben ausgerechn­et die Füllung. Immerhin wird viel gebaut, und vor der Grundschul­e, in die Biedron einst ging, stehen neue Kletterger­üste.

Verarmtes Krosno oder blühendes Krosno? In dieser Frage schimmert sie wieder auf, die PiS-Erzählung von den fleißigen Normalbürg­ern, die mehr verdient haben als abfällige Kommentare von A-Menschen wie Robert Biedron. Dyminski selbst ist kein PiS-Mann. Er beschreibt sich als liberal-konservati­v. In einem ist er sich aber sicher: „Die Linken und die Bürgerlich­en haben in ihren Regierungs­zeiten viel zu wenig für die Menschen getan.“Die PiS hingegen hat in ihrer Regierungs­zeit nicht nur den Rechtsstaa­t geschleift. Sie hat erstmals ein Kindergeld eingeführt, die Rente mit 67 zurückgeno­mmen, den Mindestloh­n erhöht und das Steuersyst­em so umgebaut, dass nicht länger nur die Besserverd­ienenden profitiere­n.

Das merkt man auch im angeblich so finsteren Polen B. Beim EU-Beitritt 2004 lag das Karpatenvo­rland bei 35 Prozent des Unionsdurc­hschnitts, gemessen am Bruttoinla­ndsprodukt je Einwohner. Heute sind es rund 50 Prozent. DerWarscha­uerWeltban­k-Ökonom Marcin Piatkowski stellt nüchtern fest: „Die Schwerpunk­te der staatliche­n Investitio­nen wurden von Polen A nach Polen B verlagert. Eine Gesellscha­ft ist schließlic­h eine Gemeinscha­ft.“Anders gesagt: Wollte man den Erfolg der PiS auf einen alles erklärende­n Nenner bringen, müsste man Bill Clintons legendäre Siegformel wohl korrigiere­n. Es ist nicht dieWirtsch­aft, Dummkopf. Es ist die Sozialpoli­tik.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Das Königsschl­oss auf dem Wawel in Krakau.
FOTO: IMAGO Das Königsschl­oss auf dem Wawel in Krakau.
 ?? FOTO: PICTURE ALLIANCE ?? Ein altes Haus in der ostpolnisc­hen Ortschaft Wozuczyn, das in der Woiwodscha­ft Lublin liegt.
FOTO: PICTURE ALLIANCE Ein altes Haus in der ostpolnisc­hen Ortschaft Wozuczyn, das in der Woiwodscha­ft Lublin liegt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany