Es gibt ein gewaltiges Haftungsrisiko: Fällt eine der Maschinen aus, ist der Patient tot Mit Druckluft gegen Corona
Schwere Fälle unter den Covid-19-Patienten können häufig nur mit künstlicher Luftzufuhr gerettet werden. Deswegen bastelt jetzt alle Welt an Beatmungsgeräten. Aber so einfach ist das leider nicht.
Not macht erfinderisch: Autohersteller, Produzenten von Staubsaugern und Turbinen, ja selbst Formel-1-Rennställe sind praktisch über Nacht zur großen Hoffnung im Kampf gegen das Coronavirus geworden. Die Unternehmen sollen die dringend benötigten Beatmungsgeräte herstellen, deren Einsatz bei schwer erkrankten Covid-19-Patienten häufig über Leben und Tod entscheidet. In den USA zum Beispiel soll Ford auf Anordnung von Präsident Donald Trump gemeinsam mit General Electrics in nur drei Monaten 50.000 dieser händeringend gesuchten Apparate vom Band rollen lassen. Auch in Frankreich leistet eine Gruppe von Firmen aus der Automobilbranche Hilfestellung, um die Krankenhäuser schnell mit 10.000 zusätzlichen Geräten zu versorgen. Und auch der zum VW-Konzern gehörende Hersteller Seat montiert in Spanien eine improvisierte Beatmungshilfe.
Man könnte also meinen, es sei alles nur eine Frage der Zeit, bis Zehntausende Beatmungsgeräte die Werkshallen verlassen. Aber das verkennt, wie kompliziert – und riskant – es in Wirklichkeit ist, eine entzündete Lunge mit Sauerstoff zu versorgen. Etwa einen halben Liter Luft atmet ein gesunder Erwachsener mit jedem Atemzug ein und aus, zehn bis 20 Mal in der Minute. Wenn diese natürliche Spontanatmung nicht mehr ausreicht, um dem Körper genug Sauerstoff zu- und das beim Atmen erzeugte Kohlendioxid abzuführen, muss künstlich beatmet werden.
Vereinfacht gesagt, drückt dabei eine Pumpe sauerstoffhaltige Luft in die Lungen und verdrängt Wasser aus den Lungenbläschen. Bei einer Lungenentzündung, wie sie auch durch die Coronaviren ausgelöst werden kann, schwillt das die Lungenbläschen umgebende Gewebe an und behindert dadurch den Gasaustausch. Ziel der Beatmung ist es, stets einen Rest von Druck in der Lunge aufrechtzuerhalten, damit die Bläschen ihre Aufgabe erfüllen können und möglichst viel Sauerstoff aufgenommen werden kann.
Allerdings gibt es zwei grundsätzlich unterschiedliche Formen der künstlichen Beatmung, die in ihrer Komplexität kaum vergleichbar sind: Zum einem die simple Atmungsunterstützung mittels einer Überdruckmaske, im Fachjargon nichtinvasive Beatmung genannt. Ihre einfachste Form sind Masken mit einem Gummibeutel, der beim Zusammendrücken Luft in die Lunge des Patienten presst. Zum anderen die invasive Beatmung, bei der der Patient maschinell mit einer genau kalkulierten Luftmenge und unter ständig angepasstem Druck versorgt wird.
Es sind vor allem die vergleichsweise simplen Atemhilfen der ersten Kategorie, an denen jetzt überall herumgetüftelt wird. Mit ihnen lassen sich weniger schwer erkrankte Patienten durchaus gut behandeln, sie sind technisch weniger aufwendig und binden weniger hochqualifiziertes Personal für die Bedienung, was Kapazitäten für die wirklich schweren Fälle freischaufelt. Eigentlich muss nur der korrekte Sitz der Maske kontrolliert werden. Technisch ganz banal ist aber selbst diese Methode nicht, denn für den Einsatz der Masken kann nicht einfach Umgebungsluft verwendet werden; sie muss mit Filtern und Kompressoren zunächst gereinigt und entfeuchtet werden.
Die Beatmungsgeräte der zweiten Kategorie bleiben dagegen eine Sache für Spezialisten, sowohl die Herstellung als auch was die Bedienung betrifft. Diese Maschinen unterstützen nicht nur, sie übernehmen den kompletten Atemvorgang des Patienten. Dieser wird dafür intubiert, das heißt, ein Schlauch wird ihm über Mund oder Nase bis in die Luftröhre geschoben. In besonderen Fällen kann ein kleiner Schnitt im Hals dem Arzt auch direkt Zugang zur Luftröhre verschaffen. In der Regel wird der Patient für die Dauer der Beatmung narkotisiert und in ein künstliches Koma versetzt. Er muss dann künstlich ernährt werden und erhält einen Blasenkatheter, Medikamente regulieren die Herzleistung – Intensivmedizin im wahrsten Sinne des Wortes also.
Das Personal, das diese Apparate bedient, muss nicht nur über medizinisches Fachwissen, sondern auch über technische Kenntnisse verfügen. Die mikroprozessorgesteuerten Geräte der letzten Generation sind darauf ausgelegt, die Patienten immer nur gerade so stark zu beatmen wie unbedingt nötig. Das Ziel ist es, die Spontanatmung so früh wie möglich wieder zuzulassen. Dafür messen die Geräte unablässig das Atemvolumen und passen den Beatmungsdruck in Abständen von Millisekunden entsprechend an. Das geschieht alles vollautomatisch, trotzdem muss der Arzt auf einem Monitor kontinuierlich rund 20 Messwerte beobachten, um gegebenenfalls eingreifen zu können.
Es gibt weltweit nur eine Handvoll Hersteller, die solche Hightech-Geräte herstellen, die pro Stück mehrere Zehntausend Euro kosten und einer intensivenWartung bedürfen sowie einer nicht weniger intensiven Schulung für das Bedienpersonal. Es wäre also naiv zu glauben, statt des neuen Golfs könnten bei Volkswagen schon bald Beatmungsgeräte von den Bändern laufen. Viele Technologie-Konzerne verfügen über sehr fähige Ingenieure, aber hier geht es um Spezialwissen und im Übrigen auch um ein gewaltiges Haftungsrisiko: Fällt nämlich eine der Wundermaschinen im Einsatz aus, ist der Patient in der Regel tot.
Trotzdem kann die Industrie helfen. Durch die Fertigung einfacherer Beatmungsgeräte, aber auch durch die Zulieferung strategischer Bauteile. Denn durch die explosionsartige Zunahme der Nachfrage nach Beatmungsgeräten, sind einige Komponenten auf demWeltmarkt knapp geworden, so dass manche Medizintechnikhersteller derzeit nicht ihre volle Produktionskapazität ausreizen können. Solche Lücken ließen sich zum Beispiel durch nachgefertigte Teile aus dem 3-D-Drucker schließen. Wie gesagt: Not macht erfinderisch.