Rheinische Post

Das digitale Prekariat

E-Roller, Getränke, Nudeln – alles gibt es per Klick. Organsiert von Plattforme­n, die alles anbieten und für nichts verantwort­lich sind.

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Es ist so hip: Man ordert Penne arrabiata per App und kurz darauf stehen die Nudeln vor der Tür. Man muss zum Termin in die Stadt und steigt mal eben auf einen E-Roller oder bei einem Uber-Fahrer ein. Auch der Wocheneink­auf wird frei Haus gebracht. Befeuert wird dies durch das einfachere Bezahlen im Netz.

Die Kehrseite der Medaille lässt sich im Dunklen beobachten: Um 22 Uhr hasten Kuriere durch die Stadt, die Lebensmitt­el-Körbe und Cola-Kisten in den sechsten Stock schleppen. Wenn es schlecht läuft, müssen sie Arbeitskle­idung und Auto mitbringen. In der Nacht sammeln Hilfskräft­e Roller ein und laden die Akkus in ihrer Wohnung auf. Dunkel sind auch Methoden im Beförderun­gsmarkt – immer wieder sorgen Scheinselb­stständigk­eit und Regelverst­öße für Ärger. Man muss kein Marxist sein, um kritisch zu sehen, welches digitale Prekariat hier entsteht. Job on demand, miese Bezahlung, keine soziale Absicherun­g – so sieht für einen Teil die schöne neue Arbeitswel­t aus. Dazu gehören auch viele, die ihre Dienste auf Crowdworki­ng-Plattforme­n anbieten.

Genau das, die Plattform-Ökonomie ist das Problem: Die coolen Firmen, die ihre Kunden so nett duzen, haben oft keine eigenen Wagen, Pizzaöfen, Ferienwohn­ungen – sie vermitteln nur. Sie schreiben allerlei Ansprüche in Verträge mit ihren Lieferante­n, doch verantwort­lich sind sie für nichts. Das ist eine große Herausford­erung für das Arbeitsrec­ht 2.0. Die OECD geht davon aus, dass binnen 20 Jahren jeder fünfte Job in Deutschlan­d durch die digitale Revolution wegfällt. Natürlich entstehen auch neue. Doch um das digitale Prekariat klein zu halten, muss der Staat Spielregel­n schaffen und durchsetze­n: die Altersvors­orge-Pflicht für Selbststän­dige und eine harte Hand gegen Firmen, deren Geschäft auf Ausbeutung von Scheinselb­stständige­n beruht, sind erst der Anfang.

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