Belgiens Zerrissenheit lässt Regierungsbildung scheitern
BRÜSSEL Belgien ist blockiert. Knapp ein halbes Jahr nach der Parlamentswahl sind die Versuche zur Regierungsbildung gescheitert. Die Lage ist verzwickt, weil im flämischsprachigen Norden des Landes die Nationalisten von der Neuen Flämischen Allianz (N-VA) die stärkste Kraft sind und im französischsprachigen Süden die Sozialisten. König
Philippe, der als Staatsoberhaupt die Regierungsbildung moderieren muss, hatte eine Koalition zwischen diesen beiden Kräften favorisiert. Doch dieseWoche zeichnete sich ab, dass die programmatischen Unterschiede unüberbrückbar sind.
Immer mehr zeichnet sich ab, dass die Kluft zwischen den beiden Landesteilen, dem französischsprachigen Süden mit großen wirtschaftlichen Problemen und dem flämischsprachigen Norden mit starkem Wirtschaftswachstum und geringer Arbeitslosigkeit, bedrohlich groß geworden ist. Dies wurde auch in den Sondierungsgesprächen deutlich: Die Sozialisten machten soziale Verbesserungen wie ein niedrigeres Renteneintrittsalter, höhere Löhne und eine bessere Absicherung für Arbeitslose zur Vorbedingung für Koalitionsverhandlungen. Die N-VA will das Gegenteil: wirtschaftsfreundliche Reformen, geringere Sozialtransfers.
Um den Zusammenhalt zwischen den Landesteilen ist es schon jetzt schlecht bestellt. In früheren Staatsreformen waren Flandern und Wallonien bereits Kompetenzen wie etwa die Festsetzung einiger Steuersätze zugestanden worden. Die flämischen Nationalisten dringen aber darauf, dass Flandern noch mehr selbst entscheiden kann. Die
Sozialisten ihrerseits sind nicht bereit, der N-VA bei weiteren Staatsreformen entgegenzukommen.
Wie verhärtet die Fronten sind, macht die Aussage des hochrangigen N-VA-Politikers BenWeyts nach dem Scheitern der Gespräche deutlich: Man sei offen, die Ziele in einer Regierung auf föderaler Ebene anzupeilen oder nach einer Staatsreform, „die dafür sorgt, dass wir entscheiden können, was mit unserem
Geld passiert“. „Wir“steht nicht für Belgier, sondern für Flamen.
Wie es jetzt weitergeht, ist offen. Der König könnte versuchen, eine „Regenbogen-Koalition“zwischen Sozialisten, Grünen und Liberalen zu schmieden. Das wäre aber politisch riskant: Da die flämischen Nationalisten außen vor wären, würde die Koalition politisch in Flandern nur geringen Rückhalt haben. Denkbar ist auch eine Neuwahl.