Die lange Geschichte der größten Kirmes am Rhein
Das letzte Verbot der Rheinkirmes liegt mehr als 70 Jahre zurück, als die Besatzungsmacht einen Massenansturm fürchtete. Ein viel früheres Verbot aber hat dem Volksfest den Weg zu seinem Erfolg erst geebnet.
Trotzig läuft der Countdown für das Schützen- und Heimatfest 2020 auf der Webseite des St. Sebastianus-Schützenvereins Düsseldorf weiter. Seit Mittwoch zählt der Ticker allerdings die Zeit für ein Ereignis herunter, das es nicht geben wird. Jedenfalls nicht in der geplanten Form. Das Verbot für alle Großveranstaltungen bis Ende August trifft auch die Größte Kirmes am Rhein, die traditionell im Juli stattfindet.
Das letzte Verbot zur Abhaltung der Rheinkirmes liegt über 70 Jahre zurück. 1946 durften die Schützen auf dem Marktplatz einen neuen König investieren und anschließend in einem Festzelt auf dem Staufenplatz feuchtfröhlich begrüßen. Eine Woche später sollte auf den Oberkasseler Rheinwiesen die Kirmes eröffnet werden. Dazu kam es aber nicht. Die britische Besatzungsbehörde verweigerte die Genehmigung. Nach den Entbehrungen des Zweiten Weltkrieges wurde ein Besucheransturm auf das linksrheinische Rheinufer befürchtet, der über die parallel zur zerstörten Oberkasseler Brücke angelegten Pontonbehelfsbrücke nicht hätte bewältigt werden können. Die Düsseldorfer waren über das Kirmesverbot sehr enttäuscht, hatten sie doch schon in den Kriegsjahren 1940 bis 1945 auf alle Kirmesfreuden verzichten müssen. Erst 1947 durften die Kirmesschausteller ihre Buden und Fahrgeschäfte in Düsseldorf wieder aufbauen. Bis 2019 ohne jede Unterbrechung, was keine Selbstverständlichkeit ist. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts etwa war die Düsseldorfer Kirmes ein ganzes Jahrzehnt am Stück verboten: Erster Weltkrieg, Revolution, Französische Besatzung.
Die Kirmesgeschichte ist reich an Verboten. Und doch gehört dazu auch eines, dass, wäre es 1875 nicht ausgesprochen worden, vielleicht dazu geführt hätte, dass heute in Düsseldorf nicht die „Größte Kirmes am Rhein“sondern nur die „Kleinste Kirmes am Rhein“stattfindet.
Bis vor etwa 150 Jahren waren Schützenfest und Kirmes zwei Veranstaltungen, die überhaupt keinen Bezug zueinander hatten. Beide Feste waren im Mittelalter unabhängig voneinander entstanden: Das Schützenfest aus dem Vogelschießen der seit 1435 bezeugten Sebastianusbruderschaft, die Kirmes aus dem Kirchweihfest, das in Düsseldorf seit Alters am Patronatstag des Hl. Apollinaris begangen wird.
Am Beginn der Verschmelzung beider Traditionsfeste steht die Angst um den Erhalt des mühsam gepflegten Rasens im Hofgarten. Mit der Begründung, dass die „Anlagen dabei zu viel ruiniert würden“, verbot der Düsseldorfer Stadtrat 1875 den Sebastianern, ihr Schützenfest wie gewohnt im Hofgarten abzuhalten und wies ihnen die Golzheimer
Insel (heute Rheinpark) als neuen Festplatz zu. Was im ersten Augenblick wie eine Demütigung aussah – die Golzheimer Insel lag weit draußen vor der Stadt – entpuppte sich wenig später für die Schützen als Glücksfall der Geschichte.
Mit Beginn der Industrialisierung bekam die Düsseldorfer Kirmes, die lange Zeit nur als Ball- und Tanzveranstaltung in den einschlägigen Vergnügungslokalen stattfand, einen ganz neuen Charakter.Vor denWirtschaften wurden nunVerkaufs- und Losbuden aufgestellt und erste Unterhaltungs- und Fahrgeschäfte aufgebaut. Alles ohne Plan. Alles ohne Verbindung. Und in der Altstadt und der Carlstadt war kaum Platz. Platz satt war aber auf der Golzheimer Insel. Und so fanden Ende des 19. Jahrhunderts vor den Toren der Stadt zwei Düsseldorfer Traditionen zusammen, die sich jahrhundertlang fremd gewesen waren: Schützenfest und Kirmes. Das biedere Vogelschießen bekam mit den Kirmesgeschäften, die in immer größer Zahl auf der Golzheimer Insel aufgebaut wurden, neues Leben eingehaucht, die unorganisierte Kirmes bekam endlich einen Kümmerer. Wann genau der Sebastianusverein zum Kirmesvater wurde, ist nicht überliefert. Spätestens bei der Verlegung des Schützen- und Volksfestes von der Golzheimer Insel auf die Oberkasseler Rheinwiesen im Jahre 1901 hatte der Verein aber die Düsseldorfer Kirmes adoptiert.
Am Ende ist es nur eine Spekulation: Aber wären die Schützen 1875 nicht aus dem Hofgarten verbannt worden, hätten wir heute in Düsseldorf vielleicht Kölner Verhältnisse: Ein Dutzend Volksfeste in den Stadtteilen und in der Altstadt die „Kleinste Kirmes am Rhein“.