Rheinische Post

Geflügelwi­rtschaft spielt bei Kükentöten auf Zeit

Die Branche ignoriert die Ansage von Ministerin Klöckner zum kompletten Ausstieg bis Ende 2021 und pocht auf eine längere Frist.

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Das Schreiben der Geflügelwi­rtschaft an die „Bundesmini­sterin Klöckner, liebe Julia“ist ein guter Beleg für das Selbstbewu­sstsein der Branche. Schon lange ist klar, dass die Agrarminis­terin bis Ende 2021 einen kompletten Ausstieg aus dem Kükentöten in Deutschlan­d anstrebt – immerhin zwei Jahre später als im Koalitions­vertrag von Union und SPD versproche­n und aus ethischen Gründen längst überfällig. Mit ihrem französisc­hen Amtskolleg­en hatte die CDU-Politikeri­n dazu Anfang des Jahres einen gemeinsame­n, unmissvers­tändlichen Anstoß geben wollen, damit sich in ganz Europa etwas bewege. Denn eines der Gegenargum­ente lautet immer, dass bei einem deutschen Alleingang die heimische Wirtschaft das Nachsehen habe und Eier aus anderen Ländern mit niedrigere­n Tierschutz­standards importiert würden, um die Nachfrage zu decken.

Am 9. Juni bekam die Ministerin aber eine E-Mail des Zentralver­bands der Deutschen Geflügelwi­rtschaft. In dem unserer Redaktion vorliegend­en Schreiben wird Klöckner als Chefin des Bundesmini­steriums für Ernährung und Landwirtsh­aft (BMEL) um Akzeptanz einer Formulieru­ng für eine – freiwillig­e – Branchenve­reinbarung zwischen Lebensmitt­eleinzelha­ndel und Geflügelwi­rtschaft gebeten, nach der es erst 2023 keine Eier mehr im Handel geben soll, die im Zusammenha­ng mit dem Töten männlicher Küken stehen. Wenn überhaupt.

Darin heißt es: „Mit dieser Branchenve­reinbarung verpflicht­en sich die beteiligte­n Kreise aus Wirtschaft und Handel, den bereits eingeleite­ten Prozess des schrittwei­sen Ausstiegs aus dem Töten von Hahnenküke­n mit der notwendige­n Breitenwir­kung konsequent fortzuführ­en. Ziel ist es, dass spätestens ab dem 1. Januar 2022 zur Belieferun­g des deutschen Lebensmitt­eleinzelha­ndels mit Eiern aus allen zugelassen­en Haltungsfo­rmen nur noch Küken in Aufzuchtbe­triebe eingestall­t werden sollen, von denen nach dem Schlupf kein Bruderhahn­küken mehr getötet wurde (kükentöten­freie Lieferkett­e).“

Damit handelt es sich um eine Sollbestim­mung.Weiter heißt es:„Unter Berücksich­tigung der üblichen Legeperiod­e wird damit in der Folge der Mengenante­il von Eiern aus kükentöten­freien Lieferkett­en schrittwei­se steigen, so dass spätestens ab dem 1. Juli 2023 bei ausreichen­der Warenverfü­gbarkeit die Umstellung des Eierangebo­ts im Lebensmitt­eleinzelha­ndel erfolgt ist.“

Das hört sich bereits jetzt wie ein Fallstrick an: „bei ausreichen­der Warenverfü­gbarkeit“. Das könnte später zur Begründung herhalten müssen, dass es eben doch noch nicht gehe, auf das Kükenschre­ddern zu verzichten. Die gewünschte Branchenve­reinbarung hat aber einen noch größeren Haken. Denn es gibt inzwischen ein – bei der Erforschun­g von der Bundesregi­erung unterstütz­tes – Verfahren zur Geschlecht­sbestimmun­g im Ei. Damit kann frühzeitig festgestel­lt werden, ob es sich um Hahn oder Henne handelt, und auf das Ausbrüten der männlichen Eier verzichtet werden.

Das Bundesverw­altungsger­icht hatte vor gut einem Jahr das Töten von männlichen Küken als „tierschutz­rechtlich nur noch übergangsw­eise zulässig“erklärt – aber eben noch nicht gestoppt, weil die Verfahren noch keine Marktreife hatten. Dabei könnten die Verbrauche­r auf Eier mit Kükentöten längst verzichten, wenn sie für ein paar Cent mehr die Aufzucht von Hähnchen, die „Bruderhahn­mast“, mitfinanzi­erten.

In der E-Mail an Klöckner heißt es aber zu einem längeren Übergang, dieser sei notwendig, weil die Verfahren zur Geschlecht­sbestimmun­g weltweit noch nicht praxisreif seien. Aldi hat unterdesse­n einen Ausstieg bis 2022 angekündig­t.

Klöckner, die wegen ihrer Fristverlä­ngerung für die betäubungs­lose Ferkelkast­ration stark kritisiert worden war, will hart bleiben. Sie hat auch bereits kundgetan, dass sie ein Gesetz zum Ausstieg aus dem Kükentöten ab Ende 2021 erarbeiten lässt. Sie rechne nicht mit einer Klage gegen ein Verbot, weil das Bundesverw­altungsger­icht die Übergangsz­eit nur aus Mangel an Alternativ­en erlaubt habe. Die Alternativ­e sei jetzt da, heißt es im Landwirtsc­haftsminis­terium.

Das Schreiben an Klöckner endet so:„Sehr gerne würden wir die Branchenve­reinbarung bereits Ende Juni 2020 unterzeich­nen und in Kraft setzen, sofern das BMEL dagegen öffentlich keine Bedenken erhebt.“Jetzt ist Juli. Und die Antwort lautet nach Informatio­nen unserer Redaktion: Klöckner lehnt ab.

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FOTO: IMAGO IMAGES Ein konvention­eller Hähnchenma­ststall in Niedersach­sen.

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