Verdacht auf Panne in Missbrauchsfall
153 Ermittler gehen im Missbrauchsskandal von Bergisch Gladbach nun gegen sechs mutmaßliche Täter vor. Möglicherweise hat die Staatsanwaltschaft Kleve Monate zu spät gehandelt.
Rund ein Jahr nach Bekanntwerden der Ermittlungspannen im Missbrauchsskandal von Lügde haben NRW-Behörden möglicherweise in einem weiteren Fall von massivem Kindesmissbrauch Fehler gemacht. Nach Informationen unserer Redaktion übergab die Polizei der Staatsanwaltschaft Kleve schon am
10. Juni Akten über einen mutmaßlichenTäter im GroßraumWesel. Festgenommen wurde der Soldat erst am
25. Oktober, als er im Zusammenhang mit den Ermittlungen zu einem mutmaßlichen Kinderschänderring rund um Bergisch Gladbach ins Visier der Kölner Staatsanwaltschaft geriet. Eine zwischenzeitliche Hausdurchsuchung bei dem Soldaten veranlasste die Staatsanwaltschaft Kleve offenbar nicht. Das geht aus Schriftwechseln hervor, die unsere Redaktion einsehen konnte, sowie aus Informationen aus Polizeikreisen.
Deshalb steht die Frage im Raum, ob der Kinderschänderring, über den immer dramatischere Details bekannt werden, früher hätte enttarnt werden können. Genau diese Frage wollten gestern weder die Staatsanwaltschaft Kleve noch das NRW-Innen- oder -Justizministerium beantworten; sie verweisen auf laufende Ermittlungen. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Kleve wollte sich aus gleichem Grund auch nicht dazu äußern, warum die Behörde keine Wohnungsdurchsuchung bei dem Soldaten veranlasste und welche Maßnahmen sie stattdessen ergriff.
EndeOktoberwurdebeiderDurchsuchung derWohnung eines 42-Jährigen in Bergisch Gladbach umfangreiches Datenmaterial sichergestellt, das unter anderem schweren sexuellen Kindesmissbrauch zeigen soll. Nach Angaben von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) wurden seither sechs namentlich bekannte Tatverdächtige festgenommen. Einer davon ist nach Informationen unserer Redaktion der Soldat aus dem Großraum Wesel.
Laut Reul geht die Polizei von neun Opfern im Alter von einem bis zehn Jahren aus. Bei den Opfern handelt es sich teilweise um Kinder oder Stiefkinder der Tatverdächtigen. Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“aus Ermittlerkreisen erfuhr, sollen einige der Beschuldigten ihre Kinder untereinander getauscht haben, um sie zu missbrauchen. Dies gehe aus Aussagen eines Verdächtigen aus Krefeld hervor, der jetzt in Untersuchungshaft sitzt. Bei neun Durchsuchungen, acht in NRW, stellten die Behörden zehn Terabyte Daten sicher.„Die Polizei arbeitet sehr gründlich und ordentlich. Die sind, so befürchte ich, wohl noch nicht am Ende“, sagte Reul.
Im Missbrauchsfall von Lügde wurden die beiden Haupttäter im September zu hohen Haftstrafen verurteilt. Ihnen wurde der hundertfache Missbrauch von 32 Kindern nachgewiesen. Die Polizei machte bei den Ermittlungen anfangs verheerende Fehler. Unter anderem war Beweismaterial aus einer Asservatenkammer verschwunden.
Im Fall Bergisch Gladbach geht Reul mit einem massiven Aufgebot vor: 153 Bedienstete sind an den Ermittlungen beteiligt. ZumVergleich: In Lügde waren in der Spitze rund 90 Beamte im Einsatz. Gegen den Soldaten aus dem Großraum Wesel wurde im Juni offenbar lediglich eine Kontaktsperre verhängt, nachdem ein Krankenhaus in Geldern bei Kindern seines Umfelds Missbrauch festgestellt hatte. Das Innenministerium erfuhr nach eigenen Angaben am 25. Oktober von dem Fall. Das Justizministerium ließ die Frage nach dem Zeitpunkt seiner Kenntnis von dem Fall unbeantwortet.