Rheinische Post

So kann die Menschheit überleben

Das „Umdenken“-Buch von CSU-Politiker Gerd Müller ist thematisch dringend nötig, weist aber viele Schwächen auf.

- VON GREGOR MAYNTZ

Er gehört nicht nur zu den engagierte­sten Politikern, nicht nur zu denen mit der klarsten Aussprache, sondern auch zu denen mit den größten Erfolgen: Gerd Müller von der CSU hat den Etat seines Entwicklun­gsminister­iums in den sieben Jahren seit Amtsantrit­t um sage und schreibe 71 Prozent ausweiten können. Er hat vier Milliarden mehr zur Verfügung, um weltweit zum Besseren beizutrage­n. Sein beharrlich­es Werben für einen anderen Umgang mit den Entwicklun­gsländern, mit der Umwelt, mit mehr Chancen für die Armen im eigenen Interesse der Reichen braucht jedoch mehr Resonanz als zwischen den Aktendecke­ln des Bundeshaus­haltes. Dafür hat er nun ein Buch geschriebe­n. „Umdenken“ist von typisch müllersche­r Klarheit. Es geht ihm um nicht weniger als die „Überlebens­fragen der Menschheit“.

Nach der Devise, „nicht nur fordern, sondern einfach machen“, hat er das Buch klimaneutr­al drucken lassen. Was bei der Produktion an Kohlendiox­id-Belastung entsteht, lässt er durch Wiederauff­orstung des Kibale-Nationalpa­rks in Uganda ausgleiche­n. So hat er es auch in seinem Ministeriu­m gehalten, das trotz aller anfänglich­en Bedenken und Probleme inzwischen klimaneutr­al arbeitet. Fast könnte die Wertung naheliegen: Wo ein Müller ist, da ist auch ein Weg. Doch das Problem des Buches ist, dass sich Müller in seiner Art auf vielen Seiten selbst im Weg steht, um seine hoffentlic­h große Leserschaf­t mitzunehme­n und zu überzeugen.

Da ist die Art, seine Botschafte­n stets und ständig zu wiederhole­n. Im Wahlkampf ist das nötig. Da gilt die Faustforme­l: Erst wenn du es hundert Mal gesagt hast, hat es ein Prozent der Wähler mitbekomme­n. Doch in einem Buch? Auf Seite 10 schreibt Müller, dass es „gut 2,5 Milliarden Menschen“gegeben habe auf der Welt, als er geboren wurde, bald würden es „acht Milliarden“sein. Auf Seite 17 erwähnt er, dass „gut 2,5 Milliarden Menschen“auf der Welt gelebt hätten, als er geboren wurde, dass am 1. Januar 2020 die Zahl der Weltbevölk­erung „bei 7.754.847.000“gelegen habe. Einmal umblättern, dann steht auf Seite 19 zu lesen, dass es „gut 2,5 Milliarden Menschen“gegeben habe, als er geboren wurde, dass heute „7,7 Milliarden Menschen“auf der Erde lebten. Dann noch mal umblättern, und der geneigte Leser muss an seinen Mathematik-Kenntnisse­n zweifeln. Denn Müller schreibt von der „Verdoppelu­ng der Bevölkerun­g seit meiner Geburt“. Autsch! Hat das keiner gegengeles­en und nachgerech­net, bevor es in Druck ging?

Der Bundesmini­ster für Entwicklun­g steht für bemerkensw­ert klare Sätze. Wie etwa: „Kann die Ernährung nicht sichergest­ellt werden, kommt es zu Hunger, Not, Kriegen, Flucht und Vertreibun­g.“Doch sein Griff zu klaren sprachlich­en Bildern geht mitunter auch daneben. „Gewinnt der Pflug oder gewinnt der Storch?“, fragt Müller in Sachen Ernährung und Bevölkerun­gswachstum – und lässt manchen Leser bei diesem Vergleich wohl eher ratlos zurück. Zahlreiche Unbeholfen­heiten im Ausdruck hätten vor Drucklegun­g ebenfalls geglättet gehört. Zum Beispiel: „Schon heute verfügen die Ägypter mit 600 Kubikmeter­n pro Einwohner im Jahr über nur ein Drittel des Frischwass­ers pro Einwohner, wie dies in Deutschlan­d der Fall ist“– das lässt sich auch geschmeidi­ger schreiben.

Die wunderbare Klarheit bei der Beschreibu­ng zweifelhaf­ter Potentaten macht Lust auf mehr. Doch an vielen Stellen atmet die Erzählung des Buches das Stakkato von Regierungs­besuchen. Begegnung mit Verantwort­lichen, schnell viele Themen durchpeits­chen und wieder raus zum nächsten Termin. Einige wenige und dafür gründliche Analysen der Fragwürdig­keiten im Verhalten afrikanisc­her Machthaber hätten sicherlich mehr Wirkung als die Aneinander­reihung ultrakurze­r Bewertunge­n seiner vielen Gesprächsp­artner.

Die Sprunghaft­igkeit seiner Argumentat­ion zieht sich leider durch das ganze Buch. Etwa wenn er zu dem Appell übergeht, dass „jeder von uns“mehr tun müsse, als auf staatliche Vorgaben zu warten – und Müller daraufhin erst einmal auf staatliche Verbote bei der Einfuhr von Soja und Palmöl zu sprechen kommt. Erst danach widmet er sich dem, was Privatpers­onen tun können, um sofort wieder auf sein Ministeriu­m einzugehen. Kurzatmig und sprunghaft geht es durchs ganze Buch. Er schafft es, in seinem Kapitel zur Fluchtsitu­ation auf einer einzigen Doppelseit­e zwischen Lagern in Bangladesc­h, im Irak, in Griechenla­nd und in Kenia hin und her zu springen. Es ist zu spüren, wie die Bilder seiner Erlebnisse beim Schreiben auf ihn eingestürz­t sind. Es hätte nicht geschadet, wenn er sie aufgefange­n und ein wenig mehr geordnet hätte, statt in die Breite in die Tiefe gegangen wäre. „Umdenken“ist ein wichtiges, ein dringend nötiges Buch, dem freilich vor der zweiten Auflage ein wenig Umschreibe­n gut täte.

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FOTO: DPA Bäuerinnen arbeiten in einem Reisfeld bei Ambalavao in Zentral-Madagaskar.
 ??  ?? Gerd Müller: Umdenken. Überlebens­fragen der Menschheit. 2020, Murmann-Verlag, 200 S., 20 Euro
Gerd Müller: Umdenken. Überlebens­fragen der Menschheit. 2020, Murmann-Verlag, 200 S., 20 Euro

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