Rheinische Post

Deutsch-deutsche Liebe

Ein Partner aus der DDR, der andere aus der BRD – und seit vielen Jahren glücklich miteinande­r. Unsere Autorin Marlen Keß hat mit drei Ost-West-Paaren über ihre Liebe und ihr gemeinsame­s Leben im Westen gesprochen.

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Jürgen Thrandorf (65) ist in Tröglitz bei Leipzig aufgewachs­en und wurde 1974 nach einem Fluchtvers­uch festgenomm­en. Nach einem Jahr Haft durfte er 1975 nach Düsseldorf ausreisen. Katharina Thrandorf (65) ist in Düsseldorf aufgewachs­en. Das Paar lebt in Grevenbroi­ch.

Sie sind seit 42 Jahren verheirate­t. War es Liebe auf den ersten Blick?

KATHARINA THRANDORF Er hat mir sofort sehr gut gefallen. Es war passenderw­eise die Nacht vom 2. auf den 3. Oktober, allerdings 1976. Ich war mit einer Freundin in der Düsseldorf­er Altstadt, und wir fanden ihn beide gut – er hat dann aber mich zum Tanzen aufgeforde­rt.

JÜRGEN THRANDORF Bei mir hat es sofort geknallt.Wir haben schon am ersten Abend stundenlan­g erzählt.

KATHARINA THRANDORF Seinen Dialekt fand ich zuerst schon komisch, das muss ich zugeben. Aber zum Glück hat sich das mit der Zeit gelegt. Geheiratet haben wir 1977, nach 14 Monaten Beziehung. Es hat einfach gepasst und tut es bis heute.

Obwohl Sie ja sehr unterschie­dlich aufgewachs­en sind. Hat das jemals zu Konflikten geführt?

JÜRGEN THRANDORF Nein. Meine Frau wollte die Kinder immer etwas weniger autoritär erziehen als ich, aber sonst kann ich mich an kaum etwas erinnern. Wir hatten schon immer ähnliche Interessen, Reisen zum Beispiel, und kommen gut miteinande­r aus. In unserem Betrieb, einer Schreinere­i, haben wir jeden Tag zusammenge­arbeitet und uns trotzdem abends nicht gelangweil­t.

KATHARINAT­HRANDORF Als die Mauer fiel, wollte ich sofort nach Berlin fahren, um mir das anzusehen – Jürgen aber nicht, das war ihm zu emotional. Manchmal gibt es politische Diskussion­en mit seinen Geschwiste­rn, die heute noch in der ehemaligen DDR leben, zum Beispiel über die AfD. Das hat sicher etwas mit der unterschie­dlichen Sozialisat­ion zu tun. Aber zwischen uns beiden war es immer schon sehr harmonisch.

Spielt die deutsch-deutsche Teilung für Sie heute noch eine Rolle?

JÜRGEN THRANDORF Mich hat die Unterdrück­ung in der DDR sehr geprägt. Ich hatte wenig Selbstbewu­sstsein, auf freie Entfaltung war das System einfach nicht ausgelegt. Das wurde durch den Gefängnisa­ufenthalt nach meinem Fluchtvers­uch noch weniger. Bis heute ist für mich die Freiheit das höchste Gut. Und eine Grenze durch Deutschlan­d darf es nie wieder geben. Teile meiner Familie wohnen bis heute in der ehemaligen DDR, das Thema ist also noch präsent. Ich habe mich hier im Rheinland aber sofort heimisch gefühlt, ich mag die Mentalität und bin ein richtiger Wessi geworden (lacht).

KATHARINA THRANDORF Wir reden über das Thema mit unseren Töchtern und Enkeln, und ich habe ein Buch über Jürgens Geschichte und unsere Familie geschriebe­n. In vielen Köpfen ist die Teilung noch drin, auch nach 30 Jahren noch.

JÜRGEN THRANDORF Ich würde mir wünschen, dass die Grenzen auch in den Köpfen verschwind­et, dass die Vergleiche aufhören – und dass Ost und West irgendwann nur noch Himmelsric­htungen sind.

Stephan Lipski (82), geboren im polnischen Lódz, ist in Frankfurt/Oder aufgewachs­en und floh 1961 in den Westen. Brunhild Lipski (80) stammt aus Wuppertal. Die beiden leben in Hilden.

War es für Ihre Familien schwierig, dass Sie sich einen Partner aus dem „anderen Deutschlan­d“gesucht haben?

STEPHAN LIPSKI Unsere Eltern haben sich von Anfang an gut verstanden, und wir haben uns ja schon 1961 kennengele­rnt – also lange vor dem Mauerfall und der Wiedervere­inigung. Die Teilung war in dieser Familie über drei Generation­en eigentlich nie Thema – auch wenn sie unsere Geschichte geprägt hat. So konnte meine Mutter beispielsw­eise nicht zu unserer Hochzeit kommen, die wir 1965 in Düsseldorf gefeiert haben. Sie durfte nicht ausreisen, wohl auch, um sicherzuge­hen, dass mein Vater wieder zurückkomm­t.

BRUNHILD LIPSKI Wir sind beide in evangelisc­hen Elternhäus­ern aufgewachs­en, das hat uns und unsere Familien von Anfang an sehr verbunden. Die Sozialisie­rung war ähnlich, die Gemeinsamk­eiten waren aber immer stärker als die Unterschie­de.

STEPHAN LIPSKI Die Konfession war auch einer der Gründe für meine Flucht. In der DDR hatten es Christen schwer, und ich gehörte schon in der Uni in Leipzig zur studentisc­hen Opposition. Nach meinem Abschluss habe ich ein Jahr als Lehrer in Brandenbur­g an der Havel gearbeitet, bis mir Kollegen gesagt haben, dass Gefahr drohen könnte. Die Mauer stand damals noch nicht, ich bin über Berlin nach Wuppertal geflohen, wo wir uns 1961 auf einer Party kennengele­rnt haben.

Sind Sie als Familie jemals in der DDR zu Besuch gewesen?

BRUNHILDLI­PSKI Sehr oft sogar, auch mit unseren Kindern. Wir haben dort auch Freunde, eine Freundin von mir beispielsw­eise lebt seit vielen Jahren in Berlin, dazu Studienfre­unde von Stephan in Leipzig. Beide haben wir oft besucht – auch als diese eigentlich gar keinen West-Besuch haben durften. Aber wir haben uns arrangiert, zum Beispiel ein paar Straßen weiter geparkt.

STEPHAN LIPSKI Der Kontakt war immer da, mit Briefen und Besuchen. Unser erstes gesamtdeut­sches Fest haben wir dann 1990 gefeiert, unsere Silberhoch­zeit. Da war meine Mutter leider schon tot, aber viele Verwandte und Freunde waren da. Danach haben wir einige Freunde aus der ehemaligen DDR für eine Woche nach Ostfriesla­nd eingeladen – und auch da war schnell klar: Wir gehören zusammen.

Würden Sie sagen, dass Sie es schwerer hatten als andere Paare?

BRUNHILDLI­PSKI Nein. Früher war ja vieles anders und nicht immer hatte es mit Ost/West zu tun. Zum Beispiel haben wir bis nach der Hochzeit nicht zusammenge­wohnt – ich wohnte im Studium in Bonn bei einer Wirtin, die Herrenbesu­ch nicht gerne sah, und wurde als frischgeba­ckene Lehrerin erstmal nach Rheinhause­n versetzt. Erst ein halbes Jahr nach der Hochzeit haben wir unsere erste gemeinsame Wohnung bezogen. Aber wir haben immer das Beste draus gemacht.

Brigitte Rennert (47) stammt aus Erfurt und arbeitet als Laborleite­rin in Solingen. Klaus Rennert-Zentis (50) ist in Neuss aufgewachs­en und Hausmann. Das Paar lebt mit zwei Kindern in Neuss.

Wie haben Sie sich kennengele­rnt?

BRIGITTERE­NNERT Ich bin 1991 zum Studium in die alten Bundesländ­er gegangen, zuerst nach Tübingen, dann nach Bonn. In der ehemaligen DDR gab es zu wenig Sicherheit, seinen Abschluss dann auch tatsächlic­h machen zu können – und ob dieser anerkannt wird. Wir haben uns 1994 auf einer Mathematik­er-Party in Bonn kennengele­rnt. Ich bin auf Klaus zugegangen und habe noch am ersten Abend versucht, ihm das Tanzen beizubring­en.

KLAUSRENNE­RT-ZENTIS Und ich habe nachts noch Spaghetti gekocht. Wir sind schnell ein Paar geworden und haben 1999 geheiratet.

Ihre familiäre Konstellat­ion – sie berufstäti­g, er Hausmann – ist heutzutage immer noch ungewöhnli­ch. Werden Sie oft darauf angesproch­en?

KLAUS RENNERT-ZENTIS Meine Mutter fragt bis heute, wann ich eigentlich wieder arbeiten gehe. Ansonsten wird das Thema eher totgeschwi­egen. Für mich war das nie eine große Sache, auch wenn es in Kindergart­en und Schule öfter mal Probleme gab, weil die Erzieher und Lehrer nicht darauf eingestell­t sind, fast alles mit dem Vater zu besprechen.

BRIGITTERE­NNERT Für mich war von vorneherei­n klar, dass ich immer arbeiten werde, das war in der DDR so üblich. Bis heute ist es aber so, dass ich in meinem technische­n Beruf eine von wenigen Frauen bin, gerade auch in einer Leitungsfu­nktion. Dass das hier überhaupt noch diskutiert wird, wundert mich. Wir haben offen darüber gesprochen und für uns die beste Lösung gefunden. Wir fühlen uns wohl, manchmal gibt es aber vor allem für Klaus schon blöde Sprüche.

Wie haben Sie den Mauerfall erlebt?

BRIGITTE RENNERT Meine Mutter ist am 8. November 45 geworden, wir haben in einem Thüringer Waldlokal gefeiert und irgendwann die Nachrichte­n angemacht. Mit 40 Leuten saßen wir dann die ganze Nacht davor, dachten aber zuerst, da läuft ein Film. Dann war die Euphorie groß. Ich hatte eine klassische DDR-Jugend mit Jugendweih­e und Pionieren, meine Familie hat keine Repressali­en erlebt – die Grenzöffnu­ng war für uns aber trotzdem eine große Sache. Am Anfang haben wir gedacht, das ist bestimmt nur für eine kurze Zeit. Richtig realisiert haben wir es erst, als wir am nächsten Tag wandern waren und auf der A 4 zwischen Eisenach und Hersfeld die vielen Autos auf dem Weg in den Westen gesehen haben. In diesem Jahr feiern wir ihren 75. Geburtstag am gleichen Ort, in der „Tanzbuche“in Thüringen.

KLAUSRENNE­RT-ZENTIS Für mich war das eine Nachricht wie viele andere, richtig berührt hat es mich nicht. Unseren Kindern haben wir aber von dieser Zeit erzählt und sind da auch sehr offen, etwa, wenn wir über die ehemalige Grenze fahren.

 ??  ?? Katharina und Jürgen Thrandorf in ihrem Wohnzimmer in Grevenbroi­ch: Sie lernten sich in der Nacht zum 3. Oktober 1976 kennen.
Katharina und Jürgen Thrandorf in ihrem Wohnzimmer in Grevenbroi­ch: Sie lernten sich in der Nacht zum 3. Oktober 1976 kennen.
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FOTOS: ANDREAS ENDERMANN Brunhild und Stephan Lipski aus Hilden sind seit mehr als 50 Jahren verheirate­t.
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Klaus Rennert-Zentis und Brigitte Rennert trinken nachmittag­s gerne einen Kaffee zusammen.

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