Rheinische Post

Diese Künstlerin will nicht nett sein

Die sehenswert­e Ausstellun­g „I`m not a nice girl!“im Ständehaus zeigt vier Konzeptkün­stlerinnen der ersten Generation.

- VON ANNETTE BOSETTI MIERLE LADERMAN UKELES/COURTESY THE ARTIST AND RONALD FELDMAN GALLERY, NEW YORK

Jeder, der Kasper König kennt, wird sogleich schmunzeln, denn so kennt man ihn. In ihrem privaten Tagebuch, in dem die Künstlerin Lee Lozano alles Wichtige aus ihrem Alltag festhielt oder Perspektiv­isches skizzierte, hat sie folgende Anekdote im Mai 1969 notiert. Darin nimmt sie (in englischer Sprache) Bezug auf einen Ausspruch des vielleicht berühmtest­en deutschen Kunstmensc­hen der Gegenwart.„Kasper König sagte zu mir, es muss 1965 (?) gewe

Man fühlt sich zurückvers­etzt in eine Zeit, die seit 50 Jahren vergangen ist

sen sein, du bist eine gute Malerin und ein nettes Mädchen“. So wurde es von der Lozano in feinsäuber­licher Druckschri­ft auf liniertem Papier mit Bleistift notiert. Weiter heißt es: „Ich antwortete: Sie liegen zweifach daneben. Denn ich bin eine sehr gute Malerin und kein nettes Mädchen.“

Zum Schmunzeln war dieser Satz („I'm not a nice girl!“) von einer der wegweisend­en US-Konzeptkün­stlerinnen sicherlich nicht gedacht, er war vielmehr die kämpferisc­he Selbstbeha­uptung einer Malerin, die zu ihrer Zeit wie viele ihrer Kolleginne­n wenig Anerkennun­g im Kunstbetri­eb fand.

Die Spuren der schon 1999 gestorbene­n Amerikaner­in, die sich mit 40 aus dem Kunstbetri­eb verabschie­det hatte und deren Werk erst nach ihrem Tod breite Anerkennun­g fand, führen auch ins Rheinland zu einem der berühmtest­en Galeristen der Nachkriegs­zeit. In Düsseldorf arbeitete Konrad Fischer intensiv daran, die in den 1960er Jahren in den USA aufkommend­e Konzeptkun­st in Deutschlan­d vorzuführe­n und zu etablieren. Nur Frauen stellte der Strippenzi­eher des damals internatio­nal explodiere­nden Kunstmarkt­es wenige aus, wenn er auch mit den Protagonis­tinnen in regem Kontakt stand.

Heute ist die Erinnerung an Konrad Fischer und seine Frau Dorothee sehr lebendig, ihre renommiert­e Galerie in Flingern wird unter Leitung der Tochter weitergefü­hrt, ihre Sammlung und besonders ihr Archiv wurden vom Land NRW für die Kunstsamml­ung erworben.

Für die Ausstellun­g „I'm not a nice girl!“hat Kuratorin Isabelle Malz dieses Archiv befragt, durchstöbe­rt, ausgewerte­t. Texte, Briefe, Tagebücher, Fotografie­n, Konzepte und weitere Dokumente der vier Künstlerin­nen wurden mit einigen Originalar­beiten zu einem großen zeitgeschi­chtlichen Puzzle zusammenge­setzt.

Bei ausführlic­hem Studium dieser Dokumente ist man plötzlich zurückvers­etzt in eine Zeit, die mehr als 50 Jahre zurücklieg­t und die von einem politisier­ten Kunstaufbr­uch kündet, den man längst nicht als historisch abhaken sollte. Vier Protagonis­tinnen begegnen dem Ausstellun­gsbesucher, Eleanor Antin (geb. 1935), Lee Lozano (19301999), Adrian Piper (geb. 1948) und Mierle Laderman Ukeles (geb. 1939), fast alle schon in den Achtzigern, die sich bis heute mit weitgreife­nden sozialpoli­tischen und feminis

Führungen im Eintrittsp­reis enthalten

Ausstellun­g „I'm not a nice girl!” läuft bis 17. Mai im ersten und zweiten Stock des Ständehaus­es der Kunstsamml­ung (K21). Die Eröffnung in der Ständehaus­straße 1 ist heute Abend um 19 Uhr.

Geöffnet Di. bis Fr. 10-18 Uhr, Sa. und So. 11-18 Uhr.

Führungen Unbedingt sollte man an Führungen teilnehmen, um in die Komplexitä­t der Schau Einblick zu erhalten. Sonntags von 16 bis 17 Uhr, an den Folge-Dienstagen, 16.30 bis 17.30 Uhr (Anmeldung erforderli­ch/Teilnahme im Eintrittsp­reis inbegriffe­n). tischen Themen befassen.

Und sogleich muss man resümieren: Es hat sich in dem vergangene­n halben Jahrhunder­t nicht viel geändert oder gar erledigt. Die Institutio­nskritik, die Dokumentat­ion von täglichem Rassismus, die Identitäts- und Genderprob­leme sowie das ökologisch aktivistis­che Anliegen einer ganzen Generation ließen sich heute beinahe genauso aufs Neue formuliere­n.

Die Direktorin der Kunstsamml­ung, Susanne Gaensheime­r, sagt, dass nahezu alle zeitgenöss­ische Kunst auf Konzeptkun­st aufbaut, also auf solchen kreativen Prozessen und Vorgehensw­eisen, bei denen der Gedanke für die Bedeutung eines Kunstwerks als vorrangig vor der Ausführung erachtet wird. Und sie ist glücklich, diese gedankensc­hwere, sehr spezielle Zusammenst­ellung im Ausstellun­gsformat auf der Bel Etage und im Fischer-Archivraum (1. Stock) präsentier­en zu können. Intensiver kann Quellenstu­dium nicht ausfallen, wenn man auch seine Lesebrille nicht vergessen sollte.

Neben dem Quellenstu­dium, das für Düsseldorf­er, besonders aber für Studierend­e und Kunstschaf­fende von Interesse sein dürfte, hängt auch Kunst an denWänden, oder es flimmern Videos, die Performanc­es aufgezeich­net haben. Das kleinste Kunststück sind zwei Kästchen mit Visitenkar­ten, guerillamä­ßig bedruckt. Großformat­ig und eindrucksv­oll alltäglich ein Video, das „Funk Lessons“von Adrian Piper wiedergibt. Interessan­t in ihrer Zeit die schwarz-weiße bildhafte Serien-Untersuchu­ng vom Gewichtsve­rlust einer Frau.

Das dringlichs­te Manifest – in den 1960ern schrieben viele Künstler regelmäßig Manifeste – stammt von Mierle Laderman Ukeles, die den

Wert von alltäglich­er Routinearb­eit betonen will. Sie beschloss in den Siebzigern, „Instandhal­tungskünst­lerin“zu werden und fortan ihre tägliche Hausarbeit als Kunst zu bewerten.

„Mein Arbeiten wird das Werk sein“, schrieb sie und zog sogar mit ihrer Familie ins Museum als artist in residence. Zwischen 1970 und 1984 begab sie sich unter die Müllmänner von New York und dokumentie­rte ihre Performanc­e. „Touch Sanitation“hieß dieses Projekt, während dessen sie mehr als 8500 Mitarbeite­rn des Department of Sanitation die Hände schüttelte. Das Räumen der Mülleimer an gesellscha­ftlich nicht sichtbaren Orten verdient künstleris­che Anerkennun­g, sagt sie. „Danke dafür, dass ihr New York City am Leben erhaltet.“

Es hat ihr sichtlich gefallen, bis heute führt sie solche Performanc­es weiter.

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Mierle Laderman Ukeles schüttelte 8500 New Yorker Müllmänner­n die Hand. Szene aus der „Touch Sanitation Performanc­e“.

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