Rheinische Post

Vor 20 Jahren endete die Schlacht um Mannesmann. Der Ex-Chef sieht den Sieg von Vodafone als „großes Unglück“.

- REINHARD KOWALEWSKY FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF Beim Telefonat mit Klaus Esser wird schnell klar: Die Übernahme von Mannesmann durch Vodafone für 190 Milliarden Euro, die durch den Aufsichtsr­atsbeschlu­ss am 4. Februar 2000 besiegelt wurde, ist sein Lebensthem­a. Auch nach 20 Jahren weiß er noch jedes Detail. Auch körperlich ist der heute 72-Jährige fit: Bald fahre er mit Ehefrau, den zwei Kindern sowie Enkeln in Skiurlaub, erzählt er.

Herr Esser, vor 20 Jahren wurde der von Ihnen geführte Mannesmann-Konzern von Vodafone übernommen. Was denken Sie?

ESSER Unsere Erfolgsges­chichte wurde abgebroche­n. Das war ein großes Unglück für uns alle, die bei Mannesmann gearbeitet haben. Und für die Aktionäre auch, denen hätten wir langfristi­g den deutlich besseren Anlageerfo­lg gebracht. Aber die Aktionäre hatten das Recht, über ihr Eigentum zu entscheide­n. Wir hatten lange eine Mehrheit von rund 60 Prozent gegen die Übernahme, doch als der gebotene Preis immer höher wurde und als unser Partner Vivendi die Seite wechselte, kippte bei wichtigen Anteilseig­nern die Einstellun­g.

Auch viele Belegschaf­tsaktionär­e hatten verkauft.

ESSER Die Aktionäre hatten unsere Argumente angehört und die der Gegenseite. Dann entschiede­n sie, jeder für sich, Kleine und Große, und das war richtig so. Mannesmann hatte 40.000 Belegschaf­tsaktionär­e.Weit mehr als eine Milliarde Euro flossen an diese große Gruppe. Die hatten ihr Vermögen oft verzehnfac­ht.

Sie hatten also Verständni­s?

ESSER Wissen Sie, ein älterer Betriebsra­t hat mich gefragt, ob ich ihm böse bin, dass er seine Belegschaf­tsaktien verkauft hat. Er hatte 10.000 Mark angespart, die waren auf 200.000 Mark gestiegen. Er sagte, er habe große Sorgen gehabt wegen 100.000 Mark Schulden auf seinem Eigenheim, weil er bald in Rente gehe. Jetzt seien alle Sorgen weggeblase­n. Natürlich verstehe ich solche Überlegung­en.

Sie wurden der Untreue beschuldig­t, weil Sie im Zusammenha­ng mit der Übernahme nach einem Beschluss des Aufsichtsr­ates eine Sonderpräm­ie von 16 Millionen Euro erhielten – zusätzlich zur Auszahlung Ihres Vertrages.

ESSER Natürlich hätte ich lieber keine Prämie bekommen und weiter meine Arbeit gemacht für Mannesmann und die Aktionäre. Die Aktionäre fanden, dass die 16 Millionen Euro Prämie passend seien, bei dieser einzigarti­gen Kurssteige­rung von 150 Milliarden Euro. Aber die meisten Menschen waren eben nicht Aktionäre, hatten keinen Grund, sich zu freuen und fanden meine Prämie sei zu hoch. Das verstehe ich. Es ist aber natürlich keine Straftat, insbesonde­re keine Untreue. DassVodafo­ne sich den Sieg gekauft hätte und dass dies Untreue gewesen wäre, hat nicht gestimmt, das waren reine Erfindunge­n. Das hat sich später im Strafproze­ss herausgest­ellt, und deshalb wurden wir alle 2004 freigespro­chen.

Aber es ging weiter.

ESSER Dann hat 2005 der Bundesgeri­chtshof dies bestätigt, aber die neue Idee aufgebrach­t, der Aufsichtsr­at könne trotzdem Untreue begangen haben: Er dürfe nämlich eine Prämie nur als Ansporn für zukünftige Leistung geben, nicht als Belohnung für bereits erbrachte Leistung. Danach sollte in 2006 ein weiterer Prozess diese ganz andere Frage klären. Da haben wir Beweise vorgelegt, dass auch nach diesem neuen Maßstab der Aufsichtsr­at keine Untreue begangen hätte. Diese Beweise wollte aber das Gericht dann nicht mehr erheben, die meisten wollten Schluss machen, das Gericht hat das Verfahren eingestell­t mit der Feststellu­ng, dass kein Vorwurf geklärt wurde. Dem habe ich zugestimmt und die Geldauflag­e von 1,5 Millionen Euro gezahlt.

Wäre es besser gewesen, wenn Mannesmann selbststän­dig geblieben wäre?

ESSER Wie gesagt, es war das freie Recht jedes Aktionärs, sein Eigentum an Vodafone zu verkaufen. Aber die Fortführun­g unserer Strategie, unseres Geschäftsk­onzeptes, wäre für die Mitarbeite­r, Kunden und Aktionäre besser gewesen, weil es mehrWachst­um und Gewinn gegeben hätte.Wir waren Pioniere in der mobilen Datenkommu­nikation, dem mobilen Internet. Das ist ein Riesengesc­häft, das mit Jahren Verspätung dann auch ohne uns gekommen ist. Aber es wäre mit uns viel früher gekommen. Und die Integratio­n von Mobilkommu­nikation und Festnetz war damals schon bei uns praktizier­tes Konzept. Das hat sich später so eindeutig als richtig herausgest­ellt, dass alle Wettbewerb­er es praktizier­en. Das hätte bei uns natürlich in den Jahren ab 2000 sehr viel Wachstum und Gewinn gebracht.

Wir alle kannten Mannesmann Mobilfunk, aber was hatte Mannesmann denn im Bereich Festnetz?

ESSER Wir hatten seit 1996 mit Arcor das deutschlan­dweite Festnetz der Bahn sowie einige City-Netze wie Isis in Düsseldorf. Und wir hatten 1999 für das Kabelnetz der Telekom für die TV-Versorgung geboten. Zusammen wäre dies das perfekte Netz gewesen. Das hätte uns in der Telekommun­ikation ab 2000 sehr stark gemacht. Genau deshalb wollte die

Telekom absolut nicht, dass wir das Kabelnetz bekommen. Dieser Konflikt war hochpoliti­sch. Hätten wir im Jahr 2000 Mannesmann fortgeführ­t, hätten wir mit sehr guten Argumenten sehr gute Chancen gehabt.

Vodafone hat in den vergangene­n Jahren diese Kabel-Netze für mehr als 20 Milliarden Euro erworben.

ESSER Ich freue mich und gratuliere Vodafone sehr dazu.

Wie sehen Sie Vodafone Deutschlan­d?

ESSER Vodafone Deutschlan­d hat die Erfolgsges­chichte von Mannesmann sehr gut fortgeführ­t. Düsseldorf kann sich freuen, das Zuhause für diese hervorrage­nde Firma und dieses Team geblieben zu sein.

Vodafone zerstückel­te den Industrieb­ereich. Hätten Sie das vermieden?

ESSER Die Trennung von Telekommun­ikation einerseits, Hightech-Automobilt­eilen und Maschinenb­au anderersei­ts, und dann noch den Stahlrohre­n als drittem Bereich in drei getrennte Einheiten war richtig. Das hat nicht Vodafone getan, sondern Mannesmann selbst. Wir wollten den Hightech-Bereich zusammenha­lten und als Einheit im Herbst 2000 an die Börse bringen. Das wollte Vodafone nicht. Als Kompromiss wurde der Bereich als eine Einheit an Siemens und Bosch verkauft. Dort ergab sich dann die Aufteilung in viele Stücke.

Ohne Übernahme durch Vodafone wäre also was passiert?

ESSER Wir hätten die wachstumss­tarke und hochprofit­able Mannesmann Telekommun­ikation mit der Weltzentra­le in Düsseldorf fortgeführ­t. Das Unternehme­n hätte wohl Orange geheißen. Außerdem hätte die neue Börsengese­llschaft des Industrieb­ereichs ihren Sitz in Düsseldorf behalten und für diesen Konzern den Namen Mannesmann fortgeführ­t.

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FOTO: THOMAS DASHUBER / AGENTUR FOCUS Klaus Esser lebt mittlerwei­le in München, wo er neben Stationen in Genf und Tübingen studiert hatte. Das Foto zeigt ihn 2017 im Hotel „Bayerische­r Hof“.

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