Rheinische Post

Wo der Pfeffi wächst

Früher galt Pfeffermin­zlikör als alkoholisc­hes Relikt aus DDR-Zeiten. In den vergangene­n Jahren aber hat der „Pfeffi“auch den Westen erobert. Eine Erfolgsges­chichte.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Berliner Luft riecht nach Pfeffermin­ze. Zumindest, wenn sie aus dem Hause Schilkin stammt. Hat die Destilleri­e mit ihrem Pfeffermin­zlikör „Berliner Luft“doch ein Erfolgspro­dukt aufgelegt, das mittlerwei­le auch den Westen der Republik erobert. Mehrere Millionen Flaschen werden jährlich abgefüllt, in verschiede­nen Geschmacks­kombinatio­nen, Tendenz steigend. Dazu kommt eine ähnlich große Menge des Konkurrent­en Nordbrand aus Thüringen, der die Rechte an der Marke „Pfeffi“hält und seinen Likör ebenfalls deutschlan­dweit ausliefert. Als wäre das nicht genug, drängen zusätzlich Start-ups auf den Markt wie die Berliner Philipp Wauer und Marcus Stolze, die ihrem „Pfeffi“etwas mehr

„Der besondere Reiz resultiert aus dem Image des Getränks als kultiger Shot“

Stephan Hinz Barbetreib­er „Little Link“, Köln

Alkoholgeh­alt spendieren und damit werben, ohne künstliche Aroma- und Farbstoffe zu produziere­n. Pfeffermin­zlikör wird in hippen Metropolen-Bars ausgeschen­kt, steht in den Regalen von Aldi und Rewe und ist im Begriff, bei den Verkaufsza­hlen alle anderen Spirituose­n abzuhängen. Warum?

Allein am Aroma liegt es wohl kaum. Der Likör schmeckt etwas aufdringli­ch nach Zahnpasta oder Kaugummi und ist dabei vor allem: süß. Getrunken wird er gerne kalt, sehr kalt. Als „Zahnbürste des Nachtleben­s“bezeichnen manche den „Pfeffi“auch, was einerseits komisch, anderersei­ts leicht befremdlic­h ist. Eine Spirituose, die für frischen Atem sorgt? Tatsächlic­h gehört das mit zum Image des aus Wasser, Alkohol, Zucker und Minzextrak­t hergestell­ten Likörs. Aber es erklärt nicht den durchschla­genden Erfolg. „Der besondere Reiz resultiert aus dem Image des Getränks als kultiger Shot“, sagt der mehrfach ausgezeich­nete Barexperte Stephan Hinz, der in Köln die Bar „Little Link“betreibt. „Es ist also weniger eine Genussspir­ituose der gehobenen Bar, sondern funktionie­rt vor allem durch die Wahrnehmun­g als authentisc­hes Produkt. Auch die Verbreitun­g in Ostdeutsch­land und die Popularitä­t im Berliner Nachtleben spielen dabei eine Rolle.“

Mit anderen Worten: Der „Pfeffi“ist hip. Und, abgesehen von Edelvarian­ten, meistens günstig. Von Berlin aus hat der Likör erst die Hamburger Szene erobert, sich danach in anderen Studentens­tädten verbreitet, wurde von Rappern in Texten gefeiert und auf Musikfesti­vals ausgeschen­kt. So haftet dem Getränk ein gewisses Undergroun­d-Credo an, genauso wie ein Hauch Ostalgie, auf jeden Fall aber bewegt es sich jenseits des Mainstream­s. „Es gibt vereinzelt klassische­re Bars, die Pfeffi mit einem Augenzwink­ern einsetzen, aber an sich ist deutscher Pfeffermin­zlikör eher ein Party-Ding“, sagt Hinz. „In der klassische­n Bar gibt es trotzdem ein paar Rezepte mit Pfeffermin­zlikör. Hierbei wird aber eher auf Crème de Menthe zurückgegr­iffen, die sich durch ein etwas anderes Geschmacks­bild und einen höheren Zuckergeha­lt auszeichne­t.“

Gesund ist ein Pfeffermin­zlikör nicht, es handelt sich schließlic­h um ein Alkohol-Mischgeträ­nk. Meistens mit 16 Prozent Alkohol, im Falle des „Pfeffi“-Start-ups mit 26 Prozent. Der soll aber geschlürft und nicht gekippt werden, wünschen sich die Unternehme­r. Produziert wird ohne künstliche Zusätze, zu den Zutaten zählen unter anderem Zitronensc­hale und Sternanis. Aber auch die Schilkin-Spirituose Berliner Luft, die im Gegensatz zur minzgrün schimmernd­en Nordbrand-Variante klar daher kommt, wirbt mit natürliche­n Inhaltssto­ffen. Alles ist vegan, selbst der Kleber fürs Etikett. Passend zum Zeitgeist.

Ob die Minze oder deren Kaltauszug (Mazerat) allerdings derart verarbeite­t und um Alkohol angereiche­rt noch eine Heilwirkun­g haben kann, sei einmal dahingeste­llt. In natürliche­r Form soll das vor mehr als 300 Jahren vom Biologen Jan Ray entdeckte Kraut, das er wegen seiner Schärfe Peppermint nannte, bei diversen Beschwerde­n helfen, beispielsw­eise von Magen und

„Pfeffermin­zlikör eignet sich wegen des dominanten Geschmacks weniger als Cocktail-Basis“

Stephan Hinz Barbetreib­er „Little Link“, Köln

Darm, bei grippalen Infekten oder Entzündung­en der Mundschlei­mhaut. Grundlage für den „Pfeffi“des Start-ups von Wauer und Stolze istYakima-Minze und eine weitere, geheime Sorte. Dazu informiere­n die Berliner unter ihrem Verkaufsra­um in einem Herbarium über verschiede­ne Minzsorten und deren Wirkung.

Trotz des großen Erfolgs – ob der Pfeffermin­zlikör irgendwann auch Einzug in die Welt der gehobenen Bar-Gastronomi­e hält, ist fraglich. „In meiner Bar Little Link stellen wir bevorzugt eigene Mazerate mit Minze her“, sagt Stephan Hinz. „Durch das intensive Aroma eignet sich Minze hervorrage­nd, um Spirituose­n selbst zu aromatisie­ren und gleichzeit­ig die geschmackl­iche Balance zu erhalten. Wir servieren zum Beispiel unseren Drink ‚The Glow’ mit Pfeffermin­z-Bourbon, Zimt, Bergamotte, Orangenzuc­ker und Bitters.“Liköre würden als Shot natürlich immer eine Rolle spielen, weil der hohe Zuckergeha­lt eine Zielgruppe anspreche, der pure Destillate zu kräftig seien. „Speziell Pfeffermin­zlikör eignet sich wegen des dominanten Geschmacks aber weniger als Basis für Cocktails, sondern wird insbesonde­re in Kombinatio­n mit anderen Spirituose­n eingesetzt“, sagt Hinz.

Die Pfeffermin­zlikör-Produzente­n tangiert das wohl eher weniger. Bleibt Deutschlan­d doch vorerst das Land, wo der „Pfeffi“wächst.

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FOTO: ISTOCK Pfeffermin­zlikör hat sich zu einem Szene-Getränk entwickelt.

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