„Auch Jüngere können schwer erkranken“
Winfried Randerath ist Professor für Pneumologie und Chefarzt der Klinik Bethanien in Solingen. Virale Lungenentzündungen hält er für gewaltige Herausforderungen für die Medizin. Bei Sars-CoV-2 bestehe das Problem, dass unser Immunsystem das Virus nicht k
Was macht die Covid-19-Erkrankung eigentlich so gefährlich? Nun, etwa 15 Prozent aller mit dem Sars-CoV-2Virus erkranken ernsthaft, mindestens fünf Prozent erleiden lebensbedrohliche Komplikationen. Hier steht eine besondere Form der Lungenentzündung, eine Viruspneumonie, im Vordergrund. Nicht selten entwickelt sie sich zum akuten Atemnotsyndrom, an dem, trotz aller intensivmedizinischer Bemühungen, sehr viele sterben.
Was sind die Ursachen einer Lungenentzündung?
Die Lunge besteht aus Luftröhre, Bronchien – also den Atemwegen –, Lungenbläschen (Alveolen) und Blutgefäßen. In den Alveolen findet der Austausch der Atemgase, Sauerstoff und Kohlendioxid (CO2), statt. Sie sind von einem dichten Netz feinster Blutgefäße umgeben, so dass Sauerstoff durch die Wand des Lungenbläschens und des Blutgefäßes bis in die roten Blutkörperchen gelangen kann. Umgekehrt wird hier auch das CO2 abgegeben und über die Atemwege abgeatmet.
Bei einer Lungenentzündung (Pneumonie) ist der Bereich der Lungenbläschen und des Bindegewebes zwischen ihnen betroffen. Eine Lungenentzündung kann einerseits durch Krankheitserreger verursacht werden, andererseits können auch Strahlen oder Chemikalien, verschleppte Blutgerinnsel oder verschluckte Fremdkörper Lungenentzündungen auslösen. Die größte Bedeutung haben die Krankheitserreger, Bakterien und Viren, seltener Pilze oder Parasiten.
Am bekanntesten sind die Lungenentzündungen durch Bakterien. Wer hat nicht schon von der Tuberkulose gehört? Sie zeigt sich unter anderem als lang anhaltende Pneumonie, verursacht durch ein Bakterium. Die häufigsten Erreger der ambulant (also außerhalb des Krankenhauses) erworbenen bakteriellen Lungenentzündung sind die sogenannten Pneumokokken.
Im Bewusstsein vieler Menschen haben die Lungenentzündungen in den letzten Jahrzehnten ihren Schrecken verloren; das hat vor allem damit zu tun, dass wir wirksame Medikamente einsetzen können. Zur Erinnerung: Bevor Antibiotika zur Verfügung standen, starben bis zu 70 Prozent der Erkrankten an ihrer Lungenentzündung – und keineswegs nur alte und schwerkranke Menschen. Auch heute ist eine bakterielle Lungenentzündung für den Körper noch ein sehr schweres Krankheitsbild. Er muss sich mit den Keimen auseinandersetzen, das Abwehrsystem muss sie beseitigen.
Dies wird jedoch durch die Antibiotika sehr erleichtert, die die Keime abtöten. Trotz allem machen uns in der Medizin auch die bakteriellen Pneumonien weiter Sorgen. So sind mit besonderem Risiko die im Krankenhaus erworbenen Pneumonien verbunden, also Lungenentzündungen, die am Beatmungsgerät oder bei abwehrgeschwächten Patienten auftreten. Und die zunehmenden Resistenzen der Bakterien gegen Antibiotika stellen uns vor große Herausforderungen.
Was ist das Besondere an einer Viruspneumonie?
Die Viren unterscheiden sich von Bakterien unter anderem dadurch, dass sie keine richtigen Lebewesen sind, sie können sich nicht selbst vermehren, brauchen immer die Zellen eines Menschen oder Tieres, des Wirtes. Viren sind meist spezialisiert auf ein bestimmtes Organ, zum Beispiel auf den Magen-DarmTrakt wie das Norovirus oder auf die Atemwege wie das Influenza- (Grippe-) oder Sars-CoV-2-Virus. Sie werden mit Tröpfchen eingeatmet, die eine infizierte Person abhustet oder abniest, teilweise noch bevor sie selbst Beschwerden merkt. So befallen sie die Zellen der Lunge, die Abwehrzellen versuchen, sie zu beseitigen: Das ist die Entzündungsreaktion von Lungenbläschen und Zwischengewebe.
Dies führt zu den Krankheitszeichen von Husten, Luftnot und Sauerstoffmangel. Sauerstoff kann nicht mehr ins Blut gelangen, Nerven im Lungengewebe werden gereizt, der Patient atmet schnell und kurz. Neben den Beschwerden und den Blutuntersuchungen spielt das Röntgenbild eine wichtige Rolle in der Diagnostik. Es zeigt oft auf beiden Lungenseiten Infiltrate; das Lungengewebe ist eben nicht mehr mit Luft, sondern mit Entzündungszellen, Sekret und Schleim gefüllt.
Aber die Lungenentzündung ist nicht nur eine Erkrankung der Lungenbläschen, sondern des gesamten Körpers. Das Abwehrsystem wird massiv aktiviert und produziert große Mengen von Zytokinen. Das sind Botenstoffe der Entzündung, die das Abwehrsystem weiter stimulieren, gegen Viren arbeiten oder das Wachstum von Zellen anregen. Dabei lösen sie aber auch Reaktionen wie hohes Fieber aus, erhöhen die Durchblutung und die Durchlässigkeit der Blutgefäße, so dass sie in der schwersten Entzündungsreaktion (Sepsis) auch zum Kreislaufversagen beitragen. Dies macht deutlich, dass die Entzündung eine immense Belastung für den Organismus darstellt; es wird auch vom „Zytokinsturm“gesprochen.
Das akute Atemnotsyndrom als starke Verschlimmerung Während sich bei einem Teil der Patienten die Viruspneumonie nach einigen Tagen bessert und ausheilt, entwickeln einige Betroffene eine zunehmendeVerschlechterung. Die Luftnot wird schlimmer, der Sauerstoffwert im Blut fällt, die Infiltrate im Röntgenbild als Zeichen der Entzündung verschlechtern sich immer mehr. Diese Komplikation wird als akutes Atemnotsyndrom („Acute Respiratory Distress Syndrome“, ARDS) beschrieben. Es kann sich in wenigen Stunden bis zu einerWoche entwickeln. Die Patienten brauchen Unterstützung durch eine maschinelle Beatmung, um die Aufnahme des Sauerstoffs durch die Lungenbläschen zu verbessern. Um die Lunge nicht weiter zu schädigen, muss die Beatmung beim ARDS sehr schonend erfolgen.
Nicht selten ist sogar eine Lungenersatztherapie (extrakorporale Membran-Oxygenierung, ECMO) nötig. Dabei wird das Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff angereichert und das Kohlendioxid entfernt. Mit Hilfe dieses Verfahrens versucht das Intensivteam, Zeit zu gewinnen, um dem Körper die Chance zu geben, die kritische Situation zu überwinden. Trotz aller Maßnahmen ist diese Situation als sehr kritisch anzusehen und eine der Haupttodesursachen bei den Covid-19-Erkrankten.
Auch eine zunächst weniger dramatisch verlaufende Viruspneumonie kann sich im Verlauf verschlechtern. Das geschädigte Lungengewebe kann für andere Krankheitserreger, also Bakterien, empfänglich werden. Diese können zu einer Zweit-Lungenentzündung führen, einer bakteriellen Superinfektion.
Wie lässt sich die Viruspneumonie behandeln? Während wir bei bakteriellen Lungenentzündungen Antibiotika einsetzen können, haben wir nur gegen sehr wenige Viren wirksame Medikamente zur Verfügung. Auch das bei der Influenza eingesetzte Medikament kann meist nur den Verlauf abschwächen, aber nicht entscheidend verändern. Daher muss die Behandlung sich darauf konzentrieren, Komplikationen zu erkennen und gegen sie anzukämpfen.
Bei schweren Krankheitsverläufen können neben der Lunge auch andere Organe wie die Niere ausfallen oder der Kreislauf, also das ganze System zusammenbrechen. In der Intensivmedizin ersetzt die Beatmung, soweit möglich, das Lungenversagen, die Dialyse den Ausfall der Nierenfunktion, und kreislaufstützende Medikamente stabilisieren Blutdruck und Herzleistung. Ob die derzeit diskutierten Medikamente in der Prüfung Bestand haben werden, muss zum jetzigen Zeitpunkt offenbleiben.
Influenza und Covid-19 sind nicht dasselbe
All dies zeigt, wie ernst eine Virusinfektion der Lunge zu sehen ist. Die Bedeutung ist in der Medizin vor allem durch die jährliche Influenza-Pneumonie gut bekannt. Sie hat jedoch nie unsere Intensivstationen überlastet, wie es in vielen Ländern und schon in einigen Regionen in Deutschland der Fall ist. Influenza und Covid-19 unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht, auch wenn es beides Viruserkrankungen sind, die mit ähnlichen klinischen Bildern, der Lungenentzündung und all ihren Komplikationen, verbunden sind. Das Influenza-Virus hat die Eigenschaft, sich in jedem Jahr zu verändern. Daher ist auch in jedem Jahr die Schutzimpfung wieder neu wichtig.
Sars-CoV-2 dagegen trifft unser Abwehrsystem unvorbereitet. Antikörper hat in der Vergangenheit noch keiner bilden können, weil der Erreger für unser Immunsystem ganz neu ist. Das Virus ist hochansteckend, wie die weltweite, explosionsartige Ausbreitung zeigt. Wenn viele Menschen sich infizieren, gibt es leider auch viele, die ernsthaft erkranken und alle Möglichkeiten der Intensivtherapie brauchen. Diese können wir jedoch dem Einzelnen nur zur Verfügung stellen, wenn die Kapazitäten ausreichen.
Daher ist der Versuch so wichtig, die Epidemiewelle zu verzögern. Wir müssen in jeder Hinsicht Zeit gewinnen. Alles muss darangesetzt werden, Ansteckungen besonders gefährdeter Personen, alter Menschen, Menschen mit Organschwächen, zu vermeiden. Leider hört man hier und da das zynische Wort: „Covid-19 betrifft doch nur die Alten“. Dies ist keinesfalls der Fall. Wer jünger als 60 ist, ist keineswegs vor schweren Krankheitsverläufen sicher. Solche Fälle erleben wir in allen Ländern – auch bei uns.