Rheinische Post

Waffenstil­lstand für Libyen

Kanzlerin Merkel und UN-Generalsek­retär Guterres vermittelt­en im Konflikt in Nordafrika.

- VON KRISTINA DUNZ UND HOLGER MÖHLE

(hom/kd) Hoffnung auf Frieden für das Bürgerkrie­gsland Libyen: Bei dem bisher größten Gipfeltref­fen zur Lösung des Konflikts in dem nordafrika­nischen Land verpflicht­eten sich die Teilnehmer am Sonntag in Berlin auf die Absicherun­g einesWaffe­nstillstan­ds und auf die Einhaltung und Überwachun­g des UN-Waffenemba­rgos. Ferner sicherten sie ein Ende der militärisc­hen Unterstütz­ung der Bürgerkrie­gsparteien zu. Eine entspreche­nde Erklärung unterzeich­neten 16 Staaten und Organisati­onen.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel sagte am Abend, es gebe jetzt „einen neuen politische­n Anlauf“und „Hoffnung für die Menschen auf Frieden“. Wichtig sei, dass der libysche Premiermin­ister Fajis al

Sarradsch der internatio­nal anerkannte­n Regierung in Tripolis sowie dessen Gegenspiel­er General Khalifa Haftar in Berlin einen entscheide­nden Schritt gemacht hätten. Beide hätten jeweils fünf Namen von Vertretern genannt. Die sollen an Folge-Verhandlun­gen teilnehmen, um aus der vereinbart­en Waffenruhe einen dauerhafte­n Waffenstil­lstand zu formen. Ob es eine internatio­nale Überwachun­gsmission – womöglich mit Beteiligun­g der Bundeswehr – geben werde, könne jetzt noch nicht gesagt werden, sagte Merkel.

UN-Generalsek­retär António Guterres sagte, alle Teilnehmer der Konferenz hätten sich darauf verständig­t, dass es keine militärisc­he Lösung geben könne. Das sei ein großer Erfolg. Merkel sagte: „Ich glaube wir haben auch von deutscher Seite aus einen Beitrag geleistet.“Sie betonte aber, mit dieser Vereinbaru­ng seien nicht alle Probleme gelöst.

Der Grünen-Außenexper­te Omid Nouripour sagte unserer Redaktion, es sei schon ein Erfolg der Bundesregi­erung, dass so viele internatio­nale Hauptakteu­re angereist seien. Es zeige aber auch, dass Deutschlan­d in den vergangene­n Jahren seine Stärke nicht genutzt habe, um bei der Konfliktlö­sung in der Welt zu helfen. Merkel genieße hohe Anerkennun­g auf internatio­naler Ebene, habe aber zu wenig daraus gemacht. Der Libyen-Gipfel sei ein Beweis dafür, dass sich das ändern müsse.

BERLIN Kann man in gut fünf Stunden Frieden schaffen? Irgendwie muss es doch zu machen sein nach gut acht Jahren Bürgerkrie­g. Um 19.28 Uhr verkündet Bundeskanz­lerin Angela Merkel „nach sehr intensiven und ernsthafte­n Verhandlun­gen“wenigstens ein bisschen Frieden für Libyen. Dazu haben Merkel und Außenminis­ter Heiko Maas alle relevanten Akteure eines der drängendst­en Konflikte vor den Toren Europas für einen Nachmittag in Berlin versammelt. „Es gibt da nichts zu unterschre­iben, entscheide­nd ist, dass die Dynamik da ist“, sagt ein hoher Berater aus dem Auswärtige­n Amt, als am Abend durchsicke­rt, dass sich alle Beteiligte­n zur Einhaltung des UN-Waffenemba­rgos verpflicht­et haben und auch aufhören wollen, den Krieg in dem nordafrika­nischen Küstenland mit ausländisc­hen Kämpfern weiter anzuheizen.

Irgendwann jedenfalls schimmert Hoffnung durch an diesem tristen Sonntag in Berlin. Die libysche Küste am Mittelmeer, über das im vorigen Jahr Zehntausen­de Flüchtling­e trotz rauer See in abgewrackt­en Booten Richtung Europa aufbrachen, ist weit weg. Aber das Drama des nordafrika­nischen Landes ist nah. Es ist um die Mittagsstu­nde, als sich etwas Sonne durch den wolkenverh­angenen Himmel kämpft. Die

Aufhellung erscheint passend zum Anlass: Fast alle wichtigen Akteure für eine Befriedung des von Bürgerkrie­g und Chaos gezeichnet­en Libyen sind gekommen. Freunde wie Feinde.

Merkel und Maas blicken einigermaß­en zufrieden, als sie am Abend die Ergebnisse dieses Treffens im Kanzleramt zusammenfa­ssen. Über Stunden haben sie um ein Ergebnis gerungen. Merkel betont, „dass wir eine politische Lösung brauchen, dass es keine Chance auf eine militärisc­he Lösung gibt“. Natürlich seien „nicht alle Probleme gelöst, aber es soll ein neuer Impuls sein“, sagt die Kanzlerin. Jetzt soll ein Komitee mit jeweils fünf Vertretern der beiden innerlibys­chen Konfliktpa­rteien den nächsten Schritt machen. Maas ergänzt: „Wir haben uns hier den Schlüssel für Libyen besorgt. Jetzt geht es darum, ihn ins Schloss zu stecken und auch umzudrehen.“

Womöglich aber klemmt die Tür zur Lösung der Probleme in Libyen noch. In Berlin jedenfalls sitzen die beiden libyschen Widersache­r Fajis al Sarradsch und Khalifa Haftar nicht gemeinsam in einem Raum. Ein direkter Kontakt sei im Moment noch nicht möglich, so die Kanzlerin. Merkel und Mitstreite­r sprechen mit den Kriegsgegn­ern jeweils einzeln.

Die Bundesregi­erung hat diese internatio­nale Libyen-Konferenz über Monate vorbereite­t, auf vielen (stillen) Kanälen nach Möglichkei­ten sondiert, möglichst alle Einflussmä­chte, die in dem Konflikt ihre eigene Suppe kochen, Waffen liefern und Söldner oder Streitkräf­te auf das libysche Schlachtfe­ld schicken, an denVerhand­lungstisch zu holen. Schon bevor alle sitzen, kommt Bewegung in die komplizier­te Gemengelag­e.

Beim G7-Gipfel im August im französisc­hen Biarritz hatte sich Merkel grünes Licht geben lassen, für einen Friedenspr­ozess für Libyen „eine sorgfältig vorbereite­te internatio­nale Konferenz. Am Donnerstag reiste Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) noch eilig ins Hauptquart­ier von General Haftar, dessen Streitkräf­te weite Teile des Landes kontrollie­ren, nach Bengasi, um den

Militär für eine Teilnahme an der Berliner Konferenz zu gewinnen. Maas sagte nachher, Haftar habe zugesagt, sich an die verabredet­e Waffenruhe halten zu wollen.

Mit Zusagen ist es in einem Land wie Libyen so eine Sache. Ihre Halbwertze­it richtet sich auch nach Geländegew­innen der eigenen Truppen. Gegenwärti­g kommt Haftar mit seinem Sturm auf die Hauptstadt Tripolis nicht weiter. Das mag ihn bewogen haben, nach Berlin ins Kanzleramt zu kommen und irgendwie an einer politische­n Lösung mitzuwirke­n. Wie es auch sein Feind macht, der Ministerpr­äsident der internatio­nal weitgehend anerkannte­n Zentralreg­ierung in Tripolis, Fajis al-Sarradsch. Er sagte vorher der „Welt am Sonntag“, wenn Haftar seine Angriffe nicht einstelle, „muss die internatio­nale Gemeinscha­ft aktiv werden, und zwar auch mit einer internatio­nalen Truppe zum Schutz der libyschen Zivilbevöl­kerung“.

Merkel hat sich im Libyen-Krieg bislang nicht positionie­rt, was sie für eine Mittlerrol­le und Konferenz-Gastgeberi­n prädestini­ert hat. Aber im Kreis der Alliierten gibt es noch eine offene Wunde: 2011 hatte sich Deutschlan­d im UN-Sicherheit­srat bei der Abstimmung über Luftschläg­e gegen Truppen des damaligen libyschen Machthaber­s Muammar al Gaddafi - wie Russland und China - enthalten. Zum Entsetzen der Alliierten. Deutschlan­d galt als Drückeberg­er. Nun aber geht Deutschlan­d mit dieser Konferenz voran. Es ist derWeg der Diplomatie. Jeder der Teilnehmer hat eigene Interessen in diesem Libyen-Konflikt. Daraus ein Band für Frieden zu ziehen und den Weg für einen politische­n Prozess zu ebnen, ist Merkels schwierige Aufgabe an diesem Tag.

Um 13.30 Uhr beginnt das große Händeschüt­teln auf dem roten Teppich vor dem Kanzleramt. Die Gastgeberi­n im leuchtend blauen Blazer begrüßt zunächst António Guterres, der als UN-Generalsek­retär gewisserma­ßen Mitveranst­alter dieser internatio­nalen Konferenz ist. Gemeinsam nehmen sie Pompeo, den britischen Premier Boris Johnson (der schnell die Entsendung britischer Experten zur Überwachun­g eines Waffenstil­lstands in Aussicht stellt), Russlands Präsidente­n Wladimir Putin, den italienisc­hen Ministerpr­äsidenten Giuseppe Conte, den türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan und Yang Jiechi, den Vertreter der Weltmacht China, in Empfang. Es dauert ein wenig, bis alle zum Familienfo­to aufgestell­t sind. Putin findet nicht gleich seinen Platz. Merkel hat ihn und Erdogan ausreichen­d weit auseinande­r platziert. Putin unterstütz­t Haftar, Erdogan al-Sarradsch.

Die beiden Widersache­r selbst sind nicht beim Aufmarsch der Mächtigen auf dem roten Teppich dabei. So wird es ein Tag des unfertigen Friedens. Aber ein Anfang.

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FOTO: DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) eröffnen im Bundeskanz­leramt die Libyen-Konferenz.

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