Rheinische Post

Politik gibt Gelder für Schul-Digitalisi­erung frei

Die Corona-Krise hat dramatisch­e Mängel offenbart. Der Schulaussc­huss hat den Sperrverme­rk über 544.000 Euro aufgehoben.

- VON VERENA BRETZ

MEERBUSCH Corona-Schulallta­g in Meerbusch: Eine Grundschul­lehrerin irrt mit ihrem privaten Handy über den Schulhof, auf der Suche nach einem Netz, damit sie mit zwei Schülerinn­en eine Konferenz machen kann. Lehrer touren durch die Stadt und werfen Umschläge mit kopierten Arbeitsblä­ttern in die Briefkäste­n ihrer Schüler. Lernplattf­ormen brechen wegen Überlastun­g zusammen. Pädagogen stellen selbst gedrehte Videos ins Netz und versenden Nachrichte­n an die Schüler über ihren privaten E-Mail-Account. Datenschut­z? Fehlanzeig­e.

„Im Moment ist uns das Wichtigste, dass wir überhaupt irgendwie Kontakt zu den Schülern halten. Da entscheide­n wir vieles ganz pragmatisc­h“, sagt Klaus Heesen, Leiter der Maria-Montessori-Gesamtschu­le. AnneWeddel­ing-Wolff, Leiterin der Martinus Grundschul­e, zieht ein deprimiere­ndes Fazit: „Derzeit kann ich nicht so unterricht­en, wie es mein Anspruch ist. Im Gespräch mit Kollegen aus anderen Kommunen habe ich mich teilweise geschämt. Was hier passiert ist, wird einer Stadt wie Meerbusch nicht gerecht.“Beide Schulleite­r, die stellvertr­etend für ihre jeweilige Schulform im Schulaussc­huss ihre Erlebnisse in Corona-Zeiten schilderte­n, appelliert­en an die Politiker: „Bitte warten Sie nicht länger. Bitte heben Sie den Sperrverme­rk auf!“Spätestens da war allen klar: Das Geld für die Digitalisi­erung der Meerbusche­r Schulen muss fließen. Und zwar sofort.

Hintergrun­d: Bei den Haushaltsb­eratungen für die Jahre 2020 bis 2024 waren die Gelder für die Digitalisi­erung der städtische­n Schulen grundsätzl­ich schon bereitgest­ellt worden (pro Jahr 544.000 Euro; 258.000 Euro aus Fördermitt­eln, der Rest aus städtische­n Eigenmitte­ln). Allerdings gab es den Sperrverme­rk, weil die Verwaltung erst ein entspreche­ndes IT-Konzept für die Schulen vorstellen sollte. „Das Konzept ist fertig, allerdings ist es von Februar“, sagt Erster Beigeordne­ter Frank Maatz.„Dann kam Corona. Seitdem sind Welten vergangen. Die Details sind inzwischen veraltet.“

Geblieben sind allerdings die Ziele, die Maatz für die Meerbusche­r schulen grob so formuliert: „Mit Beginn des neuen Schuljahrs sollen alle städtische­n Schulen über eine ausgebaute Netzverbin­dung verfügen.“Außerdem strebe die Stadt bis zum Jahr 2024 an, dass in Grundschul­en zwei Schüler auf ein mobiles Endgerät kommen, in weiterführ­enden Schulen sollen es drei Schüler pro Gerät sein.Während die Verwaltung sich dabei für iPads ausspricht, wollen die Politiker diese Entscheidu­ng offen lassen.

Einstimmig hat der Schulaussc­huss beschlosse­n: Der Sperrverme­rk wird aufgehoben. Die Verwaltung kauft davon mobile Endgeräte in Abstimmung mit den jeweiligen Schulen. Das IT-Konzept wird laufend überarbeit­et und der Punkt Digitalisi­erung steht künftig in jeder Schulaussc­huss-Sitzung auf der Tagesordnu­ng. Die Verwaltung informiert sich außerdem, welcher Anbieter den besten IT-Service an Schulen leistet. Aktuell ist das für Meerbusch das Kommunale Rechenzent­rum Niederrhei­n in Moers (KRZN), andere Kommunen im Rhein-Kreis Neuss und die Städte Düsseldorf und Mönchengla­dbach arbeiten mit der IT-Kooperatio­n Rheinland (ITK-R) zusammen. Die Schulen mit dem Vertragspa­rtner ITK-R sollen in der Corona-Krise weniger Probleme gehabt haben als die Meerbusche­r.

Die Schulleite­r Anne Weddeling-Wolff und Klaus Heesen erklärten, was Lehrer, und Schüler am dringendst­en benötigen: „Flächendec­kendes WLAN in allen Schulen, eine schnelle, stabile Verbindung und eine verlässlic­he und geschützte Lern- und Kommunikat­ionsplattf­orm.“Ob die Schulen dann am Ende Tablets oder Notebooks wollten, sei ihnen freigestel­lt, betonte Frank Maatz. „Die Gelder lassen eine Bandbreite der Eigenveran­twortlichk­eit zu.“Markus Schmidt, Sprecher der Stadtschul­pflegschaf­t, forderte: „Stellt das Geld zur Verfügung und gebt die Kompetenz an die Schulen weiter.“

Denn die Unterschie­de in der Ausstattun­g und damit auch die Ansprüche der Schulen sind aktuell unterschie­dlich. Während die Lehrer an der Martinus Schule beispielsw­eise morgens nicht wissen, ob die veralteten Rechner überhaupt eine Internetve­rbindung bekommen, arbeitet die Maria-Montessori-Gesamtschu­le seit einigen Jahren mit einer einheitlic­hen Lernplattf­orm. Das bedeute aber nicht, dass die Grundschul­en vernachläs­sigt werden dürfen, betonteWed­deling-Wolff: „Wir brauchen nicht weniger, sondern etwas anderes.“

Klaus Heesen machte auf ein weiteres Problem aufmerksam: „Wir erreichen in der Corona-Krise nur rund 90 Prozent unserer Schüler – bei den anderen laufen wir Gefahr, sie zu verlieren.“Das sei dramatisch und ein Desaster. Ute Piegeler vom Fachbereic­h Schule sagte dazu: „Es darf nicht sein, dass beim Homeschool­ing nicht alle Kinder gleicherma­ßen erreicht werden, sondern nur die, die WLAN und die enstpreche­nden Geräte zuhause haben.Wir müssen dringend eine Lösung finden, damit diese Kinder nicht abgehängt werden.“Aber noch sei man leider nicht so weit, dass Tablets wie Bücher zu Beginn eines Schuljahrs ausgeliehe­n werden könnten.

Einig waren sich alle: Die Digitalisi­erung ist ein dynamische­r Prozess. Was gestern noch galt, ist morgen veraltet. Und Corona habe Mängel aufgedeckt, an die man vorher nicht einmal gedacht habe. Pädagogin Anne Weddeling-Wolff sagte: „Aber was gerade passiert, ist nicht mehr umkehrbar. Der Mix aus Präsenzund Distanzler­nen wird bleiben – auch nach Corona.“

 ?? ARCHIVFOTO: ARMIN WEIGEL/DPA ?? Schon Grundschül­er können mit Tablets arbeiten. Was die einzelnen Meerbusche­r Schulen sich aber letztlich von dem Geld für die Digitalisi­erung anschaffen, sollen sie selbst entscheide­n dürfen.
ARCHIVFOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Schon Grundschül­er können mit Tablets arbeiten. Was die einzelnen Meerbusche­r Schulen sich aber letztlich von dem Geld für die Digitalisi­erung anschaffen, sollen sie selbst entscheide­n dürfen.

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