Die Lehren aus dem Schicksal von Enke
Seit dem Suizid von Robert Enke vor zehn Jahren hat sich in der Fußballbranche viel getan. Doch noch immer tun sich viele Verantwortliche im Umgang mit psychischen Erkrankungen schwer. Deshalb ist es wichtig, weiter für das Thema zu sensibilisieren.
Die Depression erwischte mich völlig unvorbereitet, nur – ich war gesund, mein Freund und Klient war es nicht. Ich hatte Robert Enke als jungen, hochtalentierten Sportler kennengelernt und auf einmal musste ich mich um einen Menschen kümmern, der morgens aus Angst vor dem Tag nicht mehr aus dem Bett wollte. Als ich im Sommer 1999 erstmals mit den Anfängen dieser Krankheit konfrontiert wurde, weil Robert, der junge Torhüter, der von Borussia Mönchengladbach zu Benfica Lissabon wechselte, nach seiner Unterschrift in Portugal panikartig das Land verlassen musste, konnte ich noch nicht ahnen, was auf mich zukommen würde. Ich kannte Depressionen oberflächlich, hatte mich nie wirklich damit beschäftigt und habe zudem selbst offensichtlich keine genetische Disposition dafür.
Spätestens seit Roberts Suizid am 10. November 2009 fühle ich mich der Aufklärung in dieser Sache verpflichtet. Vor allem weil Robert, mit Ausnahme seiner depressiven Phasen, ein sehr glückliches und erfülltes Leben führte. Denn dass er eine Veranlagung für diese Krankheit hatte, bedeutet nicht, dass er dauerhaft betrübt durchs Leben ging. Ganz im Gegenteil: Drei wunderschöne Jahre in Lissabon als Idol der Benficista, der Benfica-Anhänger, und ein Wechsel zum großen FC Barcelona in die Stadt, die er sofort in sein Herz schloss, sind nur Momentaufnahmen eines erfüllten Lebens, welches er selbst, die Wahrnehmung verzehrt durch die Depressionen, als Deutschlands Nummer 1 beendete.
Heute scheint die Zunahme seelischer Erkrankungen beängstigend, aber Fachärzte sagen, dass dies nur so scheint, weil sich inzwischen viele Leute „outen“und sich in Behandlung begeben, die früher still und leise litten. Die Suizidzahlen sinken, mentale Gesundheit rückt in den Fokus der Politik. Damit sind wir bei den guten Nachrichten: Es hat sich viel verändert! Man muss sich aber die Mühe machen, genau hinzuschauen. Vieles hat sich zum Guten verändert, aber das bedeutet selbstverständlich nicht, dass wir die Prinzipien des Leistungssports aushebeln können.
Es werden nach wie vor nur die elf stärksten Spieler auf dem Platz stehen, der Boulevard wird weiter herabwürdigende Headlines und Geschichten produzieren und aus der Kurve werden weiter Abschätzigkeiten gebrüllt. Das werden wir nicht verändern können. Aber was wir tun können ist, den Sportlern und allen Menschen Hilfe an die Hand zu geben, um mit den Drucksituationen im Sport oder im alltäglichen Leben besser umzugehen. Erst wenn eine Depression als Krankheit neben einem gebrochenem Arm, einem gerissenen Kreuzband oder einer Arteriosklerose steht, sind wir da, wo wir uns hinbewegen müssen.
Depressiven kann geholfen werden. Immer mehr Erkrankte begeben sich in professionelle Hände und trauen sich, ihr Umfeld einzuweihen und erhöhen so ihre Chancen auf Heilung. Wir wissen heute so viel mehr über diese Krankheit, wir sind sensibler und haben inzwischen Vorbilder, die uns aufzeigen, dass eine klinische Behandlung nicht das Ende aller beruflichen
Träume ist: Andrés Iniesta, Gianluigi Buffon, Dany Rose und viele mehr überstanden ihre Depressionen und kamen wieder. Ich bin sicher, dass so viele Menschen heute ganz selbstverständlich über ihre Krankheit reden, ist auch ein Effekt von Roberts Geschichte und ich wünschte, er sieht von dort oben, was seine leidvollen Momente und seine Geschichte hier unten alles bewirken.
Das wäre jetzt der Moment, der Robert unheimlich unangenehm gewesen wäre und er hätte ganz bestimmt verlegen auf den Boden geschaut – dieser liebenswerte Mensch.