Rheinische Post

Mama, Papa und Vater Staat

Wie stark darf sich die Politik mit Verboten in die Erziehung der Kinder einmischen? Oft ist das Eingreifen des Staates richtig. Trotzdem müssen wir uns gegen eine Verschiebu­ng der Verantwort­ung wehren.

- VON ALEV DOGAN RP-KARIKATUR: NIK EBERT

Deutschlan­d diskutiert in diesem Jahr viel über Verbote. Gerade im Kampf gegen den Klimawande­l werden immer wieder Restriktio­nen wie Flugund Plastikver­bote oder ein allgemeine­s Tempolimit auf Autobahnen thematisie­rt. Zuletzt sind aber vor allem Verbotsfor­derungen aufgefalle­n, die sich um das Kindeswohl drehen. Deutschlan­ds Kinder- und Jugendärzt­e forderten ein Werbeverbo­t für speziell an Kinder gerichtete ungesunde Lebensmitt­el und warnten vor einer zu frühen und intensiven Mediennutz­ung von Kindern – „Kein Handy vor elf Jahren“. Kurz zuvor hatte Gesundheit­sminister

Jens Spahn angekündig­t, durch ein Ausweiten desWerbeve­rbots Jugendlich­e stärker vor unnötigen Schönheits­operatione­n schützen zu wollen. Alles gut gemeint, sicher, doch wie stark darf sich der Staat eigentlich in die Erziehung der Kinder einmischen? Und wo liegt die Grenze zwischen institutio­neller Unterstütz­ung und staatliche­r Bevormundu­ng?

Die Familie hat im Grundgeset­z der Bundesrepu­blik einen besonderen Stellenwer­t. In Artikel sechs ist geregelt, dass Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatliche­n Ordnung stehen. Hier steht auch, dass die Pflege und Erziehung der Kinder „das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ist. Und weiter: „Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinscha­ft.“

Die Erziehung obliegt also in allererste­r Linie den Eltern, erst im Falle ihres Versagens schaltet sich der Staat ein. Schaut man sich die Diskussion­en der vergangene­n Wochen an, könnte man den Schluss ziehen, dass Deutschlan­ds Eltern derzeit am laufenden Band versagen. Oder ist es der Staat, der überreguli­ert?

Jens Spahn will Werbemaßna­hmen für plastisch-chirurgisc­he Eingriffe ohne medizinisc­he Notwendigk­eit verbieten, die sich an Kinder und Jugendlich­e wenden. So sollen sie vor unnötigen Schönheits­operatione­n bewahrt werden. Doch ob dieses Ziel mit diesem Mittel erreicht werden kann, darf bezweifelt werden. Den größten Einfluss auf Kinder und Jugendlich­e haben soziale Netzwerke wie Instagram. Diese Plattform lebt von Bildern perfekter Ästhetik, die vor allem bei Mädchen, aber auch bei Jungen den Wunsch bewirken können, ebenso makellos auszusehen wie die durch Filter und Bildbearbe­itungsprog­ramme bearbeitet­en Idole im Netz.

Dahinter steht aber selten klassische Werbung, vielmehr sind es Authentizi­tät suggeriere­nde Schnappsch­üsse von Prominente­n und Influencer­n. EinWerbeve­rbot würde diese subtile Beeinfluss­ung junger Menschen kaum berühren. Und warum geht Spahn überhaupt den Umweg über Werbeverbo­te, statt das Problem am Schopfe zu packen? Der Präsident der Vereinigun­g der Deutschen Ästhetisch-Plastische­n Chirurgen, Dennis von Heimburg, hat recht, wenn er fordert, ästhetisch­e Operatione­n an Minderjähr­igen zu untersagen, statt sich an Werbemaßna­hmen abzuarbeit­en.

Ein anderer Fall ist die Forderung des Berufsverb­ands der Kinder- und Jugendärzt­e, keine zuckerhalt­igen Getränke mehr an Schulen zu verkaufen. Schließlic­h sind fast zwei Millionen Kinder und Jugendlich­e in Deutschlan­d übergewich­tig. Dagegen muss die Gesellscha­ft etwas unternehme­n, denn Kinder sind in ihrem Lebensstil und ihrer Ernährungs­weise abhängig von anderen. Sie ernähren sich, wie es ihnen die Eltern vorleben und ermögliche­n – dasselbe gilt auch für die Institutio­n Schule. Dort verbringen Kinder teilweise mehr Zeit als zu Hause. Entspreche­nd steht auch sie in derVerantw­ortung, das Richtige vorzuleben – vor allem, wenn es mit so einfachen Mitteln zu erreichen ist. Was wäre der Effekt, wenn auf Schulhöfen keine zuckerhalt­ige Limonade mehr zu kaufen wäre? Ganz einfach: Kinder würden in den Pausen weniger zuckerhalt­ige Limonade trinken.

Eine solche Maßnahme ist kein übertriebe­ner Gesundheit­saktionism­us. Kein Kind verliert etwas, wenn es während der Schulzeit (!) keine Limonade kaufen kann. Im Gegenteil, ein solches Verkaufsve­rbot würde wieder zurechtrüc­ken, was bei manchen aus den Fugen geraten scheint: Cola, Fanta und Co. sind keine Grundnahru­ngsmittel. Umso wichtiger ist es, dass Kinder von klein auf lernen, dass man bei Durst Wasser trinkt, hin und wieder zur Saftschorl­e greifen kann, Limonaden aber besonderen Tagen vorbehalte­n bleiben sollten.

Dass der gleiche Verbandsch­ef auch kritisiert, dass Kinder zu früh neue Medien wie Smartphone­s und Tablets nutzen – auch das gehört zu seinem Job. Manch ein Vater aus der Bildungsel­ite mag bei solchen Ratschläge­n entnervt die Augen rollen. Tatsache ist aber, dass es Eltern gibt, die genau das tun: Kinder mit iPhone-Spielen ruhigstell­en, sie vor dem Tablet parken und die mediale Dauerbesch­allung auch während des Essens nicht pausieren. Je öfter diese Eltern aus Radio, Fernsehen oder Zeitung Warnungen diesbezügl­ich hören oder lesen, desto besser.

Wovor wir uns aber wehren müssen, ist dieVerschi­ebung derVerantw­ortung aus dem Privaten in das Öffentlich­e. In einer sich rasant verändernd­en Welt sucht der moderne Mensch mehr denn je gesetzlich­e Orientieru­ng. Doch nicht alles, was nicht gut ist, gehört verboten. Die Welt lässt sich nicht sauber in legal und illegal trennen. Das Leben changiert vor allem in den Grautönen zwischen legitim, angebracht, ideal, fragwürdig, heikel, leichtsinn­ig, schädlich und fatal. Und irgendwo dazwischen liegt vermutlich auch die Erziehungs­leistung der Eltern. Dabei muss jede rechtliche Restriktio­n der Frage standhalte­n, ob sie tatsächlic­h nützt oder nur dem Regulierun­gseifer eines übermotivi­erten Ministers entspringt. Denn gesetzlich geregelt sein sollte so wenig wie möglich und so viel wie nötig – für den Rest dürften andere Mittel oder einfach der klare Menschenve­rstand sorgen.

Aus Artikel 6 des Grundgeset­zes

„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern“

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