Rheinische Post

Starker „Tatort“über DDR-Justiz

In einem Plattenbau wird die Leiche eines alten Mannes gefunden. Eigentlich hätte er in der DDR hingericht­et werden sollen. Die Berliner Ermittler legt einen guten Fall vor.

- VON CHRISTIAN SIEBEN

BERLIN Kommissar Karow (Mark Waschke) ist entsetzt. In seiner Nachbarwoh­nung wird die Leiche eines alten Mannes gefunden. Mehrere Wochen verweste der Körper unbemerkt vor sich hin.Weil die Wohnungstü­r mit Gummi abgedichte­t war, zog der Gestank nicht in den Hausflur. Während die kaltherzig­e Vermieteri­n dieWohnung so schnell wie möglich reinigen lassen will, leitet Karow zur Überraschu­ng seiner Kollegin Rubin (Meret Becker) Ermittlung­en ein. Er vermutet Mord. Die Gerichtsme­dizinerin gibt ihm schließlic­h Recht. Der Mann starb an einem aufgesetzt­en Schuss.

Bei ihren Ermittlung­en stoßen Karow und Rubin auch auf den Rentner Gerd Böhnke (Otto Mellies). Der ehemalige DDR-Richter wurde kürzlich Opfer eines Raubüberfa­lls und traut sich seitdem nur noch mit einer alten Armeepisto­le auf die Straße. Den Überfall hatten junge Mädchen begangen, die offenbar zu einem osteuropäi­schen Clan gehören. Gefasst wurden sie nicht. Haben die jungen Mädchen auch etwas mit dem Mord an Karows Nachbarn zu tun? Und in welcher Verbindung stand der anscheinen­d ewig gestrige DDR-Richter zum Opfer? Unheimlich wird es spätestens, als die Kommissare herausfind­en, dass Karows Nachbar eigentlich schon seit vielen Jahren hätte tot sein sollen. 30 Jahre nach dem Mauerfall greifen die Autorin Sarah Schnier und Regisseur Florian Baxmeyer in diesem sehenswert­en „Tatort“ein eher selten behandelte­s Thema deutscher Geschichte auf. In der DDR wurde die Todesstraf­e vollzogen – bis zum

Jahr 1968 mit dem Fallbeil, anschließe­nd durch Schüsse in den Hinterkopf. Die letzte Hinrichtun­g eines Zivilisten fand 1972 statt. Sie wurde am mehrfachen Kindermörd­er Erwin Hagedorn vollstreck­t. 200 Menschen wurden bis zur Abschaffun­g 1987 zum Tode verurteilt. Mindestens 164 wurden auch tatsächlic­h hingericht­et. Die Leichen wurden eingeäsche­rt und anonym beigesetzt. Der Fall „Das Leben nach dem Tod“hält auch deshalb bis zum Ende die Spannung, weil der Zuschauer gleich mehrmals auf die falsche Spur gesetzt wird. Die Theatersch­auspieleri­n Karin Neuhäuser glänzt als herzlose Vermieteri­n ebenso wie Lisa Hrdina als hoffnungsl­os überforder­te Staatsanwä­ltin im Praktikum. Auch die nicht immer unkomplizi­erte Beziehung zwischen Karow und Becker wird interessan­t weitererzä­hlt. An einer Stelle wird es sogar fast romantisch.

Ansonsten geht es wieder ziemlich düster zu im Berliner „Tatort“. Vielleicht ist dies der einzige Vorwurf, den sich die Macher gefallen lassen müssen. Immer regnet es in

Berlin, alles ist dreckig, überall ist es laut. Niemand wäscht sich mehr die Haare, der Verhörraum der Berliner Kripo sieht aus wie ein feuchter Fahrradkel­ler. Karows Wohnung ist nicht tapeziert und macht auch sonst in allen Belangen einen desaströse­n Eindruck. Von diesen ziemlichen Übertreibu­ngen einmal angesehen, ist der neue Berliner Fall tatsächlic­h einer der deutlich besseren dieses Jahres.

„Tatort – Das Leben nach dem Tod“, Das Erste, So., 20.15 Uhr

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FOTO: RBB/MARCUS GLAHN FOTO: RBB/MARCUS GLAHN Man könnte meinen, hier kommt man sich näher: Rubin (Meret Becker) und Karow (Mark Waschke).

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