Ali Can löste eine bundesweite Debatte aus. Jetzt hat er ein Buch über das Deutschsein geschrieben.
Mit seiner Twitter-Bewegung „Me Two“hat Ali Can eine Diskussion über alltäglichen Rassismus eröffnet. Jetzt folgen ein neues Buch und eine eigene Sendung.
DÜSSELDORF Es ist schwer, einen Text über Ali Can zu schreiben, ohne dabei allzu pathetisch in Klischees zu verfallen. Sein Weg war nicht der vom Tellerwäscher zum Millionär, sehr wohl aber der vom abgelehnten Asylbewerber in Duldung zum Studenten, Autoren, Aktivisten und Gast des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue. Aber von Anfang an.
Der 26-jährige Ali Can hat im vergangenen Jahr eine Bewegung losgetreten, die als Paradigmenwechsel im öffentlichen Diskurs gilt: Als im Sommer 2018 anlässlich des Rücktritts von Mesut Özil aus der Fußball-Nationalmannschaft eine Rassismus-Debatte im Land tobte, rief Can in den sozialen Netzwerken Menschen mit Migrationshintergrund dazu auf, ihre Erfahrungen mit Diskriminierung zu teilen. Den Hashtag„Me Too“zumVorbild nehmend, durch den Millionen Frauen im Netz auf sexuellen Missbrauch aufmerksam machten, kreierte Can den Hashtag „Me Two“, um zu verdeutlichen, dass viele Menschen in Deutschland eben nicht nur eine Identität, sondern zwei oder mehr haben – „Me Two“, also „Ich Zwei“. Innerhalb weniger Tage teilten mehr als 40.000 Menschen auf Twitter in rund 153.000 Tweets ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus. Sie berichteten von Diskriminierung in Schulen, auf der Straße, im Freundeskreis und im Beruf.
Jetzt, rund anderthalb Jahre später, hat Can ein Buch veröffentlicht. Wie hat er das Jahr nach „Me Two“erlebt, und was bedeutet ihm dieses Buch?„Ich mache mich sehr verletzlich, denn das Buch ist sehr persönlich“, sagt er und überlegt lange. „Das Thema Alltagsrassismus und Zugehörigkeit beleuchte ich anhand meiner eigenen, aber auch der Geschichte meiner Eltern.Wir sind zerrissen, auf der einen Seite suchen wir nach Anerkennung, auf der anderen Seite wollen wir uns emanzipieren.“
Ali Can stellt auf geradezu ideale Weise die Uneindeutigkeit heutiger Identitäten dar: Er ist Deutscher, Essener, Nordrhein-Westfale. Er ist aber auch der in Anatolien geborene Türke, dessen Eltern einen Dönerimbiss betreiben. Gekommen ist die Familie aber nicht als Gastarbeiter nach Deutschland. Ali Can ist kurdischer Alevit, gehört also einer ethnischen und religiösen Minderheit an. Die Familie floh 1995 nach Deutschland und beantragte Asyl. Nach jahrelanger Duldung und Abschiebegefahr bekam Can mit 21 Jahren den deutschen Pass.
Wenn man ihn nun fragt, wer oder was er ist, antwortet er: „Ich bin Sozialaktivist.“Eines ist Can bei aller Diskriminierung, Behörden-Schikanierung, subtilem und offenem Rassismus, die er erlebt hat, nicht: negativ, gar jammernd. Wenn es eine
Richtung bei ihm gibt, dann nach vorne – allerdings so, dass alle mitkommen und keiner auf der Strecke bleibt. „Bei allem, was ich tue und sage, ist mir das Konstruktive sehr wichtig“, sagt Can.
Man darf Cans zutiefst freundliches, ja helles Gemüt allerdings nicht missverstehen. Er besucht Pegida-Demonstrationen, spricht mit AfD-Wählern, bietet eine Hotline für besorgte Bürger an und ist der Erste, der diese Personen und ihre Ängste gegen jene verteidigt, die diese Sorgen nicht ernst nehmen. Das alles macht er aber nicht aus naiver Gutmütigkeit heraus, sondern weil es ihm wichtiger ist, Menschen durch Gespräche zum Nachdenken und Hinterfragen zu bewegen, statt sie als unverbesserliche Hinterwäldler abzuschreiben. „Mir ging es nicht darum zu belehren, sondern auf Augenhöhe zu diskutieren. Man tauscht sich aus und versucht, einander zu verstehen“, schreibt er in seinem Buch. Und: „Ich wollte das Feld nicht den Radikalen überlassen.“Seinen Ansatz erklärt Can so:„Was kann ich für unsere Gesellschaft beitragen, so dass wir friedlich zusammenleben können?“
Wie geht er mit dem Erfolg um, den er nach „Me Two“und nun mit seinem Buch hat?„Es ist schön, dass die Menschen das so annehmen. Dass ich zum Beispiel Gast auf der Frankfurter Buchmesse war, macht meine Eltern sehr stolz“, sagt Can und schaut, als könne er es selbst noch nicht ganz glauben. „,Me Two’ war das erste Mal, dass wir Menschen mit Migrationsgeschichte aktiv mitdiskutiert haben.“Mit den Erfahrungen, die durch „Me Two“geteilt wurden, sei „eine Schallmauer durchbrochen“. „Wir haben deutlich gemacht, dass wir uns Rassismus nicht mehr gefallen lassen, und das ist der Gipfel der Integration: Wir gestalten die Gesellschaft mit.“Mehr noch: Unter„Me Queer“haben sich kurze Zeit später Schwule, Lesben,
Trans- und Intersexuelle zu
Wort gemeldet und von ihren Diskriminierungserfahrungen erzählt. „Durch ,Me Two’ haben wir nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund, sondern überhaupt marginalisierte Gruppen ermutigt, für Gerechtigkeit einzustehen.“
An eine Pause denkt Can nicht. Am Sonntag startet seine Youtube-Sendung: „Das wird eine Art Late-Night-Show, in der wir über Integration, Deutschsein, Engagement und gesellschaftlichen Zusammenhalt reden werden – mit kompetenten Gästen.“Zu denen gehören unter anderem Integrationsminister Joachim Stamp, „Spiegel“-Kolumnistin Ferda Ataman und Migrationsforscher Aladin El-Mafaalani. Der Uni-Professor und Leiter der Koordinierungsstelle muslimisches Engagement in NRW kennt Ali Can schon länger: „Einerseits verkörpert Ali Can einen neuen Spirit von jungen aktiven Menschen mit internationaler Geschichte in Deutschland, andererseits ist er sehr speziell, denn er ist zuallererst an gesamtgesellschaftlichem Zusammenhalt interessiert, also auch daran, dass es nicht nur um Veränderungen geht, sondern teilweise auch Erhalt“, sagt El-Mafaalani über Can. „In dieser Hinsicht ist er für die Generation dieser neuen Aktivisten eher konservativ, man muss schon fast sagen: patriotisch.“