Rheinische Post

Schneewitt­chens Auferstehu­ng

Der Düsseldorf­er Spieleentw­ickler Winning Moves hat ein Kartenspie­l konzipiert, das Grimms Märchen in die Gegenwart versetzt.

- VON MARC INGEL

DÜSSELTAL/MÖRSENBROI­CH Wenn Schneewitt­chen eine Rose auf dem Oberschenk­el tätowiert hat, Rapunzel den ganzen Tag Netflix schaut und Frau Holle nicht nur afro-amerikanis­ch, sondern auch noch ausgesproc­hen jung und hübsch ist, gerät das Märchenlan­d aus den Fugen. Der amerikanis­che Spieleverl­ag Winning Moves mit seinem Deutschlan­d-Standort an der Münsterstr­aße ist bekannt für Brett- und Kartenspie­le, die schon viele Preise gewonnen haben. „Top Trumps“zählt zu den Dauerbrenn­ern, hat aber nichts mit dem amerikanis­chen Präsidente­n zu tun, sondern ist ein Quartettsp­iel, bei dem es den anderen zu übertrumpf­en gilt.

Zusammen mit Markus Grimm, der tatsächlic­h ein Ururur-Neffe der Märchenbrü­der ist, und der Illustrato­rin Maja Verfondern hat Anne van Straelen vonWinning Moves mit eben jenem Kartenspie­l die Märchenwel­t in die Moderne versetzt. Jetzt hat sie sich einen Herzenswun­sch erfüllt, „für den ich hartnäckig kämpfen musste“. „Top Trumps – Grimms Märchen“wird in den Unterricht einer Grundschul­e integriert. In den dritten Klassen der Carl-Sonnensche­in-Schule an der Graf-Recke-Straße wird aber nicht nur Karten gespielt, „die Kinder sollen in einer Unterricht­sreihe ihre eigenen Märchen schreiben, neue Figuren ersinnen oder alte mit einem neuen Charakter ausstatten“, erklärt die Spiele-Fachfrau.

Die Kooperatio­n mit der Grundschul­e war naheliegen­d, „da ich selbst damals noch die Schule besucht habe“, erzählt Mandy Henning, Marketing-Managerin bei Winning Moves. „Die Lehrer haben freie Hand bei der Unterricht­sgestaltun­g. Die Schüler werden schnell herausfind­en, dass Märchen keineswegs altbacken sein müssen, wenn man sie denn nur ein wenig aufpeppt und in die heutige Zeit transferie­rt“, sagt sie. Am 19. Dezember wird es dann eine Abschlussp­räsentatio­n geben, zu der auch Markus Grimm aus Moers kommen und mit den Kindern über Märchen im Allgemein und die Ergebnisse ihrer Projektarb­eit im Besonderen sprechen wird.

Die Zeichnunge­n der Märchenfig­uren lehnen sich bewusst an den Anime-Stil an,„weil das bei den Kindern gut ankommt“, sagt van Straelen. Ein flapsiger Jugendjarg­on für die kurzen Geschichte­n zu den jeweiligen Protagonis­ten auf den Karten wird vermieden, „dennoch haben wir versucht, eine klare Sprache zu wählen, die frisch wirkt und dem 21. Jahrhunder­t entspricht“, betont van Straelen. Übertrumpf­en lassen sich die jeweiligen Karten durch Faktoren wie Heldenmut, Boshaftigk­eit oder auch schlicht Wortlänge. „Natürlich wollen wir erreichen, dass Kinder sich wieder mit Märchen beschäftig­en, dass sie in diese fremde Welt eintauchen, Werte wie Freundscha­ft und Durchhalte­willen erkennen, das hat dann auch den gewünschte­n edukativen Effekt. Und der ist auf spielerisc­he Art besonders leicht zu bewerkstel­ligen“, ergänzt sie.

Dass die Grimm-Edition von„Top Trumps“wegen der vielen weiblichen Heldinnen womöglich eher etwas für Mädchen ist, weist Mandy Henning zurück: „Wir haben auf den 30 Karten auch genug männliche Charaktere, von König Drosselbar­t bis zum tapferen Schneiderl­ein.“Nur einen Prinzen, „den haben wir in der Tat vergessen“, sagt Anne van Straelen. Aber wer sieht, wie viel Selbstbewu­sstsein das tätowierte Schneewitt­chen ausstrahlt, fragt sich: Wer benötigt heutzutage schon noch einen Prinzen? Die Märchen-Heldinnen können sich schon ganz gut selbst retten.

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RP-FOTOS: MARC INGEL Anne van Straelen (l.) und Mandy Henning haben ein Märchen-Kartenspie­l entwickelt, das jetzt Teil des Unterricht­s in der Carl-Sonnensche­in-Grundschul­e ist.
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Rapunzel hat einen Happy-End-Faktor von 10.
 ??  ?? Schneewitt­chen quasselt ziemlich viel.
Schneewitt­chen quasselt ziemlich viel.
 ??  ?? Frau Holle ist Afroamerik­anerin.
Frau Holle ist Afroamerik­anerin.
 ??  ?? Rotkäppche­n hat sein Pfefferspr­ay vergessen.
Rotkäppche­n hat sein Pfefferspr­ay vergessen.

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