So sucht Deutschland nach dem Coronavirus
Um eine Pandemie zu verstehen und auch zu bekämpfen, muss man wissen, wer infiziert ist. Gelingt uns das? Und was bringen Schnelltests?
DÜSSELDORF Die Meldungen, die im Moment aus Italien kommen, sind beunruhigend: Ärzte und Krankenpfleger kämpfen erschöpft auf überfüllten Intensivstationen um das Leben von Menschen, die sich mit dem neuen Coronavirus infiziert haben. Das Gesundheitssystem droht zu kollabieren. Viele Experten sind sich einig: Italien hat die Epidemie im Land zu spät erkannt. Tests auf das neue Virus erfolgten erst in größerem Stil, als der Erreger längst weite Landstriche des Nordens erreicht hatte. Es ist einer der zentralen Gründe für Italiens Fiasko. Je weniger getestet wird, desto mehr Infektionen bleiben unerkannt.
Tedros Adhanom Ghebreyesus, Chef der Weltgesundheitsorganisation, fordert deshalb: „testen, testen, testen“. Die Dunkelziffer der Infektionen bleibt dadurch gering. Deutschland war hier deutlich wacher als Italien. Dem Berufsverband der Akkreditierten Medizinischen Labore (ALM) zufolge lag das Testniveau in der vergangenen Woche bei 58.000 Tests pro Tag. Insgesamt seien es seit Anfang März mehr als 400.000 Tests gewesen.
Und trotzdem wird bei uns auch weiterhin nicht jeder getestet. Das sorgt bei manchem für Unverständnis, hat aber einfache Gründe. „Im Idealfall müssten wir natürlich 80
Millionen Menschen testen“, sagt der Neusser Allgemeinmediziner Gerhard Steiner. Doch das geht nicht. Die Laborkapazitäten geben das nicht her. „Wir machen derzeit also aus der Not eine Tugend, indem wir diejenigen testen, bei denen es medizinisch sinnvoll ist und die Richtlinien des Robert-Koch-Instituts erfüllt sind.“
In seiner Praxis berät Steiner zahlreiche mögliche Covid-19-Patienten. Als Vorsitzender der Kreisstelle Neuss der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein ist er zudem für die medizinische Überwachung des Kreises mitverantwortlich. „Wir testen in unserem Testzentrum im Rhein-Kreis Neuss 600 bis 1000 Menschen pro Woche“, erklärt Steiner. Das Kölner Labor, mit dem man zusammenarbeitet, hat versichert, dass bis auf Weiteres die Frequenz aufrechterhalten werden kann.„Wir können sogar demnächst mehr testen. Wir bauen aus“, sagt Steiner.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) gibt Ärzten eine Orientierungshilfe für die Tests. Sie wurde am Dienstag aktualisiert. Damit reagiert das RKI auf die dynamische Lage. So entfällt das bisherige Test-Kriterium, dass ein Patient in einem Gebiet mit Covid-19-Fällen gewesen sein muss. Mittlerweile ist nahezu jede Region betroffen. Das RKI schärft auch noch einmal seinen Fokus auf die Risikogruppen, also auf Ärzte, Krankenpfleger und Menschen mit Vorerkrankungen. Kommt es beispielsweise in einem Altenheim zu einer Häufung von Lungenentzündungen, sollen die Ärzte nun davon ausgehen, dass es Covid-19 ist. Derlei begründete Verdachtsfälle sollen künftig auch dem zuständigen Gesundheitsamt gemeldet werden. Es sollen aber weiterhin prinzipiell nur Menschen mit Symptomen getestet werden, bekräftigte am Mittwoch RKI-Chef Lothar Wieler. Wer mild erkrankt sei und mangels Kapazitäten derzeit nicht getestet werden könne, solle zu Hause bleiben.
Die Regelungen sollen Kliniken, Hausarztpraxen und Gesundheitsämter vor Strapazen schützen. Schließlich gibt es auch noch neben Covid-19 zahlreiche Behandlungsgründe. Zudem ist Schutzausrüstung knapp. „Die Menschen verstehen, dass wir nicht jeden testen können“, sagt Allgemeinmediziner Steiner: „In meiner Praxis streite ich mich mit Patienten wirklich sehr selten darüber. Die meisten sind freundlich und kooperativ.“
Erleichterung könnten bald auch andere Testformen bringen. Der Technologiekonzern Bosch stellte am Donnerstag ein vollautomatisches Verfahren zum Nachweis von Virenerbgut vor. Von der Entnahme der Probe bis zum Ergebnis würden weniger als zweieinhalb Stunden vergehen. Wie praktikabel das 15.000 Euro teure Testgerät ist, muss sich jedoch zeigen.
Einige Hersteller sind bereits mit Schnelltests auf das Coronavirus auf dem Markt. Meist handelt es sich hierbei um Antikörpertests. Allerdings bilden sich Antikörper bei Sars-CoV-2 erst nach ein paar Tagen. Wenn der Test positiv ausfällt, schleppen wir das Virus also schon eine Weile mit uns herum und haben es vermutlich verbreitet. Der herkömmliche PCR-Test weist das Virus deutlich früher nach (Info-Kasten).
Gerhard Steiner ist skeptisch: „Ich bin kein Freund von Schnelltests. Die wurden damals auch zum Bei
spiel beim Kampf gegen Streptokokken angepriesen. 30 bis 40 Prozent der Tests waren aber fehlerhaft.“Vielversprechender seien Antigentests, sagt der Mediziner. Diese weisen direkt Proteine des Virus nach. Sie funktionieren wie ein Schwangerschaftstest, nur dass statt mit Urin mit Schleim aus Mund und Nase getestet wird. Ein Ergebnis gibt es in wenigen Minuten. Derlei Tests sind allerdings noch in der Entwicklung, vermutlich werden sie im Frühjahr bereitstehen.
Die Wissenschaft wartet aber noch aus einem anderen Grund sehnlichst auf die warmen Tage: Höhere Temperaturen werden das Coronavirus demaskieren. Zwar ist bisher anzunehmen, dass das Virus im Sommer nicht verschwinden wird, doch Infektionen dürften schneller erkannt werden, da etwa die Zahl der Erkältungskrankheiten zurückgeht. Sars-CoV-2 säße auf dem Präsentierteller.