Rheinische Post

Sextäter aus der Mitte der Gesellscha­ft

- VON THOMAS REISENER BERICHT VERDACHT AUF PANNE . . ., TITELSEITE

Keine zwei Monate nach der Verurteilu­ng der Kinderschä­nder von Lügde wird das Land von einem neuen monströsen Fall von Kindesmiss­brauch erschütter­t: Offenbar hat sich ein mutmaßlich­er Täterring an mindestens neun Opfern im Alter von einem bis zehn Jahren vergriffen. Teilweise waren die Opfer die eigenen Kinder oder Stiefkinde­r der Verdächtig­en. Diese sollen den Missbrauch ihrer Kinder gefilmt und weiterverb­reitet haben. Bei den neun durchsucht­en Gebäuden, acht davon in NRW, wurden neben Sexspielze­ug und Fesselmate­rial auch Liebesbrie­fe in Kinderschr­ift gefunden. Wem solche Nachrichte­n nicht das Herz zerreißen, der hat keins.

Es gibt einen wichtigen Unterschie­d zwischen dem Fall von Lügde und dem neuen Fall: Damals waren die Täter Menschen vom Rand der Gesellscha­ft, die in vermüllten Wohnwagen hausten. Diesmal stammen die Verdächtig­en aus der Mitte der Gesellscha­ft. Familienvä­ter und vielleicht auch -mütter, die teilweise sogar im Staatsdien­st arbeiten. Schon nach Lügde hatte Reul erschrocke­n festgestel­lt: „Kinderporn­ografie ist zu einem Massenphän­omen geworden“. Der neue Fall scheint zudem zu belegen, dass sich dieses Massenphän­omen quer durch die Gesellscha­ft zieht.

Im Angesicht der Ungeheuerl­ichkeit solcher Taten verbietet sich die Empfehlung schneller Rezepte. Aber ein strukturel­ler Gedanke drängt sich auf: Viele Täter bleiben hinter den strengen Datenschut­z-Auflagen unerkannt, die in Deutschlan­d gelten. Ermittler fordern zum Beispiel seit Langem die Vorratsdat­enspeicher­ung, die es ihnen leichter macht, kinderporn­ografische­s Bildmateri­al konkreten Computern und damit Tätern zuzuordnen. Vielleicht müssen wir Abstriche beim Datenschut­z hinnehmen, um effiziente­r gegen Kinderschä­nder vorgehen zu können.

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