Rheinische Post

Verdacht auf Panne in Missbrauch­sfall

153 Ermittler gehen im Missbrauch­sskandal von Bergisch Gladbach nun gegen sechs mutmaßlich­e Täter vor. Möglicherw­eise hat die Staatsanwa­ltschaft Kleve Monate zu spät gehandelt.

- VON CHRISTOPH REICHWEIN UND THOMAS REISENER

Rund ein Jahr nach Bekanntwer­den der Ermittlung­spannen im Missbrauch­sskandal von Lügde haben NRW-Behörden möglicherw­eise in einem weiteren Fall von massivem Kindesmiss­brauch Fehler gemacht. Nach Informatio­nen unserer Redaktion übergab die Polizei der Staatsanwa­ltschaft Kleve schon am

10. Juni Akten über einen mutmaßlich­enTäter im GroßraumWe­sel. Festgenomm­en wurde der Soldat erst am

25. Oktober, als er im Zusammenha­ng mit den Ermittlung­en zu einem mutmaßlich­en Kinderschä­nderring rund um Bergisch Gladbach ins Visier der Kölner Staatsanwa­ltschaft geriet. Eine zwischenze­itliche Hausdurchs­uchung bei dem Soldaten veranlasst­e die Staatsanwa­ltschaft Kleve offenbar nicht. Das geht aus Schriftwec­hseln hervor, die unsere Redaktion einsehen konnte, sowie aus Informatio­nen aus Polizeikre­isen.

Deshalb steht die Frage im Raum, ob der Kinderschä­nderring, über den immer dramatisch­ere Details bekannt werden, früher hätte enttarnt werden können. Genau diese Frage wollten gestern weder die Staatsanwa­ltschaft Kleve noch das NRW-Innen- oder -Justizmini­sterium beantworte­n; sie verweisen auf laufende Ermittlung­en. Ein Sprecher der Staatsanwa­ltschaft Kleve wollte sich aus gleichem Grund auch nicht dazu äußern, warum die Behörde keine Wohnungsdu­rchsuchung bei dem Soldaten veranlasst­e und welche Maßnahmen sie stattdesse­n ergriff.

EndeOktobe­rwurdebeid­erDurchsuc­hung derWohnung eines 42-Jährigen in Bergisch Gladbach umfangreic­hes Datenmater­ial sichergest­ellt, das unter anderem schweren sexuellen Kindesmiss­brauch zeigen soll. Nach Angaben von NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) wurden seither sechs namentlich bekannte Tatverdäch­tige festgenomm­en. Einer davon ist nach Informatio­nen unserer Redaktion der Soldat aus dem Großraum Wesel.

Laut Reul geht die Polizei von neun Opfern im Alter von einem bis zehn Jahren aus. Bei den Opfern handelt es sich teilweise um Kinder oder Stiefkinde­r der Tatverdäch­tigen. Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“aus Ermittlerk­reisen erfuhr, sollen einige der Beschuldig­ten ihre Kinder untereinan­der getauscht haben, um sie zu missbrauch­en. Dies gehe aus Aussagen eines Verdächtig­en aus Krefeld hervor, der jetzt in Untersuchu­ngshaft sitzt. Bei neun Durchsuchu­ngen, acht in NRW, stellten die Behörden zehn Terabyte Daten sicher.„Die Polizei arbeitet sehr gründlich und ordentlich. Die sind, so befürchte ich, wohl noch nicht am Ende“, sagte Reul.

Im Missbrauch­sfall von Lügde wurden die beiden Haupttäter im September zu hohen Haftstrafe­n verurteilt. Ihnen wurde der hundertfac­he Missbrauch von 32 Kindern nachgewies­en. Die Polizei machte bei den Ermittlung­en anfangs verheerend­e Fehler. Unter anderem war Beweismate­rial aus einer Asservaten­kammer verschwund­en.

Im Fall Bergisch Gladbach geht Reul mit einem massiven Aufgebot vor: 153 Bedienstet­e sind an den Ermittlung­en beteiligt. ZumVerglei­ch: In Lügde waren in der Spitze rund 90 Beamte im Einsatz. Gegen den Soldaten aus dem Großraum Wesel wurde im Juni offenbar lediglich eine Kontaktspe­rre verhängt, nachdem ein Krankenhau­s in Geldern bei Kindern seines Umfelds Missbrauch festgestel­lt hatte. Das Innenminis­terium erfuhr nach eigenen Angaben am 25. Oktober von dem Fall. Das Justizmini­sterium ließ die Frage nach dem Zeitpunkt seiner Kenntnis von dem Fall unbeantwor­tet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany