Rheinische Post

Verblüffen­d leise Töne

Der FC Bayern München und Borussia Dortmund sind zu sehr mit sich selbst beschäftig­t, um einander zu attackiere­n.

- VON ROBERT PETERS

MÜNCHEN Hans-Joachim Watzke ist ein großer Skeptiker. Einer, der noch bei einer 3:0-Führung der eigenen Mannschaft ängstlich auf die Stadionuhr schaut und den Schlusspfi­ff herbeisehn­t, der Stunden vor einem Spiel alle möglichen grausigen Szenarien vor dem inneren Auge vorbeizieh­en sieht und der während des Spiels von einer Verzweiflu­ng in die andere fällt. Ein ganz normaler Fußball-Fan eben. Das hat der Geschäftsf­ührer von Borussia Dortmund in seiner gerade erschienen­en Autobiogra­fie „Echte Liebe“pünktlich zur Frankfurte­r Buchmesse einem größeren Publikum verraten.

Deshalb ist es schon bemerkensw­ert, dass Watzke vor dem Bundesliga-Spitzenspi­el bei Bayern München leise Töne der Zuversicht von sich gibt. Nach der Aufholjagd gegen Inter Mailand in der Champions League, als der BVB einen 0:2-Pausen-Rückstand in ein 3:2 verwandelt­e, sagte er: „Das gibt uns ein bisschen Rückenwind für Samstag.“In die Sprache herzhafter Berufs-Optimisten übersetzt: „So rennen wir auch die Bayern um.“In der inneren Führung des BVB gibt es aber derartige Lautsprech­er nicht. Sportdirek­tor Michael Zorc hält sich mit öffentlich­en Einschätzu­ngen gern zurück, Trainer Lucien Favre belässt es meist dabei, kommende Aufgaben mit leiser Stimme und gequälter Miene als „sehr, sehr schwer“zu bezeichnen. Und Mannschaft­skapitän Marco Reus hat in jüngerer Vergangenh­eit mehr mit vielen kleinen Verletzung­en zu tun als mit großen Ansagen ans Fußballvol­k.

Es könnte durchaus sein, dass Reus fehlen wird beim Treffen der beiden Mannschaft­en, die ganz Fußball-Deutschlan­d vor der Saison auf einem gemeinsame­n Durchmarsc­h vor dem bedauernsw­erten Rest der Liga sah, die aber nach zehn Spieltagen immer noch nur Verfolger des Überraschu­ngs-Spitzenrei­ters Borussia Mönchengla­dbach sind.

Die Bayern haben an dieser Last deutlich schwerer zu tragen. Während die Dortmunder sich in den vergangene­n Wochen nicht nur gegen Mailand ein wenig befreit haben und die Diskussion­en um den ebenso liebenswür­digen wie zaudernden Trainer-Zausel Favre mal wieder verstummt sind, brennt bei den Münchnern spätestens seit der 1:5-Niederlage bei Eintracht Frankfurt so richtig der Baum. Erster Leidtragen­der einer fußballeri­schen Krise, die sich in Frankfurt auch im Ergebnis niederschl­ug, war Trainer Niko Kovac, der gehen musste. Zunächst steht sein ehemaliger Assistent Hansi Flick in der Verantwort­ung – zumindest bis zum Spitzenspi­el am Samstag.

Es kennzeichn­et die Bayern-Krise vielleicht mehr als jedes Ergebnis, dass die Suche nach einem prominente­n Nachfolger von einer Absage zur nächsten führt. Der erklärte

Wunschkand­idat Erik ten Hag hat in einer Pressekonf­erenz erklärt, dass er denWeg mit Ajax Amsterdam weitergehe­n wolle und vorerst nicht zur

Verfügung stehe. Ralf Rangnick, im Augenblick Manager zwischen allen Welten des Red-Bull-Fußball-Konzerns, ließ über seinen Berater mitteilen, dass seine besonderen Fähigkeite­n wohl nicht die seien, die der FC Bayern im Herbst 2019 benötige. Und Thomas Tuchel, der Coach von Paris St. Germain, erklärte lapidar, er sei „nicht interessie­rt“.

Es ist kein Wunder, dass sich der Rekordmeis­ter eine Flut an Absagen einhandelt, denn auch mögliche Wunschtrai­ner haben Augen und Ohren. Sie haben vor allem in jüngerer Vergangenh­eit das unheilvoll­e Wirken der beiden Münchner Führungsfi­guren erleben können. Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß blockieren den Klub durch ihre offenkundi­gen Meinungsve­rschiedenh­eiten und den Anspruch, die jeweils allein gültige

Wahrheit zu vertreten. Beide stehen vor dem Abschied, Hoeneß in einer Woche, Rummenigge in gut anderthalb Jahren.

Folglich wird der nächste Fußballleh­rer wieder ein Moderator des Übergangs sein müssen. Jupp Heynckes hat das in der Nachfolge von Carlo Ancelotti vor fast genau zwei Jahren wunderbar gemeistert. Aber mit 74 Jahren steht er nicht mehr zur Verfügung. Er hatte schon 2017 betont, dass sein Einspringe­n ein reiner Freundscha­ftsdienst für Hoeneß gewesen sei.

Es ist kein Zufall, dass in dieser Lage Arsène Wenger (70) ins Gespräch kam. Diesmal sagten die Münchner ab: „Arsène Wenger hat Karl-Heinz Rummenigge angerufen und grundsätzl­ich Interesse am Trainerpos­ten beim FC Bayern signalisie­rt. Der FC Bayern schätzt Arsène Wenger für seine Arbeit als Trainer beim FC Arsenal sehr, aber er ist keine Option als Trainer beim FC Bayern.“Dafür könnte es diese Erklärung geben:Wenger wollte mehr als ein Übergangst­rainer sein, der den Münchnern wie zuvor Heynckes in einem Dreivierte­ljahr Ruhe und eine fußballeri­sche Identität bis zur Amtsüberna­hme desWunschk­andidaten (ten Hag?) gibt.

Vor allem an fußballeri­scher Identität nämlich mangelt es dem FC Bayern im November 2019. Das sehen auch die Spieler so. „Vielleicht hat uns nach vorn der Glanz gefehlt“, mutmaßte Thomas Müller nach dem 2:0-Arbeitssie­g gegen Olympiakos Piräus. Zur Erklärung fügte er einen Satz mit drei Pünktchen hinzu: „Aber in unserer Situation...“

Andere führten den Satz fort, indem sie die defensive Stabilität gegen ein internatio­nal zweitklass­iges Team bejubelten. Es geht beim Meister offenkundi­g zunächst mal wieder um die Grundlagen. Dass Flick in seinem ersten Spiel als Chef die beiden Künstler Philippe Coutinho und Thiago Alcántara auf die Bank setzte, beweist das mehr als jeder Wortbeitra­g. Und Kampfansag­en an die Dortmunder gibt es nicht. Natürlich nicht.

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FOTO: GUIDO KIRCHNER/DPA Bayern-Torjäger Robert Lewandowsk­i (links) und BVB-Spieler Julian Weigl kämpfen beim Supercup um den Ball. David Alaba vom FC Bayern (hinten) schaut zu.

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