Der Chef-Zuhörer ist zurück
Zu den ersten Gästen von Jürgen Domians neuer Talkshow gehörte eine ehemalige Zeugin Jehovas. Das neue Konzept nimmt der Sendung Intimität, der Nighttalker war aber in Form.
KÖLN Dass Marikka, 66, ehemalige Straßenbahnfahrerin aus Köln, öffentlich davon erzählt, wie ein zwölf Jahre jüngerer Mann sie regelmäßig so wunderbar sensibel ausgepeitscht hat, macht vollkommen Sinn. Jedenfalls, wenn man sieht, wem sie ihre Geschichte erzählt. Denn ihr gegenüber sitzt Jürgen Domian und hört zu. Marikka ist einer von vier Gästen, die am Freitagabend alles von sich erzählen dürfen. Es ist die erste Sendung des Moderators nach drei Jahren Pause. Von 1995 bis 2016 moderierte er im Radiosender 1Live und im WDR Fernsehen die Telefon-Talksendung „Domian“. Ob tragisch, skurril oder extrem: Es gab kein Thema, über das er nicht mit einem Anrufer sprach. Jetzt ist der 61-Jährige zurück. Weil er es vermisst habe, sich mit den Menschen zu unterhalten, wie er am Anfang von „Domian live“im WDR sagt.
Der Moderator selbst hat sich kaum verändert. Etwas mehr Grau in den Haaren, vielleicht etwas mehr Gewicht auf den Rippen. Domians Arbeitsplatz allerdings ist anders: Statt allein an einem Tisch mit Kopfhörern sitzt er in einem Studio, umgeben von Gästen.
Marikka aus Köln oder auch Francis, 49, aus Oldenburg kommen deshalb ab sofort nicht mehr nur als Stimme aus einem Lautsprecher. Domians Anrufer haben jetzt Gesichter. Jetzt also muss sich weder Domian noch Deutschland vorstellen, wie Francis aussehen könnte, während sie von ihren 19 Jahren bei den Zeugen Jehovas berichtet. Man kann das erlösend finden, sicher befriedigt es so manche voyeuristische Neugier. Es nimmt der Sendung aber auch eines der spannendsten Rätsel überhaupt: Wer steckt hinter dieser Geschichte?
Während der Zuschauer also automatisch beginnt, von Francis’ Aussehen auf ihr Leben zu schließen, erzählt sie davon, wie der Mann, den sie bei den Zeugen kennenlernte und heiratete, anfing sie zu schlagen und zu vergewaltigen. Wie sie versuchte, ihn zu stellen. Wie die Zeugen ihrenVorwurf für unbiblisch erklärten und ihr mit Ausschluss drohten. Wie sie es letztlich schaffte, auszusteigen, aber dann bei jedem Blitz und Donner ins Haus rennen und die Tür verriegeln musste, weil sie dachte, jetzt drohe ihr die Vernichtung durch das Gericht Gottes. 20 Minuten lang erzählt Francis und die ganze Zeit sieht Domian sie dabei an. In die Kamera guckt er nur noch zwischen den Gesprächen.
Das ist der zweite Unterschied zur alten Sendung: Damals galt sein Blick der Kamera vor ihm und somit dem Zuschauer Zuhause. Diese Intimität muss Domian nun durch Gesprächskunst ausgleichen. Der macht allerdings nichts anders als vorher. In sanfter Stimme und unschockierbar hört er sich alles an. Bleibt dran am Gast und am Abgrund. Fragt, wie oft Francis von ihrem Mann vergewaltigt wurde. Und ob sich der krebskranke Christian, 36, aus Heinsberg Sterbehilfe wünscht, wenn die Lage zu schlimm wird. Domian packt noch immer in zehn Minuten so viel Inhalt wie andere in drei Stunden. Gleichzeitig vergeht die einstündige Sendung, als wären es 15 Minuten.
Dann wäre da allerdings noch der dritte sehr große Unterschied zur alten Sendung. Zuschauer können nun zwischendurch anrufen und über eigene Themen sprechen. Sie können aber auch kommentieren, was ein Talk-Gast erzählt hat. Gemacht hat das in der ersten von vier Folgen noch niemand. Aber warum ist es überhaupt nötig, Außenstehende in diese persönlichen Gespräch zu integrieren?
Nichtsdestotrotz war das Comeback erfolgreich: Eine halbe Million Menschen sahen zu. Die nächste Folge läuft am Freitag, 15. November.