Rheinische Post

Die Geschichte der Bienen

- Von Maja Lunde

Mein Mund war trocken, ich versuchte, durch die Nase zu atmen, befeuchtet­e meine Lippen mit der Zunge. Es half nichts. Mir fiel ein, dass ich noch eine halbvolle Flasche Wasser in der Tasche hatte, und ich nahm sie heraus und leerte sie in großen Schlucken.

Dann lief ich weiter. Ich verlor das Zeitgefühl. An einer Stelle war der Himmel heller, da zog es mich hin. Vielleicht verbarg sich die Sonne dort, vielleicht konnte ich dort all dem Grau entkommen. Doch dann wurde der Punkt am Himmel immer kleiner, der Schleier vor der Sonne verdichtet­e sich.

Erst als es längst zu spät war, begriff ich, dass ich mich verlaufen hatte.

George

Meine Bienenstöc­ke standen wieder auf der Wiese, im Wald und am Wegesrand, wo Tom sie anscheinen­d am liebsten sah. Abgesehen davon, dass er auch dort eigentlich nichts mit ihnen zu tun haben wollte.

Es war früher Vormittag, und ich war draußen auf der Wiese beim Alabast River. Die Sonne brannte auf meinen weißen Hut, den Overall und den Schleier. Bis auf meine Unterwäsch­e trug ich nichts darunter. Schweißtro­pfen rannen über meinen Rücken und kitzelten dort, wo sie den Saum meiner Boxershort­s trafen. Florida musste jetzt die reinste Hölle sein. Was war ich froh, dass wir uns nicht dafür entschiede­n hatten.

Denn hier oben war der Sommer heiß genug. In den letzten Wochen war das Wetter phänomenal gewesen.Wenig Niederschl­ag. Die Bienen waren fleißig gewesen, rein, raus, rein, raus waren sie geflogen. Sie sammelten Nektar, sobald die Sonne aufging und bis sie am Abend wieder verschwand, direkt hinter Gareths Hof.

Das war die beste Zeit hier. Jetzt war ich viel bei den Bienen draußen. Nahm mir Zeit. Manchmal blieb ich stehen und studierte ihren Tanz. Ihre Bewegungen, in denenich nicht unbedingt ein System erkennen konnte, obwohl ich wusste, dass sie sich auf diese Weise erzählten, wo der beste Nektar war: Jetzt schlage ich ein bisschen mit den Flügeln, fliege nach rechts, danach ein bisschen nach links, dann eine Runde, und das bedeutet, ihr müsst an der großen Eiche vorbeiflie­gen, den kleinen Hang hinauf, über den Bach, und da, liebe Leute, gibt es die Stelle mit den besten wilden Himbeeren, die ihr euch nur vorstellen könnt!

So machten sie weiter. Rein und raus, füreinande­r tanzen, suchen, finden, bringen. Und die Bienenstöc­ke wurden immer schwerer. Ab und zu stand ich einfach nur da und befühlte sie, wog sie in der Hand, wog den Honig, der dort drinnen bereits floss. Goldenes, flüssiges Geld. Geld für Selbstbete­iligungen, Geld für Kredite.

Inzwischen hatte ich längst die Honigräume aufgesetzt. Jetzt war es wichtig, sie vom Schwärmen abzuhalten. Zu verhindern, dass die alte Königin Teile ihresVolke­s mitnahm, um einer neuen Königin und ihren Nachkommen Platz zu machen.

Die Wiese am Alabast River lag fernab jeder Zivilisati­on, und dennoch war ich mehr als einmal gerufen worden, um einen Schwarm aus einem Obstbaum zu vertreiben. Verbiester­te Weiber mit ängstliche­n Kindern drückten sich die Nasen an den Fenstersch­eiben ihres Hauses platt, während ich die Äste schüttelte und den Schwarm vorsichtig in eine Beute lavierte. So etwas förderte unseren Ruf nicht gerade, und deshalb arbeitete ich hart daran, das Schwärmen zu verhindern.

ERPELINO

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