Starker „Tatort“über DDR-Justiz
In einem Plattenbau wird die Leiche eines alten Mannes gefunden. Eigentlich hätte er in der DDR hingerichtet werden sollen. Die Berliner Ermittler legt einen guten Fall vor.
BERLIN Kommissar Karow (Mark Waschke) ist entsetzt. In seiner Nachbarwohnung wird die Leiche eines alten Mannes gefunden. Mehrere Wochen verweste der Körper unbemerkt vor sich hin.Weil die Wohnungstür mit Gummi abgedichtet war, zog der Gestank nicht in den Hausflur. Während die kaltherzige Vermieterin dieWohnung so schnell wie möglich reinigen lassen will, leitet Karow zur Überraschung seiner Kollegin Rubin (Meret Becker) Ermittlungen ein. Er vermutet Mord. Die Gerichtsmedizinerin gibt ihm schließlich Recht. Der Mann starb an einem aufgesetzten Schuss.
Bei ihren Ermittlungen stoßen Karow und Rubin auch auf den Rentner Gerd Böhnke (Otto Mellies). Der ehemalige DDR-Richter wurde kürzlich Opfer eines Raubüberfalls und traut sich seitdem nur noch mit einer alten Armeepistole auf die Straße. Den Überfall hatten junge Mädchen begangen, die offenbar zu einem osteuropäischen Clan gehören. Gefasst wurden sie nicht. Haben die jungen Mädchen auch etwas mit dem Mord an Karows Nachbarn zu tun? Und in welcher Verbindung stand der anscheinend ewig gestrige DDR-Richter zum Opfer? Unheimlich wird es spätestens, als die Kommissare herausfinden, dass Karows Nachbar eigentlich schon seit vielen Jahren hätte tot sein sollen. 30 Jahre nach dem Mauerfall greifen die Autorin Sarah Schnier und Regisseur Florian Baxmeyer in diesem sehenswerten „Tatort“ein eher selten behandeltes Thema deutscher Geschichte auf. In der DDR wurde die Todesstrafe vollzogen – bis zum
Jahr 1968 mit dem Fallbeil, anschließend durch Schüsse in den Hinterkopf. Die letzte Hinrichtung eines Zivilisten fand 1972 statt. Sie wurde am mehrfachen Kindermörder Erwin Hagedorn vollstreckt. 200 Menschen wurden bis zur Abschaffung 1987 zum Tode verurteilt. Mindestens 164 wurden auch tatsächlich hingerichtet. Die Leichen wurden eingeäschert und anonym beigesetzt. Der Fall „Das Leben nach dem Tod“hält auch deshalb bis zum Ende die Spannung, weil der Zuschauer gleich mehrmals auf die falsche Spur gesetzt wird. Die Theaterschauspielerin Karin Neuhäuser glänzt als herzlose Vermieterin ebenso wie Lisa Hrdina als hoffnungslos überforderte Staatsanwältin im Praktikum. Auch die nicht immer unkomplizierte Beziehung zwischen Karow und Becker wird interessant weitererzählt. An einer Stelle wird es sogar fast romantisch.
Ansonsten geht es wieder ziemlich düster zu im Berliner „Tatort“. Vielleicht ist dies der einzige Vorwurf, den sich die Macher gefallen lassen müssen. Immer regnet es in
Berlin, alles ist dreckig, überall ist es laut. Niemand wäscht sich mehr die Haare, der Verhörraum der Berliner Kripo sieht aus wie ein feuchter Fahrradkeller. Karows Wohnung ist nicht tapeziert und macht auch sonst in allen Belangen einen desaströsen Eindruck. Von diesen ziemlichen Übertreibungen einmal angesehen, ist der neue Berliner Fall tatsächlich einer der deutlich besseren dieses Jahres.
„Tatort – Das Leben nach dem Tod“, Das Erste, So., 20.15 Uhr