Wir müssen die Ellenbogen ausfahren
Es war eine Show, und die Bühne gehörte ihm ganz allein: Geschlagene zwei Stunden lang sprach Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Ende August auf einer Konferenz, zu der sich die französischen Botschafter jedes Jahr im Elysée-Palast versammeln. Er nutzte die Gelegenheit, um seinen Top-Diplomaten die Leviten zu lesen. Alte Gewohnheiten und Gewissheiten gelte es ganz schnell abzulegen, forderte der Präsident. Es reiche nicht, sich an die weltpolitischenVeränderungen nur anzupassen. Nötig sei es vielmehr, eine neue Weltordnung aufzubauen. Frankreich und Europa hätten gar keine andere Wahl, als auf eine „Strategie desWagemuts“zu setzen, mahnte Macron.
Es war eine Ruckrede, wie man sie von Angela Merkel gewiss nicht erwarten dürfte. Und das liegt nicht allein an der Abneigung der Kanzlerin gegenüber jeder Form von Pathos. Dahinter steckt auch der schmerzliche Mangel an Ambitionen, der die deutsche Außenpolitik prägt. Ein Mangel, den Merkel verkörpert und den ihr smarter, aber politisch konturenloser Außenminister Heiko Maas offenbar durch das Anhäufen möglichst vieler Flugmeilen zu kaschieren sucht.
Auch die Kanzlerin vermittelt in der Abenddämmerung ihrer politischen Karriere den Eindruck, dass sie lieber im Flugzeug sitzt, um den Niederungen des innenpolitischen Gezänks zu entfliehen. Man kann das gut verstehen: Während in der Berliner Blase der hässliche Kampf um ihr politisches Erbe entbrannt ist, wird Merkel im Ausland immer noch mit Lob überhäuft. Sie wird verehrt für ihre Rolle als ehrliche Maklerin und als Repräsentantin einer besseren Zeit, als der Multilateralismus noch nicht unter dem Trommelfeuer von Nationalismus und Populismus lag. Aber das ist der Punkt: Die Bewunderung gilt Verdiensten von gestern.
Für eine Welt, in der alte Prämissen zerbröckeln, hat Merkel entweder keinen Plan oder keine Kraft mehr. Neue Akzente à la Macron? Fehlanzeige. Merkels Fahren auf Sicht, immer einen Fuß auf der Bremse, verdammt Deutschland in dieser Situation, in der die weltpolitischen Karten neu gemischt werden, zu einer Statistenrolle. Und ein gelähmtes Deutschland, das lähmt am Ende ganz Europa.
Niemandem weh tun, am wenigsten sich selbst, ist wieder die Devise deutscher Außenpolitik. Aufschub statt Aufbruch ihr Konzept. Macrons Vorpreschen hat auch damit zu tun, dass er die Geduld mit Merkel verloren hat. Längst ist er dazu übergegangen, seine Vorstellungen im Alleingang umzusetzen – häufig noch in Absprache mit Berlin, manchmal aber auch ohne. Der gewiefte Schachzug des Franzosen, den iranischen Außenminister Mohammed Dschawad Sarif als Überraschungsgast zum G7-Gipfel in Biarritz zu laden, überraschte eine völlig verdatterte deutsche Delegation. Hinterher bemühte man sich in Berlin vor allem, hinter vorgehaltener Hand bisweilen hämisch die Sinnhaftigkeit von Macrons diplomatischem Coup infrage zu stellen.
Für die deutsche Außenpolitik am Ende der Ära Merkel gilt in noch stärkerem Maße als für die Innenpolitik der Kanzlerin: bloß kein Risiko. Da haben die jüngsten außenpolitischen Vorstöße ihrer möglichen Nachfolgerin, der Verteidigungsministerin und CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer, schon fast etwas Erfrischendes.
Erstmals seit Langem stemmt sich da jemand aus der ersten politischen Reihe gegen das resignative Mantra der deutschen Außenpolitik, wonach Deutschland einer Kultur der Zurückhaltung verpflichtet sei, Einmischung eigentlich immer alles nur viel schlimmer mache und man am besten nur aus der zweiten, gerne auch der dritten Reihe tätig werden dürfe.
Gewiss, Kramp-Karrenbauers Forderung nach der Einrichtung einer „Sicherheitszone“in Nordsyrien war einigermaßen naiv, weil offenbar völlig unabgestimmt, und auch nicht sehr gut durchdacht. Aber nun hat sie nachgelegt, und ihr Vorschlag, in Deutschland einen Nationalen Sicherheitsrat nach amerikanischemVorbild einzurichten, weist in die richtige Richtung.