Wie sich Radeberger, Bautzner Senf und Spreewaldgurken im Westen durchsetzten.
Was haben eine Radarfalle, ein Hipster-Bike und die Uhr des früheren US-Präsidenten Bill Clinton gemeinsam? Sie alle stehen für etablierte Marken aus Ostdeutschland.
DÜSSELDORF Lange Schlangen, keine Auswahl – so lästerlich ist das Einkaufserlebnis in der ehemaligen DDR wohl treffend beschrieben. Mit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung verdrängten zunehmend Westprodukte die DDR-Waren aus den Regalen der Supermärkte.
Doch nachdem die erste Euphorie über Mauerfall und das geeinte Deutschland einem nüchterneren Bild der Herausforderungen gewichen war, erlebten die Produkte „Made in Eastern Germany“eine Renaissance. Das galt insbesondere im Bereich der Lebensmittel. Ob nun Gurken aus dem Spreewald, Doppelkorn aus Nordhausen oder Senf aus Bautzen – sie alle waren nicht einfach so aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden, sondern schafften es zunehmend auch in die West-Haushalte. Ein Überblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
Alkoholisches Mit pompösen Werbespots, die golden strahlende Dresdener Semper-Oper im Hintergrund, drängte das Radeberger Pilsener aus Sachsen zur besten Sendezeit zunächst auf die bundesrepublikanischen Bildschirme und später in die Getränkemärkte. Die Radeberger-Gruppe mauserte sich zum Marktführer in Sachen Bier und hat ihr Sortiment durch stete Zukäufe erweitert: Schlösser Alt und auch Kölsch-Marken wie Sester, Sion, Kurfürsten, Küppers und Gilden sind Zeugnis des Vorstoßes bis tief ins Rheinland. Radeberger, das Fernsehbier, gilt vielfach als massentauglich.
Der Rotkäppchen-Sekt schaffte übrigens auf ähnliche Weise den Weg in die Kühlschränke der Wessis. Nach der Wende brach der Absatz um 50 Prozent ein.Westprodukte waren mehr sexy. Der Fortbestand der Marke war ungewiss. Doch auch hier waren es ab 1995 geschickt platzierte TV-Spots, die dem prickelnden Schaumwein aus dem sachsen-anhaltinischen Freyburg den Weg zurück in die Erfolgsspur ebneten.
Süßwaren Neben schmackhaften Schokoladen-Pralinen produzierte das Unternehmen Halloren aus Halle an der Saale zuletzt eher Negativschlagzeilen. Gewinn und Umsatz schrumpften, ab dem kommenden Jahr will die Firma dank einer schmerzhaften Schrumpfkur, die neben dem Sortiment auch die 230
Mitarbeiter treffen wird, wieder Gewinne schreiben. Die Strategie des Managements: Bekanntheit imWesten gewinnen.
Dass sich Knäckebrot durchaus als Süßigkeit eignet, dafür steht die Firma Zetti aus Leipzig. Deren bekanntestes Produkt sind die Knusperflocken: mit Schokolade ummanteltes Knäckebrot. Und natürlich der Schokoriegel Bambina – in den 50er Jahren entwickelt, setzte das Unternehmen ab 1998 diesen ganz bewusst wieder stärker in Szene. Retro wirkt.
Das gilt auch für eine Milchsüßspeise mit dem charmanten Namen „Leckermäulchen“. Während imWesten der Fruchtzwerg von Danone Kinderherzen höher schlagen ließ, war es im Osten zunächst ein rotgesichtiges Mädchen mit schwarzen Haaren, das inzwischen von einem grauhaarigen Mädchen abgelöst wurde: Die Creme aus Quark, Vanillearoma, Zucker, Gelatine und geschlagener Schlagsahne wird mit Hilfe von Stickstoff schaumig aufgeschlagen. Das Rezept ist laut Frischli Milchwerken seit 1979 unverändert.
Waschmittel Das Persil des Ostens ist in Wahrheit ein Henkel-Produkt. 1945 wurde das Genthiner Henkelwerk zu einemVolkseigenen Betrieb umgewandelt, also enteignet. 1968 brachte das Werk ein Waschmittel auf den Markt, dessen Namen sich aus den Anfangsbuchstaben des Wortes Spezial-Entwicklung zusammensetzt. Nach der Wiedervereinigung erwarben die Düsseldorfer das Genthiner Werk von der Treuhand zurück. Die Marke Spee blieb am Leben. Der Spee-Sparfuchs ist im Übrigen eine Marketing-Erfindung der Nachwende-Zeit.
Zeitmesser In der sächsischen Uhrmacher-Gemeinde Glashütte hat sich nicht ein einziges Unternehmen angesiedelt, sondern gleich eine ganze Reihe von weltbekannten Manufakturen. Firmen wie Lange und Söhne, Bruno Söhnle oder Nomos haben dort ihre Standbeine. Der 42. US-Präsident, Bill Clinton, soll auf eine Nomos Tangente schwören – ein Modell, das auch von deutschen Politikern geschätzt wird: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ließ sich ein solches Modell von seiner Frau zum 50. Geburtstag schenken. Auch Künstler setzen auf die sächsische Handwerkskunst: So wird Bruce Springsteen zum Kreis der Besitzer einer Navigator Glashütte Original gezählt.
Fahrräder Ein Brüderpaar aus der Niederlausitz hat maßgeblich mitbestimmt, wie wir uns heute per Drahtesel fortbewegen: Die Brüder Friedrich und Wilhelm Nevoigt entwickelten die Fahrradkette, wie sie bis heute noch genutzt wird. Ihr erstes Diamant-Fahrrad lief 1895 vom Band. Vor allem im Großstädtischen Milieu sind die schlichten Retro-Modelle der Chemnitzer begehrt. Inzwischen tummelt sich das Unternehmen zunehmend auch auf dem E-Bike-Markt. Die Qualität hat ihren Preis. Das teuerste E-Bike aus dem Hause Diamant schlägt mit stolzen 6500 Euro zu Buche.
Optik Die Stadt Jena ist untrennbar mit dem Namen Carl Zeiss verbunden. Der Feinmechaniker stammte eigentlich aus Weimar, wählte aber Jena für den Standort seiner Mikroskope-Manufaktur. Das Unternehmen blühte auf und entwickelte sich zum Industriebetrieb. Nach der Wende wurde der Volkseigene Betrieb in zwei Unternehmen aufgespalten: Jenoptik und Carl Zeiss. Zeiss steht für hochwertige Mikroskopie und anderweitige Bildgebungsinstrumente wie Röntgengeräte, aber auch Fernrohre, Spiegelteleskope und Ausrüstungen für Observatorien. Der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Spät (CDU) war von 1991 bis 2003 Geschäftsführer des anderen Unternehmens: Jenoptik stellt neben vollautomatisierten Fertigungsstraßen und Lasern für die Industrie unter anderem auch die gängigen „Blitzer“für Raser her.
Zerbrechliches Die älteste Porzellanmanufaktur Europas hat ihren Sitz in Meißen. Noch unter August dem Starken (1670-1733) im Jahr 1710 gegründet, produziert sie bis heute dsa „weiße Gold“. Das Porzellan aus dem Hause des sächsischen Staatsbetriebs ist jedoch nicht gerade etwas für Menschen mit schmalem Budget. Ein einzelner Teller mit Kadinsky-Bemalung schlägt mit mehr als 1000 Euro zu Buche. Nachdem ab 2008 ausschließlich eine Luxusstrategie gefahren wurde, konzentriert sich das Unternehmen seit 2015 jedoch wieder etwas stärker auf einen breiteren Markt.