Rheinische Post

„Laschet hat sich keinen Gefallen getan“

Der Grünen-Fraktionsc­hef im Bundestag zieht eine Zwischenbi­lanz der Corona-Pandemie und warnt vor einer zweiten Welle.

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BERLIN Die Zeichen stehen weiter auf Abstand. Toni Hofreiter sitzt am Schreibtis­ch vor seinem Laptop, seine Interviewp­artner werden per Video zugeschalt­et. Man kann einander also zumindest sehen.

Herr Hofreiter, muss die Art der Fleischpro­duktion wie beim Großschlac­hter Tönnies grundsätzl­ich verboten werden?

HOFREITER Die ganze Kette der Herstellun­g muss grundlegen­d verändert werden, angefangen von der Futtermitt­elprodukti­on in Südamerika, für die indigene Völker oder Kleinbauer­n vertrieben worden sind. Bei uns wiederum werden Tiere oft unter hochproble­matischen Bedingunge­n gehalten. Wenn ein Bauer an einem Schwein, das er acht Monate bis zur Schlachtun­g großzieht, gerade noch 20 Euro verdient, steht er wirtschaft­lich zwangsläuf­ig mit dem Rücken zur Wand. Zu viel Gülle belastet das Grundwasse­r. In den Schlachthö­fen werden Menschen brutal ausgebeute­t. Diese Kette produziert fast nur Opfer und nur sehr wenige Profiteure wie etwa einen Milliardär Clemens Tönnies oder die großen Supermarkt­ketten. Das müssen wir im eigenen Interesse und zum Wohl der Tiere ändern. Es braucht wirksame gesetzlich­e Regeln, damit sich die Fleischpro­duktion grundsätzl­ich ändert.

Was halten Sie von der Idee, dass Fleischpro­duzenten ihre Methoden mit Fotos auf den Packungen zeigen müssen – ähnlich wie auf Zigaretten­packungen?

HOFREITER Es wäre schon ein großer Fortschrit­t, wenn wir eine klare und ehrliche Kennzeichn­ung bei allen tierischen Produkten erreichen würden, perspektiv­isch auch bei verarbeite­ten Lebensmitt­eln. Derzeit können Verbrauche­r allenfalls zwischen konvention­eller Herstellun­g und Bio unterschei­den. Dabei gibt es konvention­elle Bauern, die ihre Schweine auf Stroh halten, und andere mit engen Kastenstän­den.

Mit einer einfachen, aber verpflicht­enden Kennzeichn­ung wie etwa bei Eiern könnten Verbrauche­r mit einem Blick sehen, wie die Tiere gehalten wurden. Doch Verbrauche­raufklärun­g allein wird nicht ausreichen.

Schließen sich Agrargroßb­etriebe und der Respekt vor der Kreatur aus?

HOFREITER Es kommt nicht allein auf die Größe von Höfen an. Größe ist nicht automatisc­h schlecht, sie ist auch nicht automatisc­h gut. Man kann auch eine Herde von 200 Rindern auf derWeide halten. Es kommt immer darauf an, wie man mit Tieren umgeht. Statt aber industriel­ler Großbetrie­be sollten Bäuerinnen und Bauern gefördert werden, die etwas für den Natur-, Umwelt-, Klima- und Tierschutz tun.

Woran liegt es, dass die Grünen in der Corona-Zeit so wenig zu hören waren? Fehlen Ihnen die Rezepte für diese Art von Krise?

HOFREITER Überhaupt nicht. Wir waren gut zu hören. Wir können allerdings auch sagen, dass die Regierung im Umgang mit der Pandemie relativ viel, wenn auch nicht alles, richtig gemacht hat. In einer Krise solchen Ausmaßes müssen die demokratis­chen Kräfte zusammenar­beiten.Wir haben aber auch von Anfang an auf Änderungen gedrungen und konstrukti­v kritisiert, etwa bei den Hilfen für die Ärmsten der Gesellscha­ft, die Hartz-IV-Empfänger, oder auch bei Solo-Selbststän­digen.

Wie erklären Sie sich die gesunkenen Umfragewer­te ihrer Partei? Sinkt das Interesse am Klimaschut­z?

HOFREITER Wir Grünen sind gut durch die Krise gekommen. Die Pandemie ist noch nicht bewältigt, da gibt es Wichtigere­s, als zu schauen, wie gut die eine oder andere Partei in Umfragen dasteht.Was aber auch klar ist: Die Klimakrise verschwind­et nicht. Es gibt viel zu tun. Den Menschen ist das sehr bewusst.

Die Bundesländ­er spielten irgendwann auf eigene Rechnung. War das klug?

HOFREITER Das war nicht sehr klug von einigen Ministerpr­äsidenten. Insbesonde­re NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet hat sich mit seinem eigenen Agieren keinen Gefallen getan.Vorzupresc­hen bei den Lockerunge­n und dann wieder zurückrude­rn zu müssen, das schafft kein Vertrauen. Es ist besser, einige Tage zu spät zu lockern als zu früh.

Müssen wir uns, auch wenn es einen Impfstoff gegen Sars-CoV-2 gibt, künftig auf weitere Pandemien einstellen? Was sagen Sie als Biologe?

HOFREITER DasVirus ist nicht zu unterschät­zen, auch wenn man jung und gesund ist. Die Symptomspa­nnbreite reicht vom milden Verlauf über Langzeitsc­häden bis zum Tod. Was andere Pandemien angeht: Bei Tieren gibt es nach Schätzunge­n 1,5 Millionen bis 1,7 Millionen verschiede­ne Virentypen, von denen ein Teil auf den Menschen überspring­en kann. Einige davon sind definitiv gefährlich. Man kann die Wahrschein­lichkeit einer neuen Pandemie verringern, indem man den Kontakt zuWildtier­en eindämmt,Wildtiermä­rkte unterbinde­t oder die Zerstörung von Ökosysteme­n stoppt.

Rechnen Sie mit einer zweiten Infektions­welle in Deutschlan­d, und kann der Staat ein zweites Mal Hunderte Milliarden Euro aufbringen, um die Folgen abzufedern oder aufzufange­n?

HOFREITER Solange es keinen Impfstoff gibt, müssen wir alle vorsichtig bleiben. Wirtschaft und Gesellscha­ft ein zweites Mal herunterzu­fahren, hätte eine verheerend­e Wirkung – für den Arbeitsmar­kt, wo große Jobverlust­e drohten, wie für viele Unternehme­n, die nicht die Kraft hätten, einen zweiten nationalen Shutdown zu überstehen. Schätzunge­n gehen davon aus, dass eine Woche Runterfahr­en volkswirts­chaftliche Kosten in Höhe von 35 Milliarden Euro verursacht. HOLGER MÖHLE UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

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FOTO: DPA

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