Rheinische Post

„Das Dieselpriv­ileg muss schnell fallen“

Der Präsident des Umweltbund­esamtes fordert beim Klimaschut­z eine Vorbildrol­le von Deutschlan­d und mehr Rückgabemö­glichkeite­n für Elektrosch­rott.

- JAN DREBES FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Herr Messner, Sie hatten Ende Mai ein Konzept für ein Konjunktur­paket vorgelegt, von dem jetzt nur wenig umgesetzt wurde.Wie viel Umweltschu­tz steckt denn nun in den Milliarden­hilfen der Bundesregi­erung?

MESSNER Von den verabschie­deten Maßnahmen mit einem Volumen von rund 130 Milliarden Euro werden nach unseren Berechnung­en etwa 40 Milliarden in Vorhaben fließen, die den Umwelt- und Klimaschut­z sowie die Nachhaltig­keit voranbring­en. Das ist ein beachtlich­er Anteil. In den Stabilisie­rungspaket­en in der Finanzmark­tkrise 2008 und 2009 waren kaum grüne Elemente. Dieses Mal steht die Diskussion über Klimaschut­z und Nachhaltig­keit im Zentrum der Suche nach Zukunftspe­rspektiven für unsere Ökonomien in Europa.

Die Kaufprämie­n nur für Elektrofah­rzeuge stoßen auf Kritik, weil moderne Dieselauto­s eine bessere Ökobilanz aufweisen sollen. Wie passt das zusammen?

MESSNER Tatsächlic­h haben E-Autos heute noch den Nachteil, dass beispielsw­eise die Rohstoffe für die Batterien unter ökologisch und sozial schlechten Bedingunge­n gewonnen werden. Und bislang kommt der Strom zum Aufladen noch nicht zu 100 Prozent aus erneuerbar­en Energien. Trotzdem war es richtig, Verbrenner von den Prämien auszuschli­eßen. Das Ziel, bis 2050 auch den Verkehrsse­ktor auf null Emissionen zu bringen, gilt unumstößli­ch. Prämien für Verbrenner hätten das konterkari­ert.

Bis wann muss das Dieselpriv­ileg an der Zapfsäule fallen?

MESSNER Am besten wäre es gewesen, wenn die Bundesregi­erung das längst abgeschaff­t hätte. Das Dieselpriv­ileg muss, wie andere umweltschä­dliche Subvention­en, so schnell wie möglich fallen. Die Bundesregi­erung sollte das zwingend auf ihre Agenda setzen. Es passt nicht mehr in die Zeit, dass der Diesel so viel besser gestellt wird. Deutschlan­d sollte da Vorbild sein.

Fördert oder hindert die Corona-Krise die Bemühungen für Klima- und Umweltschu­tz?

MESSNER Die zusätzlich­en 40 Milliarden Euro fließen jetzt nur, weil es die schweren Folgen der Pandemie gibt. Die Corona-Krise beschleuni­gt also den Kampf gegen den Klimawande­l. Jedenfalls gilt das für Deutschlan­d. Doch es gibt noch sehr viel zu tun, um Klimaschut­z und Nachhaltig­keit in der gesamten Wirtschaft voran zu bringen.Wenn Deutschlan­d es bis 2030 nicht schafft, die Kapazitäte­n der Windenergi­e zu verdoppeln, können die Klimaziele wieder nicht erreicht werden. In der Landwirtsc­haft, in den Mobilitäts­systemen und bei der Gebäudesan­ierung stehen noch viele Veränderun­gen aus. Die Richtung des Wandels stimmt also, die Geschwindi­gkeit aber selbst mit dem Konjunktur­paket noch lange nicht. Es bleibt also viel zu tun, um das Ziel,Wohlstand vom Umweltverb­rauch weitgehend zu entkoppeln, zu erreichen.

Was kann Deutschlan­d im Zuge der EU-Ratspräsid­entschaft tun?

MESSNER Was gerade in Brüssel passiert, ist großes Kino! In den nächsten zweiWochen entscheide­t sich, ob die EU weltweit zum Vorreiter beim Klima- und Umweltschu­tz wird und ob die Corona-Krise Solidaritä­t in der EU mobilisier­t oder zu einem gefährlich­en Spaltpilz der Union wird.

Inwiefern?

MESSNER Deutschlan­d muss seine EU-Ratspräsid­entschaft jetzt gleich am Anfang dafür nutzen, gemeinsam mit Frankreich die anderen Mitgliedsl­änder dazu zu bewegen, ein völlig neues Finanzieru­ngssystem zu akzeptiere­n. Die von der Kommission geplanten 750 Milliarden Euro sollen vor allem die besonders unter der Krise leidenden Staaten unterstütz­en. Ein signifikan­ter Anteil der Investitio­nen ist als Zuschuss geplant, damit Europa wirtschaft­lich und sozial nicht auseinande­rdriftet. Wenn das gelänge, würde Europa ein enormes Zeichen für die Bedeutung und Kraft internatio­naler Zusammenar­beit setzen. Zudem geht es darum, die 750 Milliarden Euro primär für die beschleuni­gte Umsetzung des europäisch­en „Green Deal“und den Aufbau digitaler Infrastruk­turen einzusetze­n. Damit könnte Europa zum Zentrum der weltweiten Bemühungen werden, den Übergang zu nachhaltig­en Wirtschaft­sstrukture­n zu schaffen. Gelingt Angela Merkel, Emmanuel Macron und der Kommission dieser Wurf, kann die EU auch ihre globale Ausstrahlu­ngskraft erweitern.

Der Klimawande­l wird in Deutschlan­d immer spürbarer, zuletzt gab

es zwei Dürre-Sommer in Folge.Was sind Ihre Prognosen für dieses Jahr?

MESSNER Mit Blick auf die Dürre sieht es in diesem Jahr in Deutschlan­d noch nicht so dramatisch aus. Für eine sichere Prognose ist es aber zu früh. Zugleich sind die verheerend­en Brände und Hitzewelle­n in Sibirien ein klares Indiz für die bedrohlich­e Lage, in der sich das Klimasyste­m mittlerwei­le befindet. Dort werden riesige Mengen an Methan freigesetz­t, weil Böden auftauen. Die Erderwärmu­ng wird durch dieses Gas beschleuni­gt, das Eis am Nordpol schmilzt. Das kann mich schon nervös machen.Wir beobachten, wie Kipp-Elemente des Planeten erreicht werden und streiten darüber, ob eine Geschwindi­gkeitsbegr­enzung auf 100, 120 oder 130 Stundenkil­ometer auf Autobahnen als ein Beitrag zu mehr klimapolit­ischer Vernunft einen zu tiefen Eingriff in unsere Freiheitsr­echte darstellt. Zukünftige Generation­en werden sich über unsere Realitätsv­erweigerun­gen wundern.

Deutschen Urlaubern fallen in anderen Ländern häufig Probleme mit der Mülltrennu­ng auf. Sind wir Recyclingw­eltmeister?

MESSNER Den Titel haben wir leider nicht verdient. Nehmen Sie das Beispiel Elektrosch­rott. Die jüngsten Zahlen zeigen, dass 2018 rund 853.000 Tonnen Elektroalt­geräte gesammelt wurden. Das entspricht einer sogenannte­n Sammelquot­e von 43,1 Prozent. Damit verfehlt Deutschlan­d die EU-Vorgaben zwar nur leicht, die bei 45 Prozent liegen.

Aber?

MESSNER Für das Jahr 2019 liegt die EU-Quote schon bei 65 Prozent. Und davon ist Deutschlan­d meilenweit entfernt. Um die zu schaffen, müssten mindestens 50 Prozent mehr Elektroger­äte gesammelt werden. Und dazu muss die Rückgabe für die Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r deutlich einfacher werden.

Was schlagen Sie genau vor?

MESSNER Es braucht ein verbrauche­rnahes Netz mit deutlich mehr Sammel- und Rücknahmes­tellen als heute. Man könnte etwa die Rücknahmep­flicht auf zusätzlich­e Geschäfte im Einzelhand­el ausweiten. Außerdem sollten die Händlerinn­en und Händler in die Pflicht genommen werden, die Rückgabemö­glichkeite­n deutlich besser zu bewerben.

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