Rheinische Post

Richter sind auch nur Menschen

Warum Kritik an Gerichtsur­teilen nicht nur erlaubt, sondern auch geboten ist.

- Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de REINHOLD MICHELS

Szene bei einem Treffen im privaten Kreis: Ein politisch wacher Kopf und Wirtschaft­spraktiker erinnerte an den neulich vom Landgerich­t Berlin gefassten Beschluss, wonach Beleidigun­gen aus der untersten Schublade gegen die Politikeri­n Renate Künast keine Beleidigun­g im Sinne des Strafgeset­zbuches darstellte­n: Unfassbar sei so etwas, was geschehe eigentlich mit dem dafür verantwort­lichen Richter? Zwei am Tisch sitzende Juristen sprachen unisono und mit leisem Entsetzen ihr „Einspruch, euer Ehren“. Der Nicht-Jurist erhielt freundlich-bestimmt eine Unterweisu­ng über richterlic­he Unabhängig­keit als Wesensmerk­mal des

Rechtsstaa­tes: Sie dürfe niemals zur Dispositio­n stehen. Einerseits: Die Meinung hat das Grundgeset­z auf ihrer Seite. Artikel 97 lässt keine Zweifel zu: „Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfe­n.“Wäre es anders, gäbe es den Rechtsstaa­t nicht. Richter stehen für die Dritte Gewalt im Staat, was nicht heißt, dass die beiden anderen, Gesetzgebu­ng und Regierung, über ihr rangierten. Allein wenn ihnen eine vorsätzlic­h begangene Rechtsbeug­ung nachgewies­en wird, sie also den Rechtsstaa­t pervertier­en, sind Richter-Voten Fälle für den Staatsanwa­lt. Anderersei­ts: Gegen gottlob nicht rechtskräf­tige Entscheidu­ngen wie im

Künast-Verfahren ist harte Kritik nicht nur erlaubt, sondern geboten. Es legt nicht gleich die Axt an den Rechtsstaa­t, wer ein Urteil öffentlich als grottensch­lecht oder privat als saudumm bezeichnet. Ja, es gibt, wie in jedem anderen Beruf, auch unter Richtern Menschen, die meinen, auf hohem Ross zu sitzen, obwohl sie Eseleien fabriziere­n. Der Medienmana­ger und Intellektu­elle Mathias Döpfner hat im „Spiegel“schön formuliert, dass sprachlich saftiger Widerspruc­h der Humus einer demokratis­chen, offenen Gesellscha­ft sei. Nur zu.

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