Waffenstillstand für Libyen
Kanzlerin Merkel und UN-Generalsekretär Guterres vermittelten im Konflikt in Nordafrika.
(hom/kd) Hoffnung auf Frieden für das Bürgerkriegsland Libyen: Bei dem bisher größten Gipfeltreffen zur Lösung des Konflikts in dem nordafrikanischen Land verpflichteten sich die Teilnehmer am Sonntag in Berlin auf die Absicherung einesWaffenstillstands und auf die Einhaltung und Überwachung des UN-Waffenembargos. Ferner sicherten sie ein Ende der militärischen Unterstützung der Bürgerkriegsparteien zu. Eine entsprechende Erklärung unterzeichneten 16 Staaten und Organisationen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte am Abend, es gebe jetzt „einen neuen politischen Anlauf“und „Hoffnung für die Menschen auf Frieden“. Wichtig sei, dass der libysche Premierminister Fajis al
Sarradsch der international anerkannten Regierung in Tripolis sowie dessen Gegenspieler General Khalifa Haftar in Berlin einen entscheidenden Schritt gemacht hätten. Beide hätten jeweils fünf Namen von Vertretern genannt. Die sollen an Folge-Verhandlungen teilnehmen, um aus der vereinbarten Waffenruhe einen dauerhaften Waffenstillstand zu formen. Ob es eine internationale Überwachungsmission – womöglich mit Beteiligung der Bundeswehr – geben werde, könne jetzt noch nicht gesagt werden, sagte Merkel.
UN-Generalsekretär António Guterres sagte, alle Teilnehmer der Konferenz hätten sich darauf verständigt, dass es keine militärische Lösung geben könne. Das sei ein großer Erfolg. Merkel sagte: „Ich glaube wir haben auch von deutscher Seite aus einen Beitrag geleistet.“Sie betonte aber, mit dieser Vereinbarung seien nicht alle Probleme gelöst.
Der Grünen-Außenexperte Omid Nouripour sagte unserer Redaktion, es sei schon ein Erfolg der Bundesregierung, dass so viele internationale Hauptakteure angereist seien. Es zeige aber auch, dass Deutschland in den vergangenen Jahren seine Stärke nicht genutzt habe, um bei der Konfliktlösung in der Welt zu helfen. Merkel genieße hohe Anerkennung auf internationaler Ebene, habe aber zu wenig daraus gemacht. Der Libyen-Gipfel sei ein Beweis dafür, dass sich das ändern müsse.
BERLIN Kann man in gut fünf Stunden Frieden schaffen? Irgendwie muss es doch zu machen sein nach gut acht Jahren Bürgerkrieg. Um 19.28 Uhr verkündet Bundeskanzlerin Angela Merkel „nach sehr intensiven und ernsthaften Verhandlungen“wenigstens ein bisschen Frieden für Libyen. Dazu haben Merkel und Außenminister Heiko Maas alle relevanten Akteure eines der drängendsten Konflikte vor den Toren Europas für einen Nachmittag in Berlin versammelt. „Es gibt da nichts zu unterschreiben, entscheidend ist, dass die Dynamik da ist“, sagt ein hoher Berater aus dem Auswärtigen Amt, als am Abend durchsickert, dass sich alle Beteiligten zur Einhaltung des UN-Waffenembargos verpflichtet haben und auch aufhören wollen, den Krieg in dem nordafrikanischen Küstenland mit ausländischen Kämpfern weiter anzuheizen.
Irgendwann jedenfalls schimmert Hoffnung durch an diesem tristen Sonntag in Berlin. Die libysche Küste am Mittelmeer, über das im vorigen Jahr Zehntausende Flüchtlinge trotz rauer See in abgewrackten Booten Richtung Europa aufbrachen, ist weit weg. Aber das Drama des nordafrikanischen Landes ist nah. Es ist um die Mittagsstunde, als sich etwas Sonne durch den wolkenverhangenen Himmel kämpft. Die
Aufhellung erscheint passend zum Anlass: Fast alle wichtigen Akteure für eine Befriedung des von Bürgerkrieg und Chaos gezeichneten Libyen sind gekommen. Freunde wie Feinde.
Merkel und Maas blicken einigermaßen zufrieden, als sie am Abend die Ergebnisse dieses Treffens im Kanzleramt zusammenfassen. Über Stunden haben sie um ein Ergebnis gerungen. Merkel betont, „dass wir eine politische Lösung brauchen, dass es keine Chance auf eine militärische Lösung gibt“. Natürlich seien „nicht alle Probleme gelöst, aber es soll ein neuer Impuls sein“, sagt die Kanzlerin. Jetzt soll ein Komitee mit jeweils fünf Vertretern der beiden innerlibyschen Konfliktparteien den nächsten Schritt machen. Maas ergänzt: „Wir haben uns hier den Schlüssel für Libyen besorgt. Jetzt geht es darum, ihn ins Schloss zu stecken und auch umzudrehen.“
Womöglich aber klemmt die Tür zur Lösung der Probleme in Libyen noch. In Berlin jedenfalls sitzen die beiden libyschen Widersacher Fajis al Sarradsch und Khalifa Haftar nicht gemeinsam in einem Raum. Ein direkter Kontakt sei im Moment noch nicht möglich, so die Kanzlerin. Merkel und Mitstreiter sprechen mit den Kriegsgegnern jeweils einzeln.
Die Bundesregierung hat diese internationale Libyen-Konferenz über Monate vorbereitet, auf vielen (stillen) Kanälen nach Möglichkeiten sondiert, möglichst alle Einflussmächte, die in dem Konflikt ihre eigene Suppe kochen, Waffen liefern und Söldner oder Streitkräfte auf das libysche Schlachtfeld schicken, an denVerhandlungstisch zu holen. Schon bevor alle sitzen, kommt Bewegung in die komplizierte Gemengelage.
Beim G7-Gipfel im August im französischen Biarritz hatte sich Merkel grünes Licht geben lassen, für einen Friedensprozess für Libyen „eine sorgfältig vorbereitete internationale Konferenz. Am Donnerstag reiste Außenminister Heiko Maas (SPD) noch eilig ins Hauptquartier von General Haftar, dessen Streitkräfte weite Teile des Landes kontrollieren, nach Bengasi, um den
Militär für eine Teilnahme an der Berliner Konferenz zu gewinnen. Maas sagte nachher, Haftar habe zugesagt, sich an die verabredete Waffenruhe halten zu wollen.
Mit Zusagen ist es in einem Land wie Libyen so eine Sache. Ihre Halbwertzeit richtet sich auch nach Geländegewinnen der eigenen Truppen. Gegenwärtig kommt Haftar mit seinem Sturm auf die Hauptstadt Tripolis nicht weiter. Das mag ihn bewogen haben, nach Berlin ins Kanzleramt zu kommen und irgendwie an einer politischen Lösung mitzuwirken. Wie es auch sein Feind macht, der Ministerpräsident der international weitgehend anerkannten Zentralregierung in Tripolis, Fajis al-Sarradsch. Er sagte vorher der „Welt am Sonntag“, wenn Haftar seine Angriffe nicht einstelle, „muss die internationale Gemeinschaft aktiv werden, und zwar auch mit einer internationalen Truppe zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung“.
Merkel hat sich im Libyen-Krieg bislang nicht positioniert, was sie für eine Mittlerrolle und Konferenz-Gastgeberin prädestiniert hat. Aber im Kreis der Alliierten gibt es noch eine offene Wunde: 2011 hatte sich Deutschland im UN-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über Luftschläge gegen Truppen des damaligen libyschen Machthabers Muammar al Gaddafi - wie Russland und China - enthalten. Zum Entsetzen der Alliierten. Deutschland galt als Drückeberger. Nun aber geht Deutschland mit dieser Konferenz voran. Es ist derWeg der Diplomatie. Jeder der Teilnehmer hat eigene Interessen in diesem Libyen-Konflikt. Daraus ein Band für Frieden zu ziehen und den Weg für einen politischen Prozess zu ebnen, ist Merkels schwierige Aufgabe an diesem Tag.
Um 13.30 Uhr beginnt das große Händeschütteln auf dem roten Teppich vor dem Kanzleramt. Die Gastgeberin im leuchtend blauen Blazer begrüßt zunächst António Guterres, der als UN-Generalsekretär gewissermaßen Mitveranstalter dieser internationalen Konferenz ist. Gemeinsam nehmen sie Pompeo, den britischen Premier Boris Johnson (der schnell die Entsendung britischer Experten zur Überwachung eines Waffenstillstands in Aussicht stellt), Russlands Präsidenten Wladimir Putin, den italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte, den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und Yang Jiechi, den Vertreter der Weltmacht China, in Empfang. Es dauert ein wenig, bis alle zum Familienfoto aufgestellt sind. Putin findet nicht gleich seinen Platz. Merkel hat ihn und Erdogan ausreichend weit auseinander platziert. Putin unterstützt Haftar, Erdogan al-Sarradsch.
Die beiden Widersacher selbst sind nicht beim Aufmarsch der Mächtigen auf dem roten Teppich dabei. So wird es ein Tag des unfertigen Friedens. Aber ein Anfang.