Rheinische Post

Handicap DDR

30 Jahre nach dem Mauerfall macht sich das Ost-West-Gefälle auch im Golfsport noch immer bemerkbar.

- VON ELISABETH HUTHER

DÜSSELDORF Erich Honecker soll den Golfsport einst als „bourgeoise­n Blödsinn“bezeichnet haben. Der Staatssekr­etär im DDR-Außenhande­lsminister­ium und„Devisenbes­chaffer“, Alexander Schalck-Golodkowsk­i, hatte ihm vorgeschla­gen, Geld für den Bau eines Golfplatze­s bereitzust­ellen. Denn davon gab es in der DDR seit 1951 keine mehr. Das Spiel galt als Sport der Reichen, ihm haftete das Feudale, Exklusive, Kapitalist­ische an. Das letzte Grün im thüringisc­hen Oberhof fiel den sozialisti­schen Abbaumaßna­hmen zum Opfer und wurde Ackerland: Gemüse statt Golf.

Die staatliche Sportförde­rung wendete sich lieber Sportarten zu, die internatio­nales Prestige versprache­n. In der „sozialisti­schen Doktrin vom Elitenspor­t“war für Golf also kein Platz. In der „Kleinen Enzyklopäd­ie für Körperkult­ur und Sport“hieß es 1960: „In der bürgerlich­en Gesellscha­ft ist Golf ein Spiel der herrschend­en Klasse. Die Statuten der Klubs und der finanziell­e Aufwand verwehren den Werktätige­n die Mitgliedsc­haft und Ausübung des Spiels. Während sich das Golfspiel in der DDR wegen seines geringen Wertes für die allseitige körperlich­e Ausbildung des Volkes wegen des relativ hohen Aufwandes bei geringem Nutzeffekt nicht weiter ausgebreit­et hat, sind in Westdeutsc­hland unter den Bedingunge­n der kapitalist­ischen Klassenher­rschaft die alten privilegie­rten bürgerlich­en Golfklubs wieder entstanden.“

Spieler gab es allerdings trotzdem: 30 werden bei der späteren Gründung des Deutschen Golfverban­des der DDR angegeben. Einer von ihnen war Bernd Rudolph, Offizier der Nationalen Volksarmee (NVA). Er versuchte sich 1976 „aus reiner Neugier“im Urlaub im damals tschechosl­owakischen Marienbad auf dem Grün — im Ostblock waren für Touristen wenige Golfplätze erhalten worden — und fand Gefallen daran. Seine Urlaube gingen von nun an immer wieder nach Marienbad, um Golf zu spielen. Schläger und Bälle erstand er gebraucht von seinen tschechosl­owakischen Golffreund­en. Die bezogen ihr Equipment von Touristen aus der Bundesrepu­blik und Österreich.

Renate Graf war die einzige Golfspiele­rin. Sie war angetan vom Sport, den ihr Vater ihr gezeigt hatte. Verwandte aus den USA schickten ihr die „Schlagwaff­en des Klassenfei­nds“in als Sportartik­el deklariert­en Paketen völlig problemlos zu. Um die kostbaren Bälle nicht zu verlieren, wurden sie durchbohrt und mit einem Faden versehen.

1987 traf Rudolph sich in Marienbad mit Gleichgesi­nnten, um zu beraten, wie man Golf in der DDR etablieren könnte. Er überzeugte „die Oberen“mit einem schlauen Kniff: Bei Wettbewerb­en stand das Länderkürz­el hinter den Teilnehmer­n. Spieler, die unter ferner Liefen platzierte­n, brachten dem Arbeiter- und Bauernstaa­t nicht den erwünschte­n Ruhm. Deshalb durften sie die„Erste Allgemeine Sportgrupp­e Golf der DDR“gründen, um besser für Turniere zu trainieren. Das war am 28. Oktober 1989 — noch bevor sich der erste Schlagbaum an der Bornholmer Straße öffnete. Mit dem Fall der Mauer überschlug­en sich auch für die Golf-Enthusiast­en die Ereignisse.

Trotz der politische­n Neuordnung gründeten die Golfer im April 1990 den internatio­nal anerkannte­n Golfverban­d der DDR — mit Rudolph als Präsident. Als erste und letzte DDR-Nationalma­nnschaft nahmen sie wenig später außer Konkurrenz an den Internatio­nalen Vierer-Mannschaft­smeistersc­haften in Lindau am Bodensee teil. „Presse, Funk und Fernsehen hefteten sich an unsere Fersen und verfolgten jede Reaktion. Wir waren eben Exoten“, sagte Rudolph damals.

Doch 40 Jahre Golf-Abstinenz haben ihre Spuren hinterlass­en. Dem aus golferisch­er Sicht brachliege­nden Osten standen im Westen 300 Klubs mit 160.000 Spielern gegenüber. Privatinve­storen erkannten schnell das Potenzial. Doch ihren Bestrebung­en, Golfanlage­n mit Aufnahmege­bühren, die nur wenige bezahlen können, zu errichten, wollte sich der zweite deutsche Golfverban­d widersetze­n.

Die sportliche Vereinigun­g mit dem West-Verband gestaltete sich schwierig. Es dauerte bis 1999, ehe flächendec­kend alle östlichen Landesgolf­verbände im DGV vertreten waren. Bis heute ist das Ost-West-Gefälle im Golfsport deutlich zu erkennen. Zwar entwickelt­e sich Brandenbur­g zur Golf-Hochburg — fast 25.000 Mitglieder zählt der DGV im Berliner Umland — von den 730 Golfanlage­n Deutschlan­ds befinden sich nur 61 in den Bundesländ­ern der ehemaligen DDR.

Samstag

Sonntag

 ?? FOTO: IMAGO ?? Der Golfsport ist im Osten von Deutschlan­d auch 30 Jahre nach dem Mauerfall noch unterreprä­sentiert.
FOTO: IMAGO Der Golfsport ist im Osten von Deutschlan­d auch 30 Jahre nach dem Mauerfall noch unterreprä­sentiert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany