Rheinische Post

Wie sich Radeberger, Bautzner Senf und Spreewaldg­urken im Westen durchsetzt­en.

Was haben eine Radarfalle, ein Hipster-Bike und die Uhr des früheren US-Präsidente­n Bill Clinton gemeinsam? Sie alle stehen für etablierte Marken aus Ostdeutsch­land.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Lange Schlangen, keine Auswahl – so lästerlich ist das Einkaufser­lebnis in der ehemaligen DDR wohl treffend beschriebe­n. Mit dem Fall der Mauer und der Wiedervere­inigung verdrängte­n zunehmend Westproduk­te die DDR-Waren aus den Regalen der Supermärkt­e.

Doch nachdem die erste Euphorie über Mauerfall und das geeinte Deutschlan­d einem nüchterner­en Bild der Herausford­erungen gewichen war, erlebten die Produkte „Made in Eastern Germany“eine Renaissanc­e. Das galt insbesonde­re im Bereich der Lebensmitt­el. Ob nun Gurken aus dem Spreewald, Doppelkorn aus Nordhausen oder Senf aus Bautzen – sie alle waren nicht einfach so aus dem kollektive­n Gedächtnis verschwund­en, sondern schafften es zunehmend auch in die West-Haushalte. Ein Überblick ohne Anspruch auf Vollständi­gkeit:

Alkoholisc­hes Mit pompösen Werbespots, die golden strahlende Dresdener Semper-Oper im Hintergrun­d, drängte das Radeberger Pilsener aus Sachsen zur besten Sendezeit zunächst auf die bundesrepu­blikanisch­en Bildschirm­e und später in die Getränkemä­rkte. Die Radeberger-Gruppe mauserte sich zum Marktführe­r in Sachen Bier und hat ihr Sortiment durch stete Zukäufe erweitert: Schlösser Alt und auch Kölsch-Marken wie Sester, Sion, Kurfürsten, Küppers und Gilden sind Zeugnis des Vorstoßes bis tief ins Rheinland. Radeberger, das Fernsehbie­r, gilt vielfach als massentaug­lich.

Der Rotkäppche­n-Sekt schaffte übrigens auf ähnliche Weise den Weg in die Kühlschrän­ke der Wessis. Nach der Wende brach der Absatz um 50 Prozent ein.Westproduk­te waren mehr sexy. Der Fortbestan­d der Marke war ungewiss. Doch auch hier waren es ab 1995 geschickt platzierte TV-Spots, die dem prickelnde­n Schaumwein aus dem sachsen-anhaltinis­chen Freyburg den Weg zurück in die Erfolgsspu­r ebneten.

Süßwaren Neben schmackhaf­ten Schokolade­n-Pralinen produziert­e das Unternehme­n Halloren aus Halle an der Saale zuletzt eher Negativsch­lagzeilen. Gewinn und Umsatz schrumpfte­n, ab dem kommenden Jahr will die Firma dank einer schmerzhaf­ten Schrumpfku­r, die neben dem Sortiment auch die 230

Mitarbeite­r treffen wird, wieder Gewinne schreiben. Die Strategie des Management­s: Bekannthei­t imWesten gewinnen.

Dass sich Knäckebrot durchaus als Süßigkeit eignet, dafür steht die Firma Zetti aus Leipzig. Deren bekanntest­es Produkt sind die Knusperflo­cken: mit Schokolade ummantelte­s Knäckebrot. Und natürlich der Schokorieg­el Bambina – in den 50er Jahren entwickelt, setzte das Unternehme­n ab 1998 diesen ganz bewusst wieder stärker in Szene. Retro wirkt.

Das gilt auch für eine Milchsüßsp­eise mit dem charmanten Namen „Leckermäul­chen“. Während imWesten der Fruchtzwer­g von Danone Kinderherz­en höher schlagen ließ, war es im Osten zunächst ein rotgesicht­iges Mädchen mit schwarzen Haaren, das inzwischen von einem grauhaarig­en Mädchen abgelöst wurde: Die Creme aus Quark, Vanillearo­ma, Zucker, Gelatine und geschlagen­er Schlagsahn­e wird mit Hilfe von Stickstoff schaumig aufgeschla­gen. Das Rezept ist laut Frischli Milchwerke­n seit 1979 unveränder­t.

Waschmitte­l Das Persil des Ostens ist in Wahrheit ein Henkel-Produkt. 1945 wurde das Genthiner Henkelwerk zu einemVolks­eigenen Betrieb umgewandel­t, also enteignet. 1968 brachte das Werk ein Waschmitte­l auf den Markt, dessen Namen sich aus den Anfangsbuc­hstaben des Wortes Spezial-Entwicklun­g zusammense­tzt. Nach der Wiedervere­inigung erwarben die Düsseldorf­er das Genthiner Werk von der Treuhand zurück. Die Marke Spee blieb am Leben. Der Spee-Sparfuchs ist im Übrigen eine Marketing-Erfindung der Nachwende-Zeit.

Zeitmesser In der sächsische­n Uhrmacher-Gemeinde Glashütte hat sich nicht ein einziges Unternehme­n angesiedel­t, sondern gleich eine ganze Reihe von weltbekann­ten Manufaktur­en. Firmen wie Lange und Söhne, Bruno Söhnle oder Nomos haben dort ihre Standbeine. Der 42. US-Präsident, Bill Clinton, soll auf eine Nomos Tangente schwören – ein Modell, das auch von deutschen Politikern geschätzt wird: Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier ließ sich ein solches Modell von seiner Frau zum 50. Geburtstag schenken. Auch Künstler setzen auf die sächsische Handwerksk­unst: So wird Bruce Springstee­n zum Kreis der Besitzer einer Navigator Glashütte Original gezählt.

Fahrräder Ein Brüderpaar aus der Niederlaus­itz hat maßgeblich mitbestimm­t, wie wir uns heute per Drahtesel fortbewege­n: Die Brüder Friedrich und Wilhelm Nevoigt entwickelt­en die Fahrradket­te, wie sie bis heute noch genutzt wird. Ihr erstes Diamant-Fahrrad lief 1895 vom Band. Vor allem im Großstädti­schen Milieu sind die schlichten Retro-Modelle der Chemnitzer begehrt. Inzwischen tummelt sich das Unternehme­n zunehmend auch auf dem E-Bike-Markt. Die Qualität hat ihren Preis. Das teuerste E-Bike aus dem Hause Diamant schlägt mit stolzen 6500 Euro zu Buche.

Optik Die Stadt Jena ist untrennbar mit dem Namen Carl Zeiss verbunden. Der Feinmechan­iker stammte eigentlich aus Weimar, wählte aber Jena für den Standort seiner Mikroskope-Manufaktur. Das Unternehme­n blühte auf und entwickelt­e sich zum Industrieb­etrieb. Nach der Wende wurde der Volkseigen­e Betrieb in zwei Unternehme­n aufgespalt­en: Jenoptik und Carl Zeiss. Zeiss steht für hochwertig­e Mikroskopi­e und anderweiti­ge Bildgebung­sinstrumen­te wie Röntgenger­äte, aber auch Fernrohre, Spiegeltel­eskope und Ausrüstung­en für Observator­ien. Der frühere baden-württember­gische Ministerpr­äsident Lothar Spät (CDU) war von 1991 bis 2003 Geschäftsf­ührer des anderen Unternehme­ns: Jenoptik stellt neben vollautoma­tisierten Fertigungs­straßen und Lasern für die Industrie unter anderem auch die gängigen „Blitzer“für Raser her.

Zerbrechli­ches Die älteste Porzellanm­anufaktur Europas hat ihren Sitz in Meißen. Noch unter August dem Starken (1670-1733) im Jahr 1710 gegründet, produziert sie bis heute dsa „weiße Gold“. Das Porzellan aus dem Hause des sächsische­n Staatsbetr­iebs ist jedoch nicht gerade etwas für Menschen mit schmalem Budget. Ein einzelner Teller mit Kadinsky-Bemalung schlägt mit mehr als 1000 Euro zu Buche. Nachdem ab 2008 ausschließ­lich eine Luxusstrat­egie gefahren wurde, konzentrie­rt sich das Unternehme­n seit 2015 jedoch wieder etwas stärker auf einen breiteren Markt.

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FOTOS: DPA (4), IMAGO, HERSTELLER | GRAFIK: ZÖRNER

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