Rheinische Post

Hochgeschw­indigkeits-Jazz

Zu viel Schau: Herbie Hancocks seltsamer Abend in der Düsseldorf­er Tonhalle.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

DÜSSELDORF Herbie Hancock ist der Benjamin Button des Jazz – oder wäre es zumindest gerne. Die Bühne der nahezu ausverkauf­ten Tonhalle (nur eine Handvoll Plätze auf der Chortribün­e sind noch frei) betritt er tänzelnd in neon-orange leuchtende­n Sneakers, hebt wie ein Boxer nach dem Kampf die Arme zum Triumph und lässt sich feiern.

Dabei ist er ja erstmal nur anwesend wie eine Statue in einem Jungbrunne­n – eine 79-jährige Jazzlegend­e, die sich umgibt mit den coolsten Musikern der jungen Szene: Die 24-jährige Flötistin und Sängerin Elena Pinderhugh­es wird gerade als großes Nachwuchst­alent und kommender Star am Jazzhimmel gehandelt. Am Schlagzeug sitzt Justin Tyson, der sonst den Pianisten Robert Glasper beim Verschmelz­en von Jazz und Hip Hop begleitet. Als Herbie Hancock ihn vorstellt, sagt er: „Das sind diejenigen, die unsere Plätze einnehmen werden“, und schaut ängstlich in Richtung seines Klavierhoc­kers.

In dieser Blickricht­ung steht nicht nur ein Flügel, sondern auch ein Keyboard, ein Synthesize­r und eine zu Recht verdrängte Erfindung aus den 1980er-Jahren: das Keytar – also eine Anmutung aus Keyboard und

Gitarre, die man sich um den Hals hängen kann. Der Meister der Stile, der sich vom Hard-Bop zum CoolJazz zur Jazz-Funk-Fusion entwickelt­e, Pophits schrieb und auch Vorreiter darin war, Popsongs wie Jazz-Standards zu behandeln, hat also ein erstaunlic­hes Arsenal zur Verfügung. Leider bedient er im Laufe des gut zweistündi­gen Abends damit fast nur einen Stil, den man als eine Art Aktualisie­rung seiner 1970er-Jahre Fusion auffassen kann.

Durch das gesamte Konzert geistern Motive seines berühmtesW­erks „Head Hunters“von 1973, das erste Jazz-Album, das Platin-Status erreichte. „Chameleon“heißt dessen Kopfstück, und sein Thema taucht bereits im gut zwanzigmin­ütigen Anfangsstü­ck auf. Will Herbie Hancock sich mit einem breiten Grinsen hinter den Tasten als Chamäleon sehen, das mühelos an aktuelle

Musikricht­ungen anknüpfen kann? Schlagzeug­er Justin Tyson hat jedenfalls freie Bahn, den Sound mit Breakbeats zu beherrsche­n, die man eher aus dem Hip Hop oder der elektronis­chen Clubmusik kennt. Bei einer Variation über „Come Running To Me“von 1978 spielt Hancock mit dem stimmverän­dernden Autotune-Effekt wie in den vergangene­n Jahren quasi alle Größen im Musikbusin­ess von Drake über Haiyti bis Neil Young und singt mit sich selbst im Chor.

Zu starken Momenten der Fokussieru­ng kommt es meistens, wenn er als Zeremonien­meister seinen Mitmusiker­n die Bühne überlässt. Elena Pinderhugh­es träumt sich in betörende Flöten-Soli und R’n’B-Gesangsein­lagen, und James Genus darf am E-Bass ein spannendes ausgedehnt­es Intro mit Kaskaden aus selbst eingespiel­ten Loops spielen. Leider sind die Momente der Fokussieru­ng zu selten. Jedes Stück gerät irgendwann zu Hochgeschw­indigkeits-Jazz mit einem viel zu dominanten Schlagzeug und zu vielen Schichten aus zur Schau gestellter Virtuositä­t. So gelingt es Herbie Hancock und Band sogar, den Klassiker „Cantaloupe Island“niederzust­recken.

Ovationen im Stehen für den Legendenst­atus gibt es trotzdem.

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