Lieblingsfeind
Der Microsoft-Gründer ist eine Hassfigur der Verschwörungstheoretiker und Impfgegner – im Netz und der echten Welt. Ein Vorwurf: Gates soll bereits vor Ausbruch der Pandemie von ihr gewusst haben.
Video ist nicht lang, weniger als neun Minuten. Doch der Inhalt hat es in sich. Bill Gates, Mitgründer des Software-Konzerns Microsoft, arbeite daran, durch Impfungen und andere medizinische Maßnahmen die Weltbevölkerung um mehrere Milliarden Menschen zu reduzieren, sagt ein Mann im blauen Polo-Hemd in die Kamera. Der Milliardär agiere, „als sei er Gott“, dabei handle er wie „der Antichrist“. Man könnte den Clip für eines der vielen Unsinnsvideos im Internet halten, doch offensichtlich trifft es einen Nerv. Seitdem er Ende März auf Youtube hochgeladen wurde, haben ihn fast zwei Millionen Menschen angeklickt. Tendenz steigend.
Auch andere Beiträge mit ähnlichen Inhalten ziehen Hunderttausende Zuschauer an. Hinzu kommen Tweets, Blogbeiträge und Kommentare. Eine Analyse der Zignal Labs vom April zeigt, dass keine andere Person in der Corona-Krise so viel Hass auf sich zieht. Zeitweise wurden mehr als 18.000 negative Kommentare über Gates abgegeben. Pro Tag.
Längst haben die wirren Thesen das Netz verlassen. Anti-Gates-Transparente gehören auf Corona-Demos zum Standard. In der Corona-Krise ist der Milliardär zum Ziel geworden. Impfgegner und andere Verschwörungstheoretiker sehen ihn als zentrale Figur des Covid-19-Ausbruchs, als Strippenzieher, der hinter den Kulissen den Tod von Millionen Menschen orchestriert, um Allmachtsfantasien auszuleben.
Die Belege für ihre Ideen sind dünn. Eine Rede aus dem Jahr 2015 über die Gefahr einer globalen Pandemie dient als Beleg dafür, dass Gates angeblich vorab von dem Ausbruch wusste. Ein Patent mit Bezug zu einem Coronavirus, das ein britisches Institut angemeldet hatte, als Beweis, dass er finanziell von der Krankheit profitiert. Das Institut war durch die „Bill & Melinda Gates Foundation“unterstützt worden, das wichtigste Spenden-Vehikel des Milliardärs. Allerdings bezieht sich das Patent nicht auf Covid-19, sondern auf einen anderen Strang des Erregers, der in Geflügel vorkommt.
Dass Gates dennoch in den Fokus der Internettrolle rückte, ist vermutlich kein Zufall. Der Milliardär hat sich öffentlich als Gegner von US-Präsident Donald Trump zu erkennen gegeben. Ein Schritt, der in Trump-freundlichen Kreisen, die an den Rändern teils verschwörungstheoretisch geprägt sind, nicht gut ankam. Ohne das Staatsoberhaupt zu nennen, kritisierte Gates zuletzt immer wieder das Handeln der Administration in der Krise. „Es steht außer Frage, dass die Vereinigten Staaten die Gelegenheit verpasst haben, dem neuen Coronavirus zuvorzukommen“, schrieb er Ende März in der„Washington Post“. Auch dass die USA ihre Zahlungen an die WeltgesundheitsorganisationWHO zurückhalten, bezeichnete er als „gefährlich“. Dass Gates dem Präsidenten intellektuell nicht viel zutraut, war bereits vor zwei Jahren bekannt geworden. Damals wurde einVideo öffentlich, in dem er sich über Trumps Unfähigkeit lustig macht, zwischen HIV und dem HP-Virus zu unterscheiden, das zu Gebärmutterhalskrebs führen kann. Jetzt verstärken dem Präsidenten nahestehende Medien wie Fox News die Verschwörungstheorien über den Milliardär.
Gates schriebWirtschaftsgeschichte, als er 1975 mit Paul Allen Microsoft gründete. Der Konzern stieg zum größten Softwarehersteller der Welt auf, verschaffte Gates ein Privatvermögen von mehr als 100 Milliarden Dollar. Laut „Forbes“ist er aktuell der zweitreichste Mensch der Welt. Doch sein Aufstieg war immer auch von Kritik begleitet. Microsoft spiele seine Marktmacht unfair aus, so einVorwurf, nutze sein Quasi-Monopol, umWettbewerber kleinzuhalten. Sowohl in den USA als auch in Europa liefen Kartell-Verfahren gegen das Unternehmen. Gates reagierte kämpferisch – eine Herangehensweise, die Microsoft womöglich vor der Zerschlagung rettete, aber das Bild des Chefs in der Öffentlichkeit durchaus leiden ließ.
Nachdem er sich vor 20 Jahren vom Microsoft-Chefsessel zurückgezogen hatte, konzentrierte Gates sich auf wohltätige Arbeit. Im Jahr 2000 nahm die„Bill & Melinda Gates Foundation“ihre Arbeit auf. Die Stiftung verfügt über einen Kapitalstock von fast 50 Milliarden Dollar. Sie gehört zu den finanziell am besten ausgestatteten Philanthropie-Organisationen der Welt. Weit oben auf der Prioritätenliste steht die Verbesserung der Gesundheitsversorgung in der Dritten Welt. In den vergangenen Jahren hat sie Milliarden Dollar in die Bekämpfung von Krankheiten von Malaria, Tuberkulose und anderen Infektionskrankheiten gesteckt. Zu diesem Zweck unterstützt die Foundation auch die Entwicklung und Verbreitung von Impfstoffen.
Laut Meinungsforschungsinstitut Yougov haben fast 60 Prozent der Amerikaner ein positives Bild von Bill Gates. Keine andere Persönlichkeit mit einem Wirtschaftshintergrund genießt höheres Ansehen. In Impfgegnerkreisen entwickelte er sich hingegen durch die Arbeit seiner Stiftung zum Feind. Dass diese Einstellung mittlerweile nicht nur in den klebrigeren Ecken des Internets verbreitet ist, bewies zuletzt Robert F. Kennedy jr. Der Sohn des ehemaligen US-Justizministers und Senators schimpfte kürzlich auf Instagram über Gates und die Bemühungen der Foundation, einen Impfstoff für Covid-19 zu entwickeln. Die Zahl seiner Follower legte daraufhin um mehr als 100.000 zu.