Mama, Papa und Vater Staat
Wie stark darf sich die Politik mit Verboten in die Erziehung der Kinder einmischen? Oft ist das Eingreifen des Staates richtig. Trotzdem müssen wir uns gegen eine Verschiebung der Verantwortung wehren.
Deutschland diskutiert in diesem Jahr viel über Verbote. Gerade im Kampf gegen den Klimawandel werden immer wieder Restriktionen wie Flugund Plastikverbote oder ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen thematisiert. Zuletzt sind aber vor allem Verbotsforderungen aufgefallen, die sich um das Kindeswohl drehen. Deutschlands Kinder- und Jugendärzte forderten ein Werbeverbot für speziell an Kinder gerichtete ungesunde Lebensmittel und warnten vor einer zu frühen und intensiven Mediennutzung von Kindern – „Kein Handy vor elf Jahren“. Kurz zuvor hatte Gesundheitsminister
Jens Spahn angekündigt, durch ein Ausweiten desWerbeverbots Jugendliche stärker vor unnötigen Schönheitsoperationen schützen zu wollen. Alles gut gemeint, sicher, doch wie stark darf sich der Staat eigentlich in die Erziehung der Kinder einmischen? Und wo liegt die Grenze zwischen institutioneller Unterstützung und staatlicher Bevormundung?
Die Familie hat im Grundgesetz der Bundesrepublik einen besonderen Stellenwert. In Artikel sechs ist geregelt, dass Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen. Hier steht auch, dass die Pflege und Erziehung der Kinder „das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ist. Und weiter: „Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“
Die Erziehung obliegt also in allererster Linie den Eltern, erst im Falle ihres Versagens schaltet sich der Staat ein. Schaut man sich die Diskussionen der vergangenen Wochen an, könnte man den Schluss ziehen, dass Deutschlands Eltern derzeit am laufenden Band versagen. Oder ist es der Staat, der überreguliert?
Jens Spahn will Werbemaßnahmen für plastisch-chirurgische Eingriffe ohne medizinische Notwendigkeit verbieten, die sich an Kinder und Jugendliche wenden. So sollen sie vor unnötigen Schönheitsoperationen bewahrt werden. Doch ob dieses Ziel mit diesem Mittel erreicht werden kann, darf bezweifelt werden. Den größten Einfluss auf Kinder und Jugendliche haben soziale Netzwerke wie Instagram. Diese Plattform lebt von Bildern perfekter Ästhetik, die vor allem bei Mädchen, aber auch bei Jungen den Wunsch bewirken können, ebenso makellos auszusehen wie die durch Filter und Bildbearbeitungsprogramme bearbeiteten Idole im Netz.
Dahinter steht aber selten klassische Werbung, vielmehr sind es Authentizität suggerierende Schnappschüsse von Prominenten und Influencern. EinWerbeverbot würde diese subtile Beeinflussung junger Menschen kaum berühren. Und warum geht Spahn überhaupt den Umweg über Werbeverbote, statt das Problem am Schopfe zu packen? Der Präsident der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen, Dennis von Heimburg, hat recht, wenn er fordert, ästhetische Operationen an Minderjährigen zu untersagen, statt sich an Werbemaßnahmen abzuarbeiten.
Ein anderer Fall ist die Forderung des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, keine zuckerhaltigen Getränke mehr an Schulen zu verkaufen. Schließlich sind fast zwei Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland übergewichtig. Dagegen muss die Gesellschaft etwas unternehmen, denn Kinder sind in ihrem Lebensstil und ihrer Ernährungsweise abhängig von anderen. Sie ernähren sich, wie es ihnen die Eltern vorleben und ermöglichen – dasselbe gilt auch für die Institution Schule. Dort verbringen Kinder teilweise mehr Zeit als zu Hause. Entsprechend steht auch sie in derVerantwortung, das Richtige vorzuleben – vor allem, wenn es mit so einfachen Mitteln zu erreichen ist. Was wäre der Effekt, wenn auf Schulhöfen keine zuckerhaltige Limonade mehr zu kaufen wäre? Ganz einfach: Kinder würden in den Pausen weniger zuckerhaltige Limonade trinken.
Eine solche Maßnahme ist kein übertriebener Gesundheitsaktionismus. Kein Kind verliert etwas, wenn es während der Schulzeit (!) keine Limonade kaufen kann. Im Gegenteil, ein solches Verkaufsverbot würde wieder zurechtrücken, was bei manchen aus den Fugen geraten scheint: Cola, Fanta und Co. sind keine Grundnahrungsmittel. Umso wichtiger ist es, dass Kinder von klein auf lernen, dass man bei Durst Wasser trinkt, hin und wieder zur Saftschorle greifen kann, Limonaden aber besonderen Tagen vorbehalten bleiben sollten.
Dass der gleiche Verbandschef auch kritisiert, dass Kinder zu früh neue Medien wie Smartphones und Tablets nutzen – auch das gehört zu seinem Job. Manch ein Vater aus der Bildungselite mag bei solchen Ratschlägen entnervt die Augen rollen. Tatsache ist aber, dass es Eltern gibt, die genau das tun: Kinder mit iPhone-Spielen ruhigstellen, sie vor dem Tablet parken und die mediale Dauerbeschallung auch während des Essens nicht pausieren. Je öfter diese Eltern aus Radio, Fernsehen oder Zeitung Warnungen diesbezüglich hören oder lesen, desto besser.
Wovor wir uns aber wehren müssen, ist dieVerschiebung derVerantwortung aus dem Privaten in das Öffentliche. In einer sich rasant verändernden Welt sucht der moderne Mensch mehr denn je gesetzliche Orientierung. Doch nicht alles, was nicht gut ist, gehört verboten. Die Welt lässt sich nicht sauber in legal und illegal trennen. Das Leben changiert vor allem in den Grautönen zwischen legitim, angebracht, ideal, fragwürdig, heikel, leichtsinnig, schädlich und fatal. Und irgendwo dazwischen liegt vermutlich auch die Erziehungsleistung der Eltern. Dabei muss jede rechtliche Restriktion der Frage standhalten, ob sie tatsächlich nützt oder nur dem Regulierungseifer eines übermotivierten Ministers entspringt. Denn gesetzlich geregelt sein sollte so wenig wie möglich und so viel wie nötig – für den Rest dürften andere Mittel oder einfach der klare Menschenverstand sorgen.
Aus Artikel 6 des Grundgesetzes
„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern“