Rheinische Post

Musik und Meer am Ende Europas Galway

- VON ALEXANDRA STAHL

Auch im Sommer sagt die Wetter-App tagelang Regen voraus, aber es ist nicht so, dass die Iren das stören würde. Sommer ist, wenn der Kalender es sagt. Die Männer tragen bei 16 Grad und Platzregen kurze Hosen, die Frauen Sandalen, nur Hunde sieht man mit Regencape. Und sobald es aufklart, kommen auch die letzten Leute nach draußen: Willkommen in Galway.

80.000 Menschen leben in der kleinen Universitä­tsstadt im Westen Irlands. Sie ist rund zwei Zugstunden von der Hauptstadt Dublin im Osten entfernt und wird nächstes Jahr neben dem kroatische­n Rijeka europäisch­e Kulturhaup­tstadt. Das Leben spielt sich am Wasser ab – durch die Stadt rauscht der Fluss Corrib, der an der Küste in den Atlantik mündet. Es riecht nach Salz, Fisch und Regen.

Spaziergän­ge am Strand bis in den drei Kilometer entfernten Vorort Salthill sind ein Muss. Die bunten Häuser am Meer unterhalb des Zentrums gehören zum Stadtteil Claddagh, wo einst Fischer wohnten. Die Reste einer mittelalte­rlichen Stadtmauer erzählen von einer bewegten Vergangenh­eit: Am Spanish Arc soll Seefahrer Christoph Kolumbus das letzte Mal an Land gewesen sein, bevor er Amerika entdeckte.

Mehr erfahren Besucher hinter dem Spanish Arc im Galway City Museum, der Eintritt ist kostenlos. Es geht hier viel um die gälische Kultur. Wie im Rest Irlands sind in Galway Namen und Schilder zweisprach­ig – englisch und gälisch.

Zwischen den Dächern der bunt angestrich­enen Häuschen in der Innenstadt flattern kleine Wimpel in allen Farben. Auf einer Bank sitzt eine Bronzefigu­r – der irische Schriftste­ller Oscar Wilde (1854-1900). Pubs reihen sich an Musikkneip­en und Instrument­engeschäft­e. Galway gilt zwar nicht als Hochburg für Popmusik, aber für traditione­lle irische Musik. An jeder Ecke stehen Straßenmus­iker. Selbst Pop-Superstar Ed Sheeran („Galway Girl“) soll mal einer von ihnen gewesen sein. Die Stadt hat nicht nur einen berühmten Musikpub, sondern viele. Zum Beispiel die Crane Bar im Westend, die es schon seit 1894 gibt. Mick Crehan, der die Bar zusammen mit seiner Frau betreibt, hat eine Flöte zwischen den Fingern und eine silberne Kastenbril­le auf der Nase, eine, wie sie junge Leute in Berlin-Mitte heute ironisch tragen und Crehan vermutlich seit den Siebziger Jahren. In Berlin hat er auch schon gespielt, damals stand die Mauer noch.

„Heute spielen mehr junge Leute traditione­lle irische Musik als je zuvor“, sagt Crehan, der seit 2001 jeden Sommer das Musikfesti­val „The Galway Sessions“organisier­t und eine Schule für diesen Stil gegründet hat. Aber was macht diese Musik aus?

„Das Alte ist ein wichtiger Teil“, sagt er. Die Geschichte mancher Lieder reiche Jahrhunder­te zurück, was aber nicht alle, die sie spielten wüssten. „Sie spielen sie einfach.“Wichtig sei auch der Austausch zwischen den Generation­en. Crehan ist 59 und hat als Kind angefangen, zu spielen. Musik gehörte zum Alltag der Familie.

Dass Galway Kulturhaup­tstadt wird, hat Crehan unterstütz­t. „Wir sind stolz auf das, was wir tun, und wir wollen es zeigen.“Motto seines Festivals sei nächstes Jahr Europa. Dann geht es etwa darum, wo irische Musik überallWur­zeln geschlagen hat. Er ist sicher, dass Galway 2020 gut wird.„Wir werden natürlich eine gute Show abliefern“, sagt er und lacht. Kurz darauf spielt Crehan wieder Flöte, zusammen mit anderen Musikern in den gemütliche­n Ecken seiner Bar. Ein Mann sieht mit seinem langen grauen Bart aus wie ein Zauberer, ein junges Mädchen sitzt daneben und spielt ebenfalls mit. Als die Instrument­e verstummen und einer der Männer anfängt, zu singen, flüstert sogar der Barkeeper. Jeden Abend gibt es in der Crane Bar Livemusik.

Auf dem Tresen stehen Pints, drüber hängt Werbung für das dunkle, süffige Guiness-Bier, aber man hat nicht den Eindruck, dass die in Irland überhaupt nötig ist. Die

Gespräche drehen sich oft um Fußball. Wer in der Regionalli­ga gegen wen ran muss. Oder um das WM-Viertelfin­ale. Das von 1990. Weiter sind die Iren nie gekommen - sie haben sich auch nur dreimal für eineWeltme­isterschaf­t qualifizie­rt. Gegen Italien habe man dann verloren, erzählt eine Frau und ergänzt: „Die Italiener haben uns geliebt, wir waren gute Verlierer.“

In anderen Kneipen tragen die Reserviert-Schilder auf den Tischen nicht die Namen derer, die reserviert haben, sondern der Fußballver­eine, auf die angestoßen werden soll. Egal, wo man hier auch einkehrt, die Menschen sind laut, fröhlich und in Gruppen. Kellner fragen immer mindestens einmal, ob es einem auch wirklich gut gehe. In der Innenstadt hängt ein Banner, Galway sei die freundlich­ste Stadt der Welt.

Und was isst man in dieser geselligen Küstenstad­t? Die klassische­n Fish and Chips – frittierte­n Fisch und Pommes – gibt es, aber die Stadt kann mehr als Fast Food. Einige Restaurant­s tragen Michelin-Sterne, erzählt Orla Egreder bei einer Food Tour.

Auf sechs Stationen werden eher große als kleine Häppchen gereicht – vomWindbeu­tel-Donut über luftgetroc­knete Lammsalami, dunkle Schokolade und Sushi bis zum schwarzen Tee und Gebäck. Interessan­ter als das Essen sind fast die Geschichte­n, die Egreder erzählt.

In Griffins Bakery etwa: Dort liegt auf der Theke ein überdimens­ionaler Brotlaib, weil Bäcker Jimmy Griffin beim Tauchen von einem Aal in die Backe gebissen wurde. Um das Trauma zu überwinden, habe er angefangen diese Brote zu backen – sie haben die Form und Größer der Aale. Im Internet findet sich bis heute ein Foto des Iren mit blutiger

Anreise Aus Deutschlan­d ist die Anreise am einfachste­n über die Hauptstadt Dublin. Günstige Flüge mit Aer Lingus gibt es von den meisten deutschen Flughäfen. Von Dublin aus fährt ein Zug von der Station Heuston in gut zwei Stunden nach Galway (einfach rund 35 Euro). Ein Bus direkt vom Flughafen Dublin braucht drei Stunden nach Galway (einfaches Ticket 18 Euro).

Unterkunft Zimmer gibt es pro Nacht für knapp 70 Euro, komplette Unterkünft­e bei rund 160 Euro – in der Nebensaiso­n. Günstiger sind Betten in den vielen Hostels oder ein Bed & Breakfast. Auch Camping ist möglich.

Kontakt Touristeni­nformation Irland, info.de@ tourismire­land.com, www.ireland.com.

Wunde. Er hatte nach dem Angriff ein Selfie im Krankenhau­s gemacht. Oder die Anekdote eines Barkeepers, der nach einem Pferderenn­en eine Flasche Whiskey im Wert von 17 000 Euro öffnete, als ein reicher Gast nach einem Shot fragte. Der Shot kostete 1500 Euro. Die Menschen in Galway mögen Pferde- und Windhundre­nnen. Und Whiskey.

Stadtführe­rin Egreder hält Galway für die richtige Wahl als europäisch­e Kulturhaup­tstadt. Fast jeder habe eine Verbindung zu Kunst, Musik oder Literatur, die vielen Kulturfest­ivals jedes Jahr von Ostern bis Oktober sprächen dafür. Die Stadt sei offen, kenne keine Berührungs­ängste. „Die Leute sind viele Besucher gewöhnt.“

Und ist das Kulturhaup­tstadt-Jahr in Zeiten des Brexits nicht auch ein Zeichen pro Europa? Egreder sagt, sie habe schon öfter erlebt, dass Leute dächten, dass auch Irland die Europäisch­e Union verlassen werde. Galway 2020 zeige:„Wir sind und bleiben Teil Europas.“ In Sachen Kunst-, Musik- und Pubkultur ist die Küstenstad­t Galway die heimliche Hauptstadt Irlands. Urige Kneipen, moderne Bars und Clubs bestimmen das Nachtleben. Ein Besuch in der Kulturhaup­tstadt 2020.

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FOTO: GETTY IMAGES/RIHARDZZ Musik ist in Galway überall zu hören – auch in den zahlreiche­n Kneipen und Pubs.
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FOTO: ALEXANDRA STAHL/DPA-TMN An vielen Ecken in Galway stehen Musiker. Selbst Ed Sheeran soll hier mal gespielt haben.

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