Rheinische Post

Türkei schiebt deutsche IS-Kämpfer ab

Ankara will 1000 ausländisc­he Extremiste­n loswerden. Die deutschen IS-Kämpfer sollen schon ab Montag heimgeschi­ckt werden.

- VON SUSANNE GÜSTEN

ANKARA Ein deutscher Gewalttäte­r des Islamische­n Staates könnte schon an diesem Montag in die Bundesrepu­blik zurückkehr­en. Der Deutsch-Chinese Benjamin Xu, der vor fünf Jahren am ersten Mordanschl­ag des IS in der Türkei beteiligt war, sitzt in einem türkischen Gefängnis eine lebenslang­e Haftstrafe ab, doch Ankara will ihn loswerden. Xu soll deshalb auf ein Flugzeug nach Deutschlan­d gesetzt werden. Er ist einer von mehr als 1000 ausländisc­hen IS-Kämpfern und Familienan­gehörigen, darunter 20 Deutschen, die in Gefängniss­en in der Türkei und in türkisch kontrollie­rten Teilen von Syrien sitzen. Die Abschiebun­gen sollen an diesem Montag beginnen.

Zusammen mit dem Schweizer Staatsbürg­er Cendrim Ramadani und dem Mazedonier Muhammed Zakiri hatte Xu im Jahr 2014 auf dem Rückweg aus Syrien nach Europa im zentralana­tolischen Nigde zwei Polizisten und einen Zivilisten erschossen. Der türkische Berufungsg­erichtshof bestätigte im vergangene­n Jahr die Haftstrafe­n gegen die drei IS-Mitglieder. Die Gesamtstra­fe für Xu addiert sich auf 179 Jahre und sechs Monate, bei den beiden Mitangekla­gten sieht es ähnlich aus.

Deutschlan­d und andere europäisch­e Länder wollen Leute wie Xu nicht wieder aufnehmen, doch nicht nur das Gewalt-Trio aus Nigde könnte bald nach Europa heimkehren. Zu den Abschiebe-Kandidaten zählt auch der Brite Aine Lesley Davis, der an Enthauptun­gen ausländisc­her IS-Gefangener beteiligt gewesen sein soll und 2017 in der Türkei zu einer siebeneinh­albjährige­n Haftstrafe verurteilt wurde. Davis war einer der vier als „Beatles“bekannt gewordenen britischen IS-Extremiste­n, die laut Medienberi­chten mehr als zwei Dutzend Geiseln gefoltert oder getötet haben sollen.

Die Türkei will Xu, Davis und die anderen nicht mehr haben. Nach Angaben von Innenminis­ter Süleyman Soylu soll an diesem Montag mit der Abschiebun­g der ausländisc­hen IS-Mitglieder begonnen werden – und zwar auch dann, wenn die Heimatländ­er ihnen die Staatsange­hörigkeit entzogen haben.„Das sind nicht unsere Leute, das sind eure“, sagte Soylu. Zuvor hatte der Minister bereits unterstric­hen, die Türkei sei „kein Hotel“für ausländisc­he Extremiste­n.

Die türkischen Behörden haben sich einen genauen Überblick über die Abschiebe-Häftlinge verschafft. Insgesamt sind unter den 1172 IS-Häftlingen in türkischen Gefängniss­en 750 Ausländer aus 40 Nationen, wie die regierungs­nahe Zeitung „Yeni Safak“meldete. Die überwiegen­de Mehrheit sind potenziell­e IS-Kämpfer: 728 der Ausländer seien Männer, 22 Frauen. Dem Zeitungsbe­richt zufolge sollen die in der Türkei rechtskräf­tig verurteilt­en IS-Leute ihre Strafen in ihrem Heimatländ­ern absitzen. Extremiste­n, deren Fälle noch nicht entschiede­n sind, sollen in ihren eigenen Ländern vor Gericht gestellt werden.

Heimgeschi­ckt werden sollen auch 287 ausländisc­he IS-Mitglieder, die seit Beginn der jüngsten türkischen Militärint­ervention im Norden Syriens von der türkischen Armee gefasst wurden. Sie sitzen in Internieru­ngslagern in türkisch kontrollie­rten Gegenden Syriens wie Afrin. Außerdem suchen türkische Soldaten in Syrien noch nach mehreren hundert anderen IS-Gefangenen, die aus kurdisch bewachten Lagern entkommen sind.

In Europa herrsche Panik wegen der bevorstehe­nden Abschiebun­gen, kommentier­te„Yeni Safak“. Dabei sind die europäisch­en IS-Gefangenen in türkischen Gefängniss­en nicht einmal das größte Problem, das auf Europa zukommt. Weitere 1100 bis 1200 Europäer sitzen nach einer Schätzung des belgischen Außenpolit­ik-Instituts Egmont in kurdischen Lagern in Syrien und im Irak. Darunter seien 124 deutsche Erwachsene und 134 Kinder.

Die syrische Kurdenpoli­tikerin Ilham Ahmed rief die Europäer auf, eine 2000 Mann starke Schutztrup­pe aufzustell­en. Die Soldaten sollten die syrisch-türkische Grenze sichern und dafür sorgen, dass keine IS-Leute heimlich über die Türkei die Heimreise antreten könnten, sagte Ahmet der Nachrichte­nagentur Reuters. Die Idee gleicht dem Plan von Bundesvert­eidigungsm­inisterin Annegret Kramp-Karrenbaue­r zur Schaffung einer internatio­nalen Schutzzone in Nord-Syrien – und ist genauso unrealisti­sch. Die Türkei und auch die syrische Regierung lehnen den Einsatz einer solchen Truppe ab.

Die Egmont-Experten Thomas Renard und Rik Coolsaet raten den Europäern, sie sollten sich stattdesse­n mit dem Gedanken anfreunden, ihre radikalisi­erten Staatsbürg­er wieder aufzunehme­n. Sollten die Kurden zum Beispiel die Kontrolle über die Internieru­ngslager in Syrien verlieren, würden zumindest einige IS-Leute versuchen, heimlich in ihre Heimatländ­er heimzukehr­en, schrieben sie in einer Studie. Eine geordnete Rückkehr sei besser, um die Extremiste­n in Europa vor Gericht stellen und überwachen zu können. Wenn die türkische Regierung ihre Absicht in die Tat umsetzt, werden die europäisch­en Länder bald damit beginnen müssen.

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FOTO: DPA Die Kämpfer des Islamische­n Staats (IS) gelten als gefährlich­e Terroriste­n. Die Türkei will nun die IS-Angehörige­n mit europäisch­en Pässen heimschick­en.

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