„Mit dem Soli-Abbau ein Jahr früher beginnen“
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (61) spricht im Samstagsinterview über Steuererleichterungen und das Klimapaket.
BERLIN Nach seinem Sturz von der Bühne beim Digitalgipfel der Bundesregierung mit Vertretern der IT-Branche Ende Oktober hat sich Peter Altmaier erstaunlich schnell wieder erholt. Der 61-Jährige hatte in Dortmund eine Stufe übersehen, fiel auf sein Gesicht und erlitt einen Nasenbeinbruch. Doch schon in dieser Woche meldete er sich zurück: zunächst mit Vorschlägen für eine grundlegende Politikreform, nun mit Plänen zur Stabilisierung des Wirtschaftswachstums.
Herr Altmaier, wie geht es Ihnen nach Ihrem Sturz auf dem Digitalgipfel vor zehn Tagen in Dortmund?
ALTMAIER Es geht mir schon wieder deutlich besser. Ich hatte großes Glück im Unglück, dass alles so glimpflich abgelaufen ist. Die Ärzte und Pfleger waren großartig.
Die Koalitionsverhandlungen zur Grundrente laufen an diesem Wochenende auf Hochtouren. Wie muss sie ausgestaltet sein, um Steuerzahler und Wirtschaft nicht zu überlasten?
ALTMAIER Die Union ist nur dann bereit, die Grundrente einzuführen, wenn diese mit einer Bedürftigkeitsprüfung einhergeht. Menschen mit hohen sonstigen Einkommen sollen von der Grundrente nicht profitieren, weil das zu Lasten aller anderen Bürger ginge. Es muss außerdem unmissverständlich sichergestellt sein, dass die Grundrente allein aus Haushaltsmitteln finanziert wird und nicht durch einen Griff in die Rentenkasse.
Eine umfassende Bedürftigkeitsprüfung lehnt die SPD aber strikt
ab. Sie ist nur bereit, eine Bedarfsprüfung zu akzeptieren. Dabei wird nur geprüft, ob jemand eine festgelegte Grenze beim zu versteuernden Einkommen nicht überschreitet. Sind Sie bereit, dem zuzustimmen?
ALTMAIER Wir suchen in der Koalition eine Lösung. Eine Bedürftigkeitsprüfung muss es geben. Wie diese genau ausgestaltet wird, darüber können wir reden, und das tun wir auch.
Sollte die große Koalition an der Frage der Grundrente scheitern?
ALTMAIER Nein, aber dazu ist notwendig, dass die SPD nicht ständig auf dem Koalitionsvertrag draufsattelt.
Die Konjunktur schwächelt. Wie sollte die Regierung das Wachstum ankurbeln?
ALTMAIER Wir müssen den Soli für alle abschaffen, nicht nur für 90 Prozent der Steuerzahler. Dafür müssen wir in dieser Legislaturperiode bereits jetzt die Schritte festlegen. Ich schlage einen Freibetrag vor, damit alle Steuerzahler von der Soli-Abschaffung profitieren, und zwar mit Wirkung schon ab 2020, nicht erst ab 2021. Das würde Investitionen und Wachstum ankurbeln.Wir brauchen auch eine Unternehmenssteuerreform für alle Unternehmen, nicht nur für die Personengesellschaften. Das ist mein Vorschlag an Olaf Scholz. Ich bin bereit, zu jedem Zeitpunkt einen entsprechenden Gesetzentwurf auszuarbeiten und dem Finanzminister vorzuschlagen.
Soll es bei einer Firmensteuerreform auch zu einer Netto-Entlastung der Wirtschaft kommen?
ALTMAIER Im Vergleich zu anderen
Ländern ist die Unternehmenssteuerbelastung in Deutschland hoch: Die Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften liegt bei 30 bis 35 Prozent, die Spitzensteuerbelastung von Personengesellschaften bei 45 Prozent. Sie kann sogar bis auf 50 Prozent ansteigen. Kernpunkt einer umfassenden Unternehmenssteuerreform muss sein, die Steuerbelastung auf einbehaltene Unternehmensgewinne auf 25 Prozent zu senken. Damit muss auch eine Netto-Entlastung der Wirtschaft einhergehen.
Wie wollen Sie das finanzieren?
ALTMAIER Eine umfassende Unternehmenssteuerreform wird sich mittel- und langfristig selbst finanzieren durch Wachstumseffekte – davon bin ich überzeugt. Kurzfristig müssen wir sicherlich gegenfinanzieren, indem wir Spielräume für den Abbau von Ausgaben und Subventionen prüfen.
Es gibt viel Kritik am Klimapaket. Vor allem heißt es, der CO2-Einstiegspreis sei mit zehn Euro pro Tonne viel zu niedrig, um Wirkungen zu erzeugen. Wären Sie bereit,
mit den Grünen über einen höheren Einstiegspreis zu verhandeln?
ALTMAIER Ich bin weiterhin der Auffassung, dass ein nationaler Klimakonsens notwendig ist, weil es sich um eine Aufgabe handelt, die in ihrer Dimension ähnlich groß ist wie die Wiedervereinigung. Aber die Grünen dürfen den Bogen auch nicht überspannen. Klimaschutz in Deutschland gelingt nur, wenn wir insbesondere einkommensschwachen Bürgern, mittelständischen Unternehmen, jungen Familien und Rentnern keine unzumutbaren Belastungen auferlegen. Deshalb haben wir uns dafür entschieden, dass die Belastungen langsam, aber verlässlich ansteigen.
Die Industrie klagt seit Langem über die höchsten Strompreise in Europa. Im kommenden Jahr wird nun die Umlage zur Förderung der Erneuerbaren Energien für Stromkunden noch teurer. Wie wollen Sie den Preisanstieg stoppen?
ALTMAIER Ja, die Umlage zur Förderung der erneuerbaren Energien, die EEG-Umlage, steigt im kommenden Jahr leicht an, nachdem sie in den zwei Jahren davor leicht gesunken war. Insgesamt sehen wir aber eine Stabilisierung der EEG-Umlage. Ziel muss aber weiter sein, dass die Strompreise sich wieder im Mittelfeld in Europa bewegen. Dazu brauchen wir bei der EEG-Umlage und bei den Netzentgelten eine spürbare Entlastung aus den Einnahmen der CO2-Bepreisung.
Vorgesehen ist, die Umlage zur Förderung der Erneuerbaren Energien ab 2020 aus Steuermitteln um 0,25 Cent pro Kilowattstunde zu senken. Das ist dann nur ein Einstieg?
ALTMAIER Ja. Die Bundesregierung muss und wird dafür sorgen, dass die steigenden Einnahmen aus der CO2-Bepreisung in Zukunft vorrangig für die Reduzierung der Strompreise eingesetzt werden.
CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer hat viel Kritik in den letzten Wochen einstecken müssen. Warum hat sie eine zweite Chance verdient?
ALTMAIER Die Frage ist falsch gestellt. Ich kenne kaum einen führenden Politiker, der in den vergangenen Monaten nicht kritisiert worden wäre. Die Situation ist deshalb schwer, weil sich in den vergangenen Jahren viele Bürger von den staatstragenden Parteien der Mitte abgewendet haben und Zuflucht bei Parteien am rechten oder linken Rand gesucht haben. Das hat dazu geführt, dass CDU/CSU und SPD unter Druck geraten sind. Davon haben die Grünen erheblich profitiert. Das an einzelnen Personen festzumachen, hat noch nie funktioniert. Die SPD hat viele Parteichefs verschlissen. Wir haben Annegret Kramp-Karrenbauer mehrheitlich zur Parteivorsitzenden gewählt, und sie hat unser Vertrauen für die gesamte Dauer ihrer Amtszeit.
Kann Kramp-Karrenbauer auch Kanzlerin?
ALTMAIER Die CDU/CSU ist Gott sei Dank so gut aufgestellt, dass sie nicht nur eine Persönlichkeit, sondern mehrere hat, denen das Kanzleramt zuzutrauen ist. Und die Parteivorsitzende gehört selbstverständlich dazu.