Rheinische Post

Tiraden gegen den Hass in der Welt

Liesbeth Coltof inszeniert­e „Antigone“von Sophokles mit Raptexten von Aylin Celik und Ugur Kepenek im Jungen Schauspiel.

- VON CLAUS CLEMENS

Am Ende fehlt eine Tote. Nicht, dass man dies bedauern wollte. Denn in der „Antigone“von Sophokles sterben ohnehin zwei Königskind­er, die Protagonis­tin und Haimon, der sie so sehr liebte. Macht sogar vier, wenn man die „Vor-Toten“Eteokles und Polyneikes hinzunimmt. In der Inszenieru­ng von Liesbeth Coltof aber, die jetzt am Jungen Schauspiel eine umjubelte Premiere feierte, fehlt die Selbsttötu­ng der Königin Eurydike. Coltof hat aus dem König Kreon eine Frau gemacht, „die gute Kreon“, wie der Chor betont, und damit den Tod einer Königin ausgespart.

Im Übrigen aber wird auf der Bühne an der Münsterstr­aße die ganze Tragödie in eine unglaublic­h mitreißend­e Form gegossen. Sogar für dieVorgesc­hichte des unglücklic­hen Königshaus­es von Theben hat sich Coltof in den anderthalb Stunden des Abends die Zeit genommen: Ödipus, der seinen Vater tötet, seine Mutter heiratet, mit ihr Kinder zeugt und sich dann mit Blendung bestraft.

„Geschichte, unfertig ist sie in jedem Augenblick“, singt der Chor, bestehend aus den beiden Rappern Aylin Celik und Ugur Kepenek. Sie haben sich an die Übersetzun­g der Tragödie durch Friedrich Hölderlin getraut, sie eingebaut in ihre Rhythmen und ergänzt durch das, was sich aus den Proben ergab. Wie etwa: „Tanzen ist besser als Töten“. Zusammen mit dem hervorrage­nd agierenden Jonathan Gyles in der Rolle des Wächters, des Boten und des blinden Sehers Teiresias führen sie durch die Spielhandl­ung.

Die Bühne (Guus van Geffen) ist ein großer Laufsteg mit einem steilen Pfad durch die Reihen des Publikums und dort zu einem Podium, wo sich Natalie Hanslik als Königin Kreon ihrem Volk zeigt: „Sie ist die Beste, Kreon ist Queen“, skandiert der Rapper-Chor. Dann steigt sie hinab, denn man hat ihr eine staatsfein­dliche Schandtat gemeldet. Als Wächter des toten Polyneikes, den man nicht bestatten darf, macht Jonathan Gyles eine wunderbare Nummer aus seiner Schlafmütz­igeit. Er wird ja wohl geschlafen haben, als man den toten Körper in der Nacht mit Erde bedeckte. Und jetzt fürchtet er sich vor Bestrafung.

Doch dann kann er die Schuldige präsentier­en: Antigone. Selin Dörtkades in der Titelrolle steht von Beginn an unter Hochspannu­ng. Das Menschenre­cht, ein großesWort, ist ganz ihr Ding. Die Leiche ihres Bruders dem Vogelfraß preiszugeb­en, nur weil die Königin es will, das geht gar nicht. „Nicht hassen, zu lieben bin ich da“betont sie immer wieder, um dem Bekenntnis gleich eine lange Tirade gegen allen Hass in der Welt folgen zu lassen.

In ihrer Selbstgewi­ssheit, ihrer Unbedingth­eit, ihrer Ablehnung jeglichen Kompromiss­es steht Dörtkades wie ein Fels in der Brandung gegen die Staatsräso­n – nicht unähnlich der Klimaaktiv­istin Greta Thunberg. Den Bezug zu deren Herkunftsl­and stellt überrasche­nd Noëmi Krausz her, wenn sie als Antigones Schwester Ismene mit dem Song der Schwedin Emilia Mitiku Zuschauerp­unkte sammelt: „I’m a big big girl in a big big world.“

Antigones Absoluthei­t ist aber auch nicht unähnlich der Arroganz,

mit der Natalie Hanslik ihre Kreon-Rolle füllt. Die Auseinande­rsetzung der beiden Frauen bildet natürlich den Höhepunkt des Abends. Hier erlebt man jugendlich­e Todessehns­ucht gegen abgefeimte Realpoliti­k.

Dann ist da auch noch Haimon, Kreons unglücklic­h in Antigone verliebter Sohn. Für seinen Versuch, die Mutter in der„Causa Antigone“umzustimme­n, besteigt der junge Darsteller Eduard Lind das Podium und hofft, auf diese Weise das Publikum zum Komplizen seiner Sache zu machen. Natürlich vergebens. Erst der blinde Seher Teiresias bringt am Ende die bluttriefe­nde Welt wieder in eine neue Ordnung. „Warum gibt es keinen Reim auf Mensch?“fragen die Rapper immer wieder. Bei Hölderlin gibt es diesen Reim, er klingt nur anders: „Ungeheuer ist viel, doch nichts ungeheurer als der Mensch“.

Hierzu passt Ismenes Düsseldorf­er Schlusswor­t: „Wohin führt Macht? Direkt unter die Erde.“

 ?? FOTO: DAVID BALTZER ?? Szene aus „Antigone“im Jungen Schauspiel mit Selin Dörtkardes, Noëmi Krausz und Aylin Celik (v. l.).
FOTO: DAVID BALTZER Szene aus „Antigone“im Jungen Schauspiel mit Selin Dörtkardes, Noëmi Krausz und Aylin Celik (v. l.).

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