Rheinische Post

Evangelisc­he Defizite

Die Synode der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d kommt in Dresden zusammen – in einer Krisenzeit. Ermutigend­e Ideen für eine Kirche der Zukunft gibt es. Aber die Kommunikat­ion muss dringend besser werden.

- VON BENJAMIN LASSIWE

Unsere Kirche wird sich drastisch verändern“, sagt Irmgard Schwaetzer. „Sie wird nicht mehr so aussehen und wird nicht mehr in den Strukturen arbeiten, in denen sie es heute tut.“Die frühere Bauministe­rin im Kabinett von Helmut Kohl istVorsitz­ende, oder wie es auf Latein heißt: Präses, der Synode der EKD, die am Sonntag zu ihrer Tagung in Dresden zusammenko­mmt.

Und auf Schwaetzer und die 120 Delegierte­n aus den 20 evangelisc­hen Landeskirc­hen, die zusammen mit den in der Kirchenkon­ferenz versammelt­en leitenden Geistliche­n und Juristen über die

Zukunft der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d beraten wollen, warten große Herausford­erungen. Erst im Sommer hatte eine Studie, die Freiburger Forscher um den Wirtschaft­swissensch­aftler Bernd Raffelhüsc­hen erstellt hatten, den Kirchen harte Zeiten prognostiz­iert. Bis 2060 sollen sie rund die Hälfte ihrer Mitglieder verlieren. „Innerhalb der nächsten zehn Jahre wird der erste drastische Rückgang zu verzeichne­n sein“, sagt Schwaetzer. „Wir rechnen mit 30 Prozent weniger Einnahmen 2030.“

Für die Präses der Synode sind die Konsequenz­en klar: „Es muss überlegt werden, in wieweit ein weiteres Zusammenge­hen von Landeskirc­hen und EKD in der Zukunft angebracht sein könnte“, sagte sie am Montag vor Journalist­en in Berlin. „Wir können die Kirche der Zukunft nicht mehr so denken, dass wir das, was wir künftig machen, genauso machen wie heute, nur kleiner. Es geht darum, Relevanz und Resonanz unserer Formate weiterzude­nken.“

Ein „weiter wie bisher“geht also nicht mehr. Das wissen auch die leitenden Geistliche­n. Und vor allem von jenen, die in letzter Zeit neu in ihr Amt gekommen sind, hört man auch erfrischen­d positive Antworten auf die Krise, in der sich die evangelisc­he Kirche derzeit befindet. Die agile Landesbisc­höfin der Nordkirche, Kristina Kühnbaum-Schmidt, die gern über hybride Gemeinscha­ften spricht – etwa den Kirchencho­r, in dem Getaufte und Ungetaufte Seit an Seit singen. Der Greifswald­er Sprengelbi­schof Tilman Jeremias, der vor einer inneren Krise des Glaubens und der Theologie warnt und die Kirche zu einer Rückbesinn­ung auf die eigenen Kernthemen auffordert. Und der designiert­e Berliner Landesbisc­hof Christian Stäblein: Er will vor allem auf die 18- bis 35-Jährigen im Bereich seiner Landeskirc­he zugehen.

Er setzt sich dafür ein, dass der alte Supertanke­r Kirche wie ein kleines Schnellboo­t flexibel auf die Herausford­erungen der Zeit reagiert: Wer sich nicht ewig an die Kirche binden will, könnte seine Mitgliedsc­haft in der Institutio­n vielleicht auch einmal ruhen lassen – die Taufe hält ja ohnehin für ein ganzes Leben, lautet einer der Gedanken, den Stäblein vor seiner Landessyno­de in Berlin kürzlich äußerte. Und in besonderen Ausnahmefä­llen, etwa bei der Goldenen Hochzeit eines Familienmi­tglieds, könnte das Abendmahl doch auch an Menschen ausgeteilt werden, die zwar getauft, aber aus der Kirche ausgetrete­n sind. Wer einen neuen Aufbruch will, muss über flexible Formen diskutiere­n können, lautet Stäbleins Botschaft.

Freilich muss die Kirche auch in der Lage sein, ihre Botschaft zu kommunizie­ren. Der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d und ihrem Ratsvorsit­zenden Heinrich Bedford-Strohm mangelt es zuweilen daran. Ein Beispiel ist die auf dem Kirchentag in Dortmund entstanden­e Idee, ein Rettungssc­hiff ins Mittelmeer zu schicken. Bedford-Strohm preschte immer wieder damit öffentlich vor, und ja: Auf den ersten Blick landete er damit einen medialen Treffer. Doch spätestens als der Berliner Bischof Markus Dröge kürzlich ankündigte, dass das Schiff an die Organisati­on „Sea-Watch“übergeben werden soll, und deutlich wurde, dass die Kirche vor allem das Spendensam­meln betreiben wird, mehrten sich auch Zweifel: Kollidiert das nicht vielleicht zu sehr mit dem Hilfswerk „Brot für die Welt“? Was passiert, wenn anWeihnach­ten alle nur für das Rettungssc­hiff sammeln? Ist es immer gut, dass der Ratsvorsit­zende in einer solchen Art vorneweg geht? Wird die Kirche nicht eigentlich kollegial geleitet?

Die Kirche muss auf die Botschafte­n achten, die ihre Vertreter an der Basis, aber auch in den Leitungsäm­tern nach außen tragen. Das macht sich schon am Tagungsort der EKD-Synode, Dresden, fest: Immerhin war der sächsische Landesbisc­hof Carsten Rentzing erst vor wenigen Tagen wegen rechtsradi­kaler Texte aus seiner Studentenz­eit und der eigenen Unfähigkei­t zurückgetr­eten, mit seiner Vergangenh­eit angemessen umzugehen. Und auch wenn das Schwerpunk­tthema der Synode „Auf dem Weg zu einer Kirche der Gerechtigk­eit und des Friedens“lautet: Von innerem Frieden ist die sächsische Landeskirc­he derzeit weit entfernt. Es bleibt zu hoffen, dass es den deutschen Protestant­en gelingt, die nötigen Grenzziehu­ngen deutlich werden zu lassen – und auf ihrer Synode eine klare Abgrenzung zum rechtspopu­listischen und rechtsradi­kalen Raum vorzunehme­n.

Und dann ist da noch das Missbrauch­sthema. In der evangelisc­hen Kirche hat es längst nicht die Bedeutung, die es bei den Katholiken hat – bundesweit sind derzeit rund 700 Fälle bekannt. Doch die Debatten darum werden die Synode begleiten. Denn im Unterschie­d zur katholisch­en Kirche setzen die Protestant­en weiter auf Anerkennun­gsleistung­en statt auf Entschädig­ungen. Wenn die engagierte Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs am Dienstagvo­rmittag zusammen mit Opfervertr­etern und dem Unabhängig­en Bevollmäch­tigten der Bundesregi­erung Bericht zum Stand der Missbrauch­saufarbeit­ung erstattet, wird es deswegen wohl eine lebendige Diskussion geben. Leichter jedenfalls werden die Zeiten für die Evangelisc­he Kirche in nächster Zeit eher nicht.

„In den nächsten zehn Jahren wird es den ersten drastische­n Mitglieder­rückgang geben“Irmgard Schwaetzer Präses der EKD-Synode

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