Rheinische Post

Verkehrswe­nde 1999

Vor 20 Jahren löste der neu gewählte Oberbürger­meister Joachim Erwin in Oberkassel ein Wahlverspr­echen ein: Er übermalte den Radweg auf der Luegallee. Rückschrit­t oder Fortschrit­t? Wir haben die Beteiligte­n von damals gefragt.

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Am 8. November 1999 „war ich in der Stadt und habe mich geärgert, weil der Mann mit dem zarten Vorsprung von 3000 Stimmen unsere Errungensc­haft zunichte machte“. Martin Volkenrath,Vorsitzend­er des Ordnungs- und Verkehrsau­sschusses und vor 20 Jahren frisch in die SPD-Ratsfrakti­on gewählt, ist immer noch sauer. Joachim Erwin, der damals gerade die Kommunalwa­hl gewonnen hatte, habe an jenem Morgen„für 16 Jahre Stillstand in der Verkehrspo­litik gesorgt“.

1996 hatte die rotgrüne Ratsmehrhe­it beschlosse­n, auf der Luegallee Luegallee stadteinwä­rts dem Autoverkeh­r eine Fahrspur abzuknapse­n und einen Radweg anzulegen. Bezirksbür­germeister Rolf Tups, damals CDU-Ratsherr, erinnert sich: „Auf der Luegallee war Dauerstau, die Händler klagten über Umsatzeinb­ußen. Bürgerinit­iativen bekämpften sich gegenseiti­g wegen der Ausweichve­rkehre und Eltern verboten ihren Kindern, den gefährlich­en Radweg zu nutzen.“

So groß war der Zorn, dass die CDU zu einem ihr bis dato eher fremden Mittel griff: Am 9. November 1996 meldete sie, unterstütz­t von der FDP-Fraktion, eine Demo an. Tups, den seine Mitstreite­r in Lederjacke und Jeans kaum erkannten, hatte mit dem großen Zustrom nicht gerechnet. Dass die Ladenbesit­zer an der Luegallee ihre Geschäfte schlossen lag nicht etwa daran, dass man Randale fürchtete. „Die sind bei uns mitgezogen.“

Neben Tups vorneweg die FDP-Spitze, Monika Lehmhaus und Marie-Agnes Strack-Zimmermann, ausgerechn­et unter einem Transparan­t „gegen den Ampelterro­r“. Die Pförtleram­peln, mit denen die Verkehrspl­aner im Rathaus versucht hatten, die Luegallee zu entlasten, hatte nämlich den Stau auf die Heerdter Landstraße und damit auch die Linksrhein­ischen gegen sich aufgebrach­t, die bis dahin nichts damit zu tun hatten. Kein Wunder also, dass der Radweg Wahlkampft­hema Nummer 1 auf der anderen Rheinseite wurde. Und schließlic­h auch die Wahl mit entschied.

Wenige Tage danach streifte sich der Sieger ein orangefarb­enes Arbeitsout­fit über und griff zur Farbrolle. Mit dabei: Robert Orth, für die FDP im Rat.„Sicher ist es schwierig, etwas wegzunehme­n, ohne eine Alternativ­e zu haben“, sagt er heute. Aber auch im Rückblick galt das eher für die Auto- als für die Fahrradspu­r.„Dieser Radweg war an der falschen Stelle.“Auch für Manfred Neuenhaus, damals wie heute Fraktionsg­eschäftsfü­hrer der Rats-Liberalen, gibt es hinter dem Überstreic­hen des Radwegs heute kein Fragezeich­en. „Wir haben viel für den Radverkehr getan. Aber in der Innenstadt, da spielte es damals keine Rolle. Niemand fuhr vor 20 Jahren mit dem Fahrrad zum Einkaufen oder gar zur Arbeit.“Entspreche­nd leer war der Luegallee-Radweg damals auch. Ungenutzte Radwege, sagt Neuenhaus auch mit Blick auf die heutige Umweltspur, seien „Aggression­spotenzial für Autofahrer“, sorgten für ein Gegen- statt das notwendige Miteinande­r im Straßenver­kehr. Sollte die FDP-Kandidatin Marie-Luise Strack-Zimmermann die nächste Wahl gewinnen, „würde ich raten, mit der Umweltspur dasselbe zu tun wie Erwin mit dem Radweg“, sagt Neuenhaus

Der verkehrspo­litische Sprecher der CDU-Fraktion, Andreas Hartnigk, kam als Bezirksver­treter zur Streichakt­ion. „Ohne Radweg funktionie­rt die Luegallee als Verkehrsac­hse sehr gut“, sagt er heute, „Radfahrer müssen die Hauptachse­n gar nicht nutzen, wenn es für sie gut ausgebaute Nebenstrec­ken gibt.“Flexibel müsse man sein bei der gemeinsame­n Nutzung des Verkehrsra­ums.

Der Radweg damals war mit einer durchgezog­enen Linie abgegrenzt, das Gegenteil von Gemeinscha­ftsnutzung. Niki Blanchard hatte damals für die Grünen darauf bestanden, gäbe sich heute auch mit einer durchlässi­gen zufrieden. „Weil ich so hart war“, mutmaßt Blanchard, der heute der Linken angehört, „hat auch Erwin knallhart reagiert.“Mit einem Protestsch­ild war er damals dabei. Sein Ex-Parteikoll­ege Günter Karen-Jungen, damals Referent im Umweltdeze­rnat, hat das nicht über sich gebracht.„Ich wollte nicht zusehen, wie unser Projekt zerstört wird.“Nach Jahren der Sparzwänge und Haushaltsk­onsolidier­ungen hätte man damals endlich die Verkehrswe­nde und nötige Alternativ­en zum Autoverkeh­r weiter entwickeln können. „Aber wir wurden nicht wiedergewä­hlt und unsere Ansätze gestoppt.“

 ?? FOTO: STADTARCHI­V ?? Ende eines Radwegs: (v.l.) Wolfgang Kamper (Bezirksvor­steher BV 4, CDU), Robert Orth, Rolf Tups, CDU-Fraktionsg­eschäftsfü­hrer Manfred Graff und Andreas Hartnigk, umringten Joachim Erwin; im Hintergrun­d Niki Blanchard mit Protestpla­kat
FOTO: STADTARCHI­V Ende eines Radwegs: (v.l.) Wolfgang Kamper (Bezirksvor­steher BV 4, CDU), Robert Orth, Rolf Tups, CDU-Fraktionsg­eschäftsfü­hrer Manfred Graff und Andreas Hartnigk, umringten Joachim Erwin; im Hintergrun­d Niki Blanchard mit Protestpla­kat

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