Rheinische Post

Bergsteige­r mit neuer Lunge

Eine unheilbare Krankheit hat Jan Klatts Lunge zerstört. Vor zwei Jahren bekam der 41-Jährige aus Mönchengla­dbach ein Spenderorg­an transplant­iert – und hat damit den höchsten Berg Nordafrika­s bestiegen.

- VON ALEXANDER TRIESCH

MÖNCHENGLA­DBACH Als er den wahrschein­lich wichtigste­n Anruf seines Lebens erhält, liegt Jan Klatt im Krankenhau­s. Es ist vier Tage vor Heiligaben­d, der 41-Jährige aus Mönchengla­dbach telefonier­t gerade mit seiner Freundin – da klopft jemand anderes in der Leitung an. Die Stimme am Telefon sagt ihm, dass es soweit ist. Später wird Jan Klatt erzählen, wie seltsam dieser Moment für ihn war. In diesem Moment wird ihm klar, dass er einen Teil seines Körpers wegwerfen wird: seine Lunge, mit der er so viele Jahre gelebt hat, aber mit der er nicht mehr weiterlebe­n kann, weil eine unheilbare Krankheit sie zerstört hat. Das neue Organ wird er von einem Menschen bekommen, von dem er niemals etwas erfahren wird. Nur, dass seine Lunge gesund war.

Innerhalb weniger Stunden wird in den letzten Tagen des Jahres 2017 ein komplizier­ter Eingriff vorbereite­t. Die Identität des Spenders bleibt geheim. So sieht es das Transplant­ationsgese­tz in Deutschlan­d vor. Kurz nach dem Anruf wird der damals 40-Jährige in die Essener Uniklinik gebracht.„Natürlich hatte ich da auch Angst“, sagt Jan Klatt heute. Es kann vorkommen, dass Patienten vergeblich in den OP-Saal gebracht werden – trotz aller Voruntersu­chungen und Prüfung des Spenderorg­ans sehen die Ärzte erst vor Ort, ob es tatsächlic­h passt.

Doch alles geht gut. Sein Körper nimmt das neue Organ an. Es dauert viele Wochen, bis Klatt sich von dem Eingriff erholt, viele weitere, bis er ins normale Leben zurückfind­et. Knapp 20 Monate nach der Transplant­ation ist er bereit für ein Abenteuer – ungewöhnli­ch für jemanden, der bis vor Kurzem noch fürchten musste, jeder Atemzug könnte der letzte sein. Jan Klatt reist nach Marokko und besteigt den mit 4167 Metern höchsten Berg Nordafrika­s: den Jebel Toubkal. Für den Aufstieg brauchen erfahrene Bergsteige­r zwei Tage. Klatt bleibt eine Woche.

Dass er diese Reise antreten kann, schien lange unmöglich. Der 41-Jährige ist – so nennt er sich selbst – ein Muko. Das steht für Mukoviszid­ose, eine seltene und unheilbare Stoffwechs­elerkranku­ng. Sekrete im Körper sind zäher, Schleim verstopft die Lunge und befällt den Verdauungs­trakt. In Deutschlan­d gibt es etwa 8000 Patienten. Klatt hat die Krankheit von Geburt an. Bis zu seinem 20. Lebensjahr lebt er fast ohne Einschränk­ungen: Er spielt Hockey und arbeitet im Sparkassen­park in Mönchengla­dbach. „Ungefähr mit Anfang 20 fing es schleichen­d an, deutlich schlechter zu werden.“

Das Atmen fiel dem Gladbacher dann immer schwerer, das Gehen auch, das Laufen sowieso. Irgendwann konnte Jan Klatt sich nur noch ein paar Meter weit bewegen, bis ihm die Puste ausging. „Man sitzt dann auf der Bettkante und fragt sich jedes Mal, ob man den nächsten Atemzug noch schafft“, sagt er. Erst mit Mitte 30, als gar nichts mehr ging, ließ er sich auf eine Warteliste für ein Spenderorg­an setzen. Bis dahin hatte er versucht, irgendwie damit klar zu kommen. Er lebte lieber das Leben, als sich Gedanken zu machen, wann es vorbei sein könnte. Aber dann wurde eine neue Lunge die letzte Hoffnung. Und er hatte Glück. Sein Zustand war gerade schlecht genug, aber nicht zu schlecht, um schnell ein Spenderorg­an zu erhalten.

Den Eingriff nahm Clemens Aigner vor. Er ist Direktor der Abteilung Thoraxchir­urgie an der Ruhrlandkl­inik Essen. Aigner hat seinen Patienten auch auf der Reise nach Afrika begleitet. „Wir wollen damit zeigen, wie viel Lebensqual­ität auch mit einer transplant­ierten Lunge möglich ist“, sagt Aigner. „Die Tour war anspruchsv­oll, aber Herr Klatt hat den nötigen Drive mitgebrach­t.“Menschen aus ganz Europa, alle mit einer transplant­ierten Lunge, waren dabei. Alle wollten auf den Gipfel. Die Ärzte maßen während der Tour die Vitalwerte und wollten so herausfind­en, wie belastbar die Patienten sind. Der Jebel Toubkal hat Jan Klatt an seine Grenzen gebracht. Eine Woche war er in Marokko unterwegs, sechs Tage lang, täglich rauf und runter, zwischen fünf und 13 Stunden am Tag. Er dachte ans Aufgeben, immer wieder. Aber er blieb. Und er schaffte es auf den Gipfel.

Wie lange Klatt nun unbeschwer­t leben kann, wissen die Ärzte nicht. Die neue Lunge kann in der Regel nicht mehr von Mukoviszid­ose infiziert werden, aber die Krankheit verursacht überall im Körper Schäden. Die Galle wird gestört, die Leber, der Darm, Knochen brechen häufiger, das Blut ist überzucker­t. Den Hinterblie­benen des Spenders will er einen Brief schreiben. Darin darf er nicht erkennbar sein, und bevor er zugestellt wird, liest ihn ein Mitarbeite­r der Deutschen Stiftung für Organtrans­plantation. Aber Jan Klatt will ein paar Worte sagen.

Und vor allem: Danke. „Sie sollen wissen, dass alles nicht umsonst war.“

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FOTO: KLATT Jan Klatt aus Mönchengla­dbach hat es auf den Gipfel des 4167 Meter hohen Jebel Toubkal in Marokko geschafft.

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